Mittweida, Markt Wahllokal Rathaus Im Landkreis Mittelsachsen verläuft die Bundestagswahl 2025 bislang ohne größere Zwischenfälle
Eine Momentaufnahme vom Wahlsonntag in Mittweida, Mittelsachsen, zur Mittagszeit. Keine lange Schlange, aber eine regelmäßige Beteiligung den ganzen Tag über.
Imago / EHL Media
AfD Siege in Ostdeutschland
Demokratie lässt sich eben auch abwählen
Wählen gehen - das war für mich, den gebürtigen Ostdeutschen immer ein Fest. Bis jetzt. Denn dieses Mal haben die Nicht-Demokraten gewonnen, in einer demokratischen Wahl. Eindrücke meines Wahlsonntags in Dresden
26.02.2025
4Min

Ich bin in der ehemaligen DDR geboren. Die ersten Male, die ich wählen gehen durfte, waren besondere, für mich nahezu wunderbare Ereignisse. Wählen dürfen, das bedeutete Partizipation und Mitbestimmung, Teil eines großen, gemeinsamen Ganzen zu sein. Es war mir wichtig. Und ich war überzeugt davon, dass diese Demokratie niemals wanken wird. Sie schien mir fest verankert. Ein Trugschluss.

Schon bei den Landtagswahlen im Herbst hatte ich große Sorgen, dass die AfD die Wahlen gewinnen könnte. Mit der Wahl Trumps veränderte sich der Ton nochmal. Mehr Hass, mehr Populismus, mehr Lügen und Unwahrheiten, die sich bis in unseren Alltag verbreiteten. Es lag "in der Luft", es war zu spüren in den Debatten und in den sozialen Medien: Diesmal kommt es nochmal heftiger.

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Wie früher ging ich auch diesmal früh ins Wahllokal. Ebenfalls wie früher wusste ich schon lange, wie ich wählen werde. Doch der Weg ins Wahllokal, der war diesmal anders. Die eher noch unspezifische Sorge, die ich schon bei den Landtagswahlen gespürt hatte, war zu einem Gefühl der akuten Bedrohung angewachsen. Der großartige Akt des Wählens, das wohl demokratischste Instrument für uns Bürgerinnen und Bürger, könnte umgenutzt werden und sich genau zum Gegenteil verkehren. Demokratie lässt sich eben auch abwählen.

Vor dem Wahlbüro warteten schon andere Menschen, ich reihte mich in die Schlange ein. Mir wurde klar, dass vermutlich jede dritte Person vor oder hinter mir die AfD wählen würde. Das konnte meine Nachbarin sein, der Verkäufer von nebenan, der Postzusteller, die Zugbegleiterin oder ein Kooperationspartner - alles Menschen meines Alltags.

Auch zu Hause verlief dieser Wahltag anders als früher. Wenig Gespräche, weder mit der Familie noch im engen und weiten Freundeskreis. Ich war ruhelos, nervös - und während ich früher interessiert im Internet und in den Socials nach Trends und Einschätzungen gesucht hatte, blieb ich diesmal draußen vor und konnte es dann jedoch kaum erwarten, den Fernseher einzuschalten, als ab 18 Uhr die ersten Hochrechnungen eintrafen. Was für ein Schock. Es war noch schlimmer als befürchtet.

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Mit über 27 Prozent der Zweitstimmen hatte die AfD in meinen Wahlkreis in Dresden gesiegt; abgeschlagen dahinter die CDU mit nicht einmal 20 Prozent, die weiteren Parteien noch deutlicher abgeschlagen, in anderen ostdeutschen Kommunen war es noch weitaus schlimmer.

Ziemlich ermattet und ratlos fand ich erst spät in der Nacht in den Schlaf. Vielen meiner Freundinnen und Freunden erging es nicht anders, wie sie mir in den Tagen danach erzählten. Wir ringen alle um die richtigen Worte.

Mein vorherrschendes Gefühl dieser Tage ist eine tiefe Frustration. Es ist alles bekannt und liegt auf dem Tisch. Wie Populismus funktioniert, dass eine politische Öffnung "nach rechts", das Schwächen von Minderheiten eben nicht die demokratische Mitte stabilisiert, sondern immer die noch extremere Rechte stärkt. Völlig unverständlich ist mir, dass so viele Menschen die Gefahr eines wirklich lebendigen Rechtsextremismus dieser Partei ignorieren, ebenso wie beispielsweise die Spendenskandale der letzten Monate oder eben auch die direkten Auswirkungen dieser Politik auf ihr Leben.

So viele Wählerinnen und Wähler der AfD werden unter einer ungerechten Sozial-, Wohnungs-, Renten-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik leiden. Das alles wurde in den Medien wieder und wieder beschrieben und erörtert. Doch all die Aufklärung fruchtet nicht, denn diese Menschen leben in ihren eigenen, oft neu geschaffenen "Informationsblasen" der Neurechten.

Fast noch trauriger macht mich die Erkenntnis, wie viele AfD-Wähler und Wählerinnen sich mit einer "Politik des Stärkeren" wohlfühlen. Jeder und jede kann es schaffen, lautet die verführerische Botschaft, von der wir alle längst wissen, dass sie nicht wahr ist. Wahr dagegen ist: Jeder und jeder kann schnell selbst zu den "Schwachen" und Hilfsbedürftigen gehören.

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Und alles, was ab jetzt passiert, kann und darf uns nicht überraschen. Natürlich wird die AfD nun von den längsten Redezeiten als stärkste Oppositionsfraktion profitieren. Natürlich wird sie das dank vieler neuer Mandate zugesprochene Steuergeld in ihrem Sinne geschickt nutzen. Und natürlich stärkt all das die Partei, vom Bundestag hinab bis in die kleinste Kommune.

Allerdings hat die genaue Analyse der Zahlen am nächsten Morgen noch etwas gezeigt. Der Aufstieg der AfD ist schon lange kein rein ostdeutsches Problem mehr und findet nicht nur in ostdeutschen Wahlkreisen statt. Die Gefahr von rechts bedroht die Demokratie im Osten und im Westen gleichermaßen. Und das gilt und galt eigentlich schon immer. Wir alle sind jetzt gefordert, in unserer Verantwortung, für diese Demokratie einzustehen.

Zum Schluss ein Lichtblick: Beide großen deutschen Kirchen und ihre Werke, Diakonie und Caritas, haben sich in den letzten Wochen immer wieder gemeinsam und eindeutig positioniert. Sie zeigen auf und leben vor, dass und wie es möglich ist, Demokratie und sozialen Zusammenhalt als Werte und Maßstab des Handelns einzufordern und umzusetzen.

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Kolumne

Christian Kurzke

Christian Kurzke stammt aus Ostdeutschland und arbeitet heute bei der Evangelischen Akademie in Dresden. Anke Lübbert wurde in Hamburg geboren, lebt jedoch seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Greifswald. Beide schreiben sie im Wechsel über Politik und Gesellschaft aus ihrer Sicht. Alle zwei Wochen