Unfall und Krankheit
Darauf ist bei einer Patientenverfügung zu achten
Haben Sie vor Jahren mal eben eine Standard-Patientenverfügung unterschrieben? So was kann im Notfall zu Streit führen. Ein Patientenschützer weiß, wie es besser geht und worauf man achten muss
Für eine Patientenverfügung muss man sich Zeit lassen
Für eine Patientenverfügung muss man sich Zeit lassen
Elke Ehninger
Tim Wegner
Aktualisiert am 23.08.2024
10Min

chrismon: Viele Leute sagen: Wenn ich so krank bin, dass ich mich nicht mehr äußern kann, soll meine Familie entscheiden, was medizinisch mit mir gemacht wird, ich schreibe jedenfalls keine Patientenverfügung. Funktioniert das?

Kristjan Diehl: Das führt eher zu Streit. Die ärztliche­ Seite schlägt eine Behandlung vor, die Angehörigen ­lehnen sie ab, weil sie sagen: Die kranke Person hätte ­diese Behandlung nicht gewollt. Aber belegen können sie das dann nicht.

Wissen die Familienmitglieder voneinander, was sie ­wollen würden in einer gesundheitlichen Krise?

Nein. Wir merken das, wenn Paare zu uns in die Beratung für eine Patientenverfügung kommen und meinen, es gehe ganz schnell, weil sie von sich und vom anderen genau wüssten, was sie wollen und was nicht. Zum Beispiel nicht so leben wie die Nachbarin damals im Wachkoma. Wenn wir dann ins Gespräch kommen, bewerten die Leute konkrete Behandlungen doch ganz anders als vorher gedacht.

Was fragen Sie zum Beispiel?

Was ist für Sie nach einem Unfall eine Einschränkung, mit der zu leben Sie weiter bereit sind, und was ist Sie für ein absolutes No-Go? Dann sagen die Menschen manchmal: eine hohe Querschnittlähmung, also eine Lähmung auf Höhe der Halswirbel oder der Brustwirbel. Und der Partner, der daneben sitzt, sagt: "Aber ich kann dich doch nicht sterben lassen, wenn du mit gelähmten Armen und Beinen weiterleben könntest und zwar bei Verstand!" Dann überlegen manche: "Vielleicht sage ich ja wirklich eine Woche später, nach dem Erwachen aus dem Koma: Ich leb doch lieber querschnittgelähmt, als dass ich tot bin." Diese Auseinandersetzungen gehören in die Gespräche.

Also ist es riskant, eine Patientenverfügung zu haben!

Natürlich birgt eine Patientenverfügung Risiken. Aber die Risiken sind größer, wenn man nichts verfügt. Denn in der Regel sind sich Angehörige und Ärzte nicht gleich einig. Oft sind es selbst Angehörige untereinander nicht. Streit ist vorprogrammiert. Die Behandlung, die dann statt­findet, hat mit dem Willen des Patienten wenig zu tun.

Aber wenn ich mich nicht entscheiden kann?

Nehmen wir als Beispiel die Demenz. Eine Demenz allein ist erst mal kein Grund für einen Behandlungsabbruch. Denn es gibt genügend Menschen mit einer demenziellen Erkrankung, die – gut betreut, gut gepflegt − ein pumperl­vergnügtes Leben führen. Deshalb versuchen wir herauszufinden, wo dieser Mensch, den wir gerade beraten, eine Grenze ziehen würde.

Okay, angenommen, ich bin vergnügt dement ‒ aber meine Lage wird sich mit der Zeit ja drastisch verschlechtern.

Stellen Sie sich vor: Krankheitsbedingt laufen Sie sehr viel, und Sie büxen aus einer behüteten Einrichtung aus. Im Winter. Sie gehen im Pyjama ab in die Wildnis bei minus 15 Grad. Man findet Sie, Sie sind stark unterkühlt, Sie entwickeln eine Lungenentzündung. Die könnte man behandeln. Da sagen einige Menschen, wenn sie sich das in der Beratung vorstellen: Um Himmels willen keine Behandlung, die Demenz wird nicht besser, das ist doch die Chance zu sterben! Lasst mich an der Lungenentzündung sterben.

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Wenigstens eine Vorsorgevollmacht sollte man erstellen, ­also eine Vertrauens­person bevollmächtigen, die für mich entscheidet und handelt, wenn ich es gerade nicht kann. Die also mit der Ärztin spricht, Post öffnet, Rechnungen bezahlt . . . Das "Notvertretungsrecht" für Ehepaare, ­dieses Jahr eingeführt, gilt nur für sechs Monate und nur für gesundheitliche Dinge, nicht aber für ­finanzielle. Also braucht man trotzdem eine Vorsorgevollmacht. Wichtig: eine Ersatzperson nennen und zwar ­innerhalb dieses einen Dokuments. Im ­Formular der Malteser zum Beispiel kann man zwei Personen bevoll­mächtigen. Wer keine Vertrauensperson ­benennen kann, sollte trotzdem ­eine Patientenverfügung erstellen, die muss auch ohne Bevollmächtigte beachtet werden.

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Die eigene Patientenverfügung kostenfrei prüfen lassen, ob sie im Ernstfall greifen würde und ob sie tatsächlich den eigenen Willen wiedergibt, können Sie hier.

Bei Konflikten rund um die Patientenverfügung kann man sich kostenlos Rat und Unterstützung bei der Schiedsstelle Patientenverfügung holen – möglichst
bevor die Situation eskaliert.

Und am Patientenschutztelefon der Deutschen Stiftung Patientenschutz gibt es für jede Person Auskunft rund um Vorsorge, schwere Krankheit, Pflegemängel: 0231-7380730 oder 030-28444840 oder 089-2020810

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Liebes Redaktionsteam,

ich habe nur eine kurze Anmerkung zu Ihrem Interview mit Herrn Kristjan Diehl - einen Patientenschützer, bei dem Menschen, die Rat suchen, "AUFSCHLAGEN" und der von einer Patientenverfügung als "DING" spricht ( Zitat: schicken Sie uns das Ding zu ) - den werde ich bestimmt nicht um Rat fragen, da würde ich mir doch mehr Niveau und Ernsthaftigkeit erhoffen.
mit freundlichen Grüßen
Ursula Stehling

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Zunächst vielen Dank für die vielen interessanten Artikel in Chrismon! – Und jetzt für den Artikel über Patientenverfügung.

Dazu ein kleiner Bericht:
Ein wichtiger Grund für die Errichtung einer Patientenverfügung war für mich und meine Frau der Gedanke an unsere Kinder.
Meine Mutter hatte mit 94 Jahren einen Schlaganfall. Sie war mehr als halbseitig gelähmt, konnte nicht mehr schlucken und nicht mehr sprechen. Die Ärzte gaben ihr Flüssigkeit per Infusion, wollten sie aber offensichtlich sterben lassen (was sie nicht direkt sagten und was mir zunächst auch so nicht bewusst war). Meine Schwester machte den Ärzten viel Druck: „Man muss ihr eine Chance geben“ – allerdings sagte sie nie, was sie davon erwartete. Man konnte nicht viel sagen, weil sich meine Schwester als die große Beschützerin der Mutter gegen die Ärzte und gegen die Familie aufspielte. Das Ergebnis war eine vier Monate dauernde Leidensgeschichte mit Sauerstoff und künstlicher Ernährung mit PEG-Sonde, und wo man der Mutter nach ca. zwei Monaten nur noch stumm die Hand halten konnte bis sie schließlich starb. – Unsere Kinder werden sicher anders reagieren, aber auch bei Ihnen wird es vielleicht unterschiedliche Meinungen geben, wieviel in einer solchen Situation medizinisch noch gemacht werden soll. Wir haben eine Patientenverfügung gemacht, natürlich auch für uns selbst, aber auch um unseren Kindern ein gutes Gewissen bei einer möglicherweise schwierigen Situation und schweren Entscheidung zu geben. Die Patientenverfügung haben wir bei unserer Hausärztin gemacht. Wir haben aber nur die Grundlinien angegeben, nicht Details, weil wir uns ziemlich sicher sind, dass es anders kommen wird, als man denkt.

Mit freundlichen Grüßen,
Siegfried Kreuzer