Der Krieg rast mit elffacher Schallgeschwindigkeit in Hannas Leben. Die Achtjährige sitzt an einem Tisch, tief unter der Erde in der Charkiwer Innenstadt im Osten der Ukraine. Während die russische Armee Raketen auf ihr Heimatland abfeuert und Sirenen in den Straßen aufheulen, beugt sich Hanna über ein Schulheft, schreibt Zahlen und Buchstaben aufs Papier und hört ihrer Lehrerin zu, die versucht, Normalität in einen Alltag zu bringen, der schon lange kein Alltag mehr ist. Hanna besucht eine unterirdische Schule in Charkiw, eingerichtet, um sie vor dem zu schützen, was an der Erdoberfläche geschieht.
Die Grenze ist nur rund 30 Kilometer entfernt. Seit Beginn der Invasion im Februar 2022 ist die Stadt russischen Angriffen ausgesetzt. In den ersten Kriegstagen versuchte die einfallende Armee, Charkiw durch Bodentruppen einzunehmen, stieß jedoch auf massiven ukrainischen Widerstand. Nach heftigen Straßenkämpfen zog sich das russische Militär zurück. Statt Bodentruppen schickt Moskau seither Raketen, Gleitbomben und Drohnen in die Stadt.
CHARKIW, 28. Februar 2022:
Luftangriff, Streumunition, neun Tote, 37 Verletzte
Um die Kinder und die Lehrkräfte vor den anhaltenden Luftangriffen zu schützen, richtete Charkiw unterirdische Schulen ein. Erst in Metrostationen, dann zusätzlich in einer eigens gebauten Bunkeranlage. Fünf U-Bahn-Schulen unterhält die Stadt und eine Bunkerschule, zwölf weitere sind geplant: Von ursprünglich rund 100 000 schulpflichtigen Kindern leben nach Auskunft der Charkiwer Schulbehörde noch 54 000 in der Stadt, viele werden zu Hause ausschließlich online unterrichtet, etwas mehr als 6300 besuchen eine Untergrundschule.
Die Schulen ermöglichen Präsenzunterricht trotz der prekären Sicherheitslage: Mehrmals täglich heulen in Charkiw die Sirenen, Explosionen zerstören Schulgebäude, Shoppingmalls und Wohnhäuser. Wer durch Charkiw fährt, sieht Brücken, auf denen Sandsäcke liegen, Wohnblöcke mit Bombenkratern und Panzersperren an Zufahrtsstraßen.
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