Im Gaza-Krieg stehen sich die Seiten unversöhnlich gegenüber. Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern scheint derzeit nicht möglich oder nur auf privater Ebene. Im Ukrainekrieg gab es gerade einen Großangriff der Ukrainer auf russische Militärbasen im Kernland und gleichzeitig gehen die russischen Angriffe auf die Ukraine weiter – auch auf die Zivilbevölkerung. Gleichzeitig trafen sich Delegationen beider Länder in Istanbul, trennten sich aber gleich wieder ohne nennenswerte Ergebnisse: keine Verständigung möglich. In Polen standen sich zwei gegensätzliche Präsidentschaftskandidaten gegenüber, und beide erhielten fast gleich viele Stimmen. Ob die beiden Lager sich verständigen können? Vermutlich wird das sehr schwer werden.
In Deutschland stoppte ein Gericht die neue Bundesregierung in ihren Plänen, die Migration zu begrenzen. Die eine Seite feiert das als notwendige Abstrafung eines sowieso völlig unmenschlichen Plans. Die andere sieht darin eine unberechtigte Einmischung des Gerichts in die Politik und fordert, das Gericht einfach zu umgehen. Zwei unvereinbare Positionen – auch hier.
Das sind nur vier Beispiele aus der vergangenen Woche, die zeigen: Überall reden Menschen miteinander, aber ohne dass die Gesprächspartner bereit sind, sich aufeinander einzulassen. Die biblische Pfingstgeschichte gibt einen Rat, wie man in solch aussichtslos scheinenden Situationen weiterkommen könnte: Wir müssen anfangen, die Sprache der anderen zu sprechen. Wie ist das gemeint?
Die Apostelgeschichte erzählt vom Pfingstwunder. Nach Jesu Tod und Himmelfahrt waren die Jünger in Jerusalem versammelt (Apg 1). Sie gründeten die erste christliche Gemeinde. Fünfzig Tage, nachdem Jesus gekreuzigt worden war, geschah dann das Wunder: Die Jünger und Jüngerinnen wurden vom Heiligen Geist erfasst und konnten plötzlich in vielen Sprachen reden (Apg 2).
Menschen, die aus anderen Regionen der Welt nach Jerusalem gekommen waren, fühlten sich plötzlich verstanden, weil sie in ihrer Muttersprache angesprochen wurden. Das Pfingstwunder ist ein Wunder der Verständigung. Eine Botschaft dieses Feiertages ist: Wenn wir uns bemühen und versuchen, so zu sprechen, dass andere uns verstehen, können wir ihr Herz erreichen.
Statt Verständigung suchen viele Menschen Konfrontation
Was hat das mit uns heute zu tun? Sehr viel. Denn statt Verständigung suchen viele Menschen derzeit Konfrontation – egal ob sie politisch rechts oder links stehen, ob sie Christen sind oder nicht. Die immer wieder diagnostizierte gesellschaftliche Spaltung in Deutschland und anderen Teilen der Welt wird immer größer.
Christinnen und Christen sollten sich daran nicht beteiligen - das lässt sich aus der Pfingstgeschichte herauslesen. Auch die eigene, religiös begründete Position ist nicht absolut! Deshalb sollten alle Menschen bereit sein, andere Ansichten zu akzeptieren - auch wenn das gerade bei Themen, die das christliche Gewissen berühren, sehr schwerfällt.
Zum Beispiel bei der Migrationspolitik. Die Bibel fordert dazu auf, dass wir uns für Menschen auf der Flucht einsetzen oder für Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Viele Christinnen und Christen nehmen das ernst und engagieren sich. Und je mehr der gesellschaftliche Konsens bröckelt, wonach es gut und richtig ist, sich für Geflüchtete und andere einzusetzen, umso stärker sollten Christinnen und Christen daran festhalten. Und trotzdem sollten sie versuchen, auch andere Ansichten zu diesem Thema zu verstehen.
Rechtspopulisten und Rechtsextreme verschärfen und vergiften die Debatten über Migration immer weiter, und dennoch sollten Christinnen und Christen sich nicht an der Eskalation beteiligen. Die Kirchen haben den Auftrag, die Sprache der anderen zu sprechen. Das heißt: Sie müssen akzeptieren, dass viele Menschen anders denken, und versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Auch wenn andere dies ablehnen oder gar aggressiv gegen die Kirchen wettern – wie die AfD es tut. Zu sagen "Die wollen doch gar nicht" oder "Die sind doch selbst so aggressiv" hilft nicht weiter und ist eine Ausrede.
Als sich die Kirchen Anfang des Jahres in die Debatte über die migrationspolitischen Pläne des damaligen Kanzlerkandidaten und heutigen Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) lautstark einmischten und ihn und die CDU öffentlich angingen, haben sie sich falsch verhalten. Sie haben nicht versucht, die Gegenseite zu verstehen, zumindest wirkte es nach außen so. Sie haben nicht dazu beigetragen, die Spaltung zu verringern. Im Gegenteil: Mit ihrem Verhalten haben sie die Kluft vergrößert.
An Pfingsten konnten die Jüngerinnen und Jünger Jesu durch den Heiligen Geist auf einmal mit der ganzen Welt sprechen. Das war die Voraussetzung dafür, dass sie die Botschaft des Christentums erfolgreich verkünden konnten. Sie beließen es aber nicht beim Predigen, sondern handelten auch. Sie gingen zu den Menschen hin und zeigten ihnen, was es bedeutet zu glauben – und wie dadurch die Welt besser werden kann.
Lesetipp: Ist die Kirche zu politisch?
Das Pfingstfest kommt also gerade richtig. Es erinnert uns daran, dass es Aufgabe von Christinnen und Christen ist – und damit auch der Kirchen –, Verständigung anzustreben und so zu sprechen, dass sie auch andersdenkende Menschen erreichen und nicht vor den Kopf stoßen. Auch wenn es noch so unangenehm ist. Sprache kann trennen oder verbinden. Pfingsten sagt: Lasst euch aufeinander ein.