chrismon: Die Union hat ihren Antrag zur Migrationspolitik am 29. Januar im Bundestag nur mit Hilfe der AfD durchbekommen und das willentlich in Kauf genommen. War das ein Tabubruch?
Liane Bednarz: Ich glaube nicht, dass es ein Tabubruch war, aber das ganze Verfahren wurde dilettantisch umgesetzt. Jetzt ist es ein kommunikatives Desaster für die Unionsparteien.
Liane Bednarz
Wie meinen Sie das?
Die Wählerinnen und Wähler dürfen nach den Anschlägen von Aschaffenburg, Magdeburg und Solingen von der CDU einen strikten "Law and Order"-Kurs erwarten. Das ist der richtige Gedanke hinter den beiden Anträgen zur Migrationspolitik. Einem davon hat die AfD nun zugestimmt. Aber es bleibt dabei: Die Union darf ihre politische Reaktion auf diese Erwartung nicht davon abhängig machen, ob die AfD dem vielleicht zustimmt.
Was hat man dann falsch gemacht?
Friedrich Merz konnte nicht einmal seine eigene Partei überzeugen. Das sieht man daran, dass neun Abgeordnete der Union nicht für den Antrag gestimmt haben. Er hat nicht ausreichend erklärt, warum er nun von seinem vorher verkündeten Kurs abweicht, bis zum Regierungswechsel nur noch Anträge einzubringen, die mit den Ampelparteien abgestimmt sind. Aber am schlimmsten ist, dass dieses Fünf-Punkte-Programm, das nun beschlossen wurde, teilweise rechtlich nicht haltbar ist. Merz will also "Law and Order"-Politik machen, indem er Recht bricht. Das ist ein starker Widerspruch.
Inwiefern sind manche der fünf Punkte rechtlich nicht haltbar?
Merz' Forderung nach dauerhaften Grenzkontrollen ist nach dem Schengen-Abkommen nicht möglich. Danach sind Grenzkontrollen übergangsweise für maximal drei Jahre möglich, aber nicht dauerhaft. Und Menschen, die Asyl beantragen wollen, an den Grenzen zurückzuweisen, verstößt gegen EU-Recht.
Ist es dann gar kein Problem, dass die AfD dem Antrag zugestimmt hat?
Dass nun alle schreien, Merz habe die "Brandmauer" eingerissen, ist heuchlerisch. Denn Bundeskanzler Olaf Scholz hat selbst gesagt, dass man seine Politik inhaltlich nicht von einer Zustimmung durch die AfD abhängig machen sollte. Die Union will sicher auch in Zukunft nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Aber sie grenzt sich zurzeit dennoch nicht klug ab.
Was müsste sie Ihrer Meinung nach anders machen?
Ein strikter "Law and Order"-Kurs ist bei der Frage der Migration sicher richtig. Aber dieser Kurs funktioniert nur mit gleichzeitiger starker inhaltlicher Abgrenzung von der AfD. Die Brandmauer darf nicht formal verstanden werden. Sie muss inhaltlich definiert werden. Es müsste also ganz deutlich gesagt werden, worin sich die konservative Position von der rechtsextrem-völkischen unterscheidet. Das findet zu wenig statt, weil die Union intellektuell ausgedünnt ist.
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Wie könnte so eine inhaltliche Abgrenzung aussehen?
Gesetze müssen umgesetzt werden, ganz klar. Ausreisepflichtige müssen ausreisen, illegale Migration muss verhindert werden. "Law and Order" setzt eben beim Recht an und das bedeutet, dass man sich jeden einzelnen Fall ansehen muss. Das ist ein ganz anderer Ansatz als jener der AfD. Dort werden völkisch bestimmte Pauschalurteile gefällt. Migranten werden kollektiv mit Ressentiments überzogen. Dahinter steht die neurechte Fantasie eines möglichst ethnisch-kulturell "reinen" Staates. Ein solches Denken ist völkisch und hat mit "Law and Order" nichts zu tun.
Aber warum schafft es die Union nicht, sich hier richtig abzugrenzen?
Das kann ich mir nur so erklären, dass es niemanden in der Parteizentrale gibt, der in der Lage ist, intellektuell auszubuchstabieren, wo eigentlich der Unterschied zwischen konservativ und völkisch bis rechtsextrem ist.