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Im vergangenen Jahr fragte mich ein älterer Herr nach einem Buch über das Sterben und den Tod. Er wollte sich gedanklich vorbereiten. Gar nicht so selten wird mir diese Frage gestellt. Ich weiß dann immer nicht so recht. Zum einen fällt mir kein gutes Buch ein, vor allem kein theologisches. Zum anderen bin ich unsicher, ob hier wirklich das Lesen zu empfehlen ist.
Beim Sterben und beim Tod geht es doch um das Leben selbst, wie man es erlebt, führt, bedenkt, mit anderen teilt. Das Entscheidende ist also, dass man sich selbst als denkender und fühlender Mensch mit der eigenen Endlichkeit befasst, ihr ins Gesicht schaut, das eigene Leben nicht nur, aber auch auf das eigene Ende hin entwirft. Und da man keine Insel ist, sollte man sich mit den Nächsten und Liebsten regelmäßig darüber austauschen. Man weiß ja gar nicht, welche Bilder, Gedanken und Empfindungen die anderen hiermit verbinden.
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Auch sollte man rechtzeitig Entscheidungen treffen (Vollmacht, Testament, Organspende, Patientenverfügung, Beerdigung). Also habe ich versucht, meinen Gesprächspartner dazu zu bewegen, sich selbst zu befragen sowie mit seiner Frau und seinen Kindern darüber zu sprechen. Einen Text habe ich ihm dann aber doch empfohlen, nämlich Psalm 90: "Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden." Als ich dann die Trauerfeier für ihn gehalten habe, stand dieser Psalm im Zentrum. So hatte er es sich gewünscht.
Nun, beim neujährlichen Schreibtischaufräumen, habe ich ein schmales, schönes Buch wiederentdeckt, das ich meinem Gesprächspartner hätte empfehlen können. Es ist ganz neu erschienen. Geschrieben hat es der Lebenskunstphilosoph Wilhelm Schmid. Es trägt den Titel "Den Tod überleben. Vom Umgang mit dem Unfassbaren". Es ist eine anregende und anrührende Meditation vor dem Hintergrund des Todes seiner Frau, mit der er 40 Jahre lang das Leben geteilt hat.
Vielleicht habe ich deshalb so lange nicht hineingeschaut, weil für mich Tod und Lebenskunst nicht recht zusammenzupassen schienen. Es gibt zwar eine lange Tradition der ars moriendi – der Kunst zu sterben –, aber sie war mir nie recht geheuer. Ich hielt es eher mit Martin Luther, der an eine solche Kunst nicht glaubte. Der Tod war für ihn ein Moment letzter Einsamkeit, bei dem keine menschliche Kunstfertigkeit helfen könne, sondern nur die Gnade des Glaubens.
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Aber vielleicht war das zu schroff gedacht. Als ich das Buch von Schmid nun endlich zur Hand nahm, ließ ich mich gern durch seine Gedanken führen, die nie davon handeln, wie man es mit Sterben, Tod und Trauer richtig macht (ja, es gibt solche Ratgeber), sondern die aufmerksam machen auf die Fülle des Lebens, der wir angesichts der Endlichkeit gewahr werden. Es ist das Gegenteil eines einsamen Buches. In jedem Satz ist die verstorbene Frau des Autors gegenwärtig. Es ist ebenso eine Meditation über den Tod, wie über die Liebe und das Leben. Deshalb ist es so tröstlich zu lesen, ohne je auf falsche Weise erbaulich zu werden. Manchmal wird es Menschen geschenkt, dass sogar der Abschied eine Form inniger Gemeinschaft wird: "Die große Liebe ist keine Illusion. Es gibt sie wirklich. Ich habe sie erlebt. Die Kinder haben die große Mutterliebe erlebt."
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Nach einem guten Buch über das Ende werde ich übrigens nicht nur von alten oder sterbenden Menschen gefragt, sondern auch von denen, die mit Sterbenden oder Trauernden zu tun haben. Es gibt heute eine große Unsicherheit bei Noch-nicht-Betroffenen darüber, wie sie mit Betroffenen umgehen sollten. Was soll man ihnen sagen oder schreiben, wie ihnen begegnen? Auch hier halte ich mich mit Lektürevorschlägen zurück, sondern versuche zunächst, Ängste zu nehmen. Sterbende und Trauernde sind doch auch nur Menschen – wie man selbst, nur in einer besonderen Situation. Man könnte sich also erst einmal fragen, was man sich selbst wünschen würde, wenn man in ihrer Lage wäre. Sicherlich nicht: gemieden werden oder mit ungebetenen Ratschlägen behelligt werden.
Eher schon: angesprochen und angeschrieben werden, mit warmer Freundlichkeit, aber auch mit dem nötigen Respekt. Alles Weitere ergibt sich dann, im Wechselspiel. Man braucht nur darauf zu achten, was die andere Person signalisiert. Da hilft es natürlich, wenn eigene Ängste und Bedürfnisse nicht so stark im Vordergrund stehen, dass sie einen nicht mehr sehen oder hören lassen, was der Sterbende oder die Trauernde an Botschaften senden.
Allerdings gibt es hier ein neues Problem. Ich habe das gerade beim Sterben und dann beim Tod einer Freundin erfahren: Manche Zeitgenossen scheinen allzu sehr darauf ausgerichtet zu sein, ihre eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen, sodass sie vor allem darauf achten, was das Sterben einer anderen Person bei ihnen selbst auslöst, wie es sie belastet, was es "mit ihnen macht", wo es ihnen "zu viel wird".
Ich weiß, so funktioniert gegenwärtig unsere übermächtige Konsumkultur. So wird es uns antrainiert. Aber hier, beim Sterben und beim Tod anderer zeigt sich, dass sich das eigene Leben eben nicht erfüllt, wenn man es nur für sich selbst führt. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit lehrt, dass man selbst gar nicht so wichtig ist, dass man aber in der Beziehung zu anderen unendlich viel gewinnen kann. Auch das ist ein Schritt in Richtung Weisheit.