Wenn man in der Medizin die Wirksamkeit eines Medikaments prüft, bildet man zwei Gruppen. Die Mitglieder der ersten bekommen das neue Präparat, die anderen eine Pille mit "Nixdrin". Leider kann man im Politischen keine Kontrollgruppen bilden. Deshalb lässt sich nicht sagen, ob all die Bemühungen um politische Bildung, die vielen Gedenkstätten oder die großen "Gegen rechts"-Demonstrationen etwas oder nichts gebracht haben. Die Europawahl und die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg legen Letzteres nahe. Oder wäre der Auftrieb der Extremrechten ohne diese Initiativen noch mächtiger ausgefallen?
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Zum Verzweifeln ist es. Es gibt so viele Probleme und Aufgaben. Eigentlich müssten alle zusammenstehen und gemeinsam anpacken. Stattdessen muss man zusehen, wie die Extremrechten ihre Erfolge feiern. Nicht scheint ihnen etwas anhaben zu können – schon gar nicht eigene Skandale. Das liegt daran, dass es bei Wahlen nicht mehr um Programme und Argumente, sondern nur noch um Gefühle und Zugehörigkeiten geht. Deshalb steht die Politik vor diesem Paradox: Mit guter Sacharbeit kommt man den Extremrechten nicht bei, mit schlechter Sacharbeit allerdings kann man ihren Auftrieb weiter befördern.
Vielleicht sollte man – wie bei einer schweren Krankheit – erst einmal einsehen, dass man wenig machen kann. In Zeiten der Verunsicherung funktioniert aggressiver Nationalismus schlicht am besten. Nichts verschafft eine solche innere Entlastung wie die Möglichkeit, die eigene Gruppe für höherwertig zu erklären und für alle Probleme die "Fremden" verantwortlich zu machen.
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Doch manche Proklamation gegen die Extremrechten kommt mir allzu selbstgewiss daher. Es genügt nicht, sich eindeutig von der AfD abzugrenzen. Es gibt viele Anlässe für eine selbstkritische Revision der eigenen Politikbestände. Was haben wir nicht gesehen und nicht getan? Mit wem haben wir nicht gesprochen? Welche Fehler haben wir selbst begangen? Solche Frage finde ich interessanter als das unablässige Starren auf extremrechte Kanaillen und ihre Eskapaden.
Vor kurzem habe ich von einem Wirtschaftsführer ein neues Wort aufgeschnappt: Angesichts aktueller Krisen bräuchten wir "Wesensfestigkeit". Das hat mich angesprochen. Wir sollten die Prinzipien einer freien, humanen und offenen Gesellschaft vertreten, auch wenn anderes Hochkonjunktur hat, gesprächsfähig bleiben, nicht verbittern, unsere Arbeit tun, im Wesentlichen fest bleiben.