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Im Kampf gegen Krebs gibt es grandiose Erfolge. Starb 1974 noch die Hälfte aller Krebspatient*innen im ersten Jahr der Erkrankung, überleben diese Diagnose heute mehr als 50% länger als 10 Jahre. Das sind großartige Zahlen, die Hoffnung machen und Erkrankte durch schwer erträgliche Therapien tragen. Aber es sind eben Durchschnittswerte und täglich sterben trotz allem Menschen an Krebs, die so gerne leben wollen. Krebs ist nicht besiegt und wie viele andere hoffe auch ich auf neue Therapien und erfolgsversprechende Ergebnisse aktueller medizinischer Studien.
Nach meinem Laienverständnis funktionieren solche Studien in etwa so: Nach dem Zufallsprinzip werden Patient*innen mit vergleichbarer Krankheitssituation in zwei Gruppen eingeteilt. Die einen erhalten einen neu entwickelten Wirkstoff, die anderen ein Scheinmedikament, also ein Placebo. Weder Patienten, noch Ärztinnen wissen, wer in welcher Gruppe ist.
Das schwere Wort Gesamtüberlebenszeit
In Studien zu meiner Erkrankung werden dann meist zwei Werte ermittelt: die Gesamtüberlebenszeit und die progressionsfreie Zeit, also die Zeit, bis der Krebs zurück ist. Je mehr Monate, desto wirksamer der Wirkstoff, so einfach ist das.
Diese Informationen lese ich nicht wie Kochrezepte. Ich verstehe die gebotene Sachlichkeit und spüre gleichzeitig bis in alle Knochen, dass es hier um Leben und Tod geht, auch um mein Leben, meine Monate und Jahre. Es ist schmerzhaft, die durchschnittliche Überlebenszeit so plakativ in Zahlen dargestellt zu sehen.
Trotzdem lese ich sehr genau. Ich profitiere von diesen Studien, ich nehme auch ein Medikament, dessen Wirksamkeit genau dadurch erwiesen werden konnte.
Gäbe es eine für mich passende Studie, würde ich wohl daran teilnehmen. Das werbende Argument, dass alle Studienteilnehmenden länger leben, weil sie engmaschiger begleitet werden, finde ich dabei weniger überzeugend. Gute Betreuung kann man ja auch ohne Suche nach Erkenntnisgewinn erreichen. Ich hoffe auf neue Therapien und dafür braucht es eben Studien.
Ein Denkmal für die anderen
Aber ich ahne jetzt schon, mit welchen Fragen ich mich täglich herumschlagen würde: Bekomme ich nun das "richtige" Medikament oder nur ein Placebo? Bilde ich mir die Nebenwirkungen nur ein oder habe ich sie wirklich? Hatte ich Pech beim Zufallsprinzip und bin jetzt in der Gruppe mit der kürzeren Überlebenszeit?
Diese Unsicherheiten und Ängste quälen alle, die an Studien teilnehmen, diejenigen, für die es sich lohnt und die signifikant länger leben, aber auch die anderen, die zufällig der "falschen" Gruppe zugeordnet waren.
Wie bitter ist es für die Vergleichsgruppe und ihre Angehörigen – Erkrankte haben ja meist nur einen Versuch – das Scheinmedikament bekommen zu haben und nicht am lebensverlängernden Erfolg des Wirkstoffs teilhaben zu können.
Vielleicht bräuchte es so etwas wie ein Denkmal für alle, die bei der Vorstellung eines großartigen Erfolgs einer Studie nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Ein Denkmal für die, die sich mit großen Hoffnungen und Unsicherheiten auf eine Studie einlassen und vom Zufallsglück verlassen werden. Ein Denkmal für die "anderen", die Vergleichsgruppe, für deren enttäuschte Hoffnungen, für deren Schmerz und deren Trauer – als Dank und zur Erinnerung.