Pflege der dementen Mutter
Die Hexe in ihr. Und das Lämmchen
chrismon-Autorin Claudia Gölz erinnert sich an fünf Wochen und eine Silvesternacht mit ihrer dementen, verwirrten, zornigen Mutter. Und doch war diese Zeit ein Geschenk, sagt die Tochter
Die Hexe in ihr. Und das Lämmchen
Demenz in der Familie - Die Hände zu kalt, das Wasser zu heiß, die Sonne zu grell. Nichts macht ihr Freude
Tatjana Prenzel
privat
Neven Allgeier
19.12.2024
15Min

Das Leben ist der Ernstfall – für einen selbst, aber auch für die andern. Vor mir liegt meine 93-jährige Mutter entspannt im Sessel. Endlich. Die letzten zwei Stunden hat sie mit Worten randaliert, laut gebrüllt, Geld gesucht, den Kopf geschüttelt, darüber, was aus ihrer Familie geworden sei. Seit über fünf Wochen ist sie bei mir. Wie geht man mit einem dementen Menschen um? Sie greift um sich. Raumfüllend. Nicht nur, dass sie schlecht sieht und hört, beides versucht sie durch Lautstärke wettzumachen. Zuhören, auch beim ­Telefonieren – nicht ihr Thema.

Sie will ins Bett. Tabletten und Augen­tropfen verabreichen, Wasser ans Bett stellen, Wärmflasche in den Schlafanzug wickeln. Sie ist jetzt still. Verausgabt. Ich reiche ihr noch ­ihre Baldrianpille und Wasser. Tschuldige, sagt sie laut. Tschuldige, etwas leiser. Dann schlurft sie ins Bett. Gute Nacht. Rutsch gut ins neue Jahr. Ich glaubte, das hätte sie vergessen. Ich solle mich nicht vergessen, mahnen meine Freunde. Was soll das heißen? Hier gibt es nur noch ganz oder gar nicht. Ich habe mich für ganz entschieden und hätte mich auch gleich für das Scheitern entscheiden können. Der Kampf ist nicht zu gewinnen. Mit Liebe nicht. Mit Achtsamkeit nicht. Mit Sturheit nicht. Nicht mit Weichheit. Nicht mit Härte.

Seit fünf Wochen übe ich. Manchmal denke ich, ich hätte die Formel gefunden, um im nächs­ten Moment zu scheitern. Das zu ­grobe Brot, die zu harte Butter, der zu kalte Kühlschrank, die zu dünne Marmelade, der zu kalte Teller, der zu grob geschnittene Salat . . . Beim Waschen meine zu kalten Hände, das zu kalte oder zu heiße Wasser, die saublöde Badewanne oder die zu kleine Dusche, das zu viel oder jenes zu wenig, die Sonne zu grell, der Wind zu heftig, der Gehweg zu uneben. Nichts ist, wie es soll. Draußen böllert es verhalten. Wie sehr ich Krach hasse. Heute besonders.

Sie ist meine Mutter und sie ist es nicht mehr. So wahr ich hier sitze, sagt sie gern. Draußen im Flur ruft es laut nach mir. Räum das Geld weg. Ja, das Geld hat uns heute sehr beschäftigt. Sie hat Bargeld mitgebracht, das ich zählen und sicher aufbewahren soll, und es ist mehr, als sie dachte. Warum ich ihr ­Konto geräumt hätte? Hä? Überhaupt ­wolle sie auf der Stelle wissen, wie viel Geld sie habe. Ich habe keine Ahnung. Ein Wort gibt das andere. Nein, was für eine Tochter, überhaupt, was für eine Familie, wo überhaupt sind die andern? Wann kommen die? – Die kommen nicht. – Wie, die kommen nicht mal, wenn ich sterbe? – Nein, du stirbst nicht. – Woher willst du das wissen? – Solange einen Geld so sehr beschäftigt, stirbt man nicht . . . Die Dialoge werden von beiden Seiten absurd.

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