Der deutsche Journalist Stephan Orth besuchte die Ukraine, und zwar jeden Teil. Das Buch, das er darüber geschrieben hat, liest sich sehr spannend. Er bereiste viele Städte, unter anderem Lwiw, Iwano-Frankiwsk, Lyman, Saporischschja, Charkiw, Kyjiw, wohnte bei Einheimischen und hörte ihre Geschichten.
Viele Menschen beeindruckten ihn, weil sie trotz der enormen Belastungen von zweieinhalb Jahren Krieg optimistisch geblieben seien und immer wieder neue Kraft und Energie schöpften. "Sie geben ihr Bestes, auch unter den schwierigsten Umständen", schreibt er. So erzählt er von einer Ukrainerin, die er in der Kleinstadt Lyman kennengelernt hat:
"Ich habe eine 85-jährige Frau getroffen, Lidiya. Eine Rakete hat ihre Wohnung im fünften Stock getroffen. Sie musste in den Keller ziehen und dort 18 Monate lang leben. Sie hat den Winter dort verbracht, ohne Heizung, nur mit vier Jacken übereinander. Und sie hatte so eine positive Energie, sie hat immer gesagt, es wird alles gut."
Manchmal war er nur wenige Kilometer von der Frontlinie entfernt. Eines der erschreckendsten Erlebnisse, das er beschreibt, war sein Versuch, Hilfsgüter an die Front zu bringen. Er wollte zusammen mit seiner Gastgeberin Polina aus Saporischschja mit dem Auto fahren. Polina half ihm, die Fahrt zu organisieren. Doch das Auto, mit dem sie fahren wollten, war schwer beschädigt. Die Freunde, die Polina das Auto besorgt hatten, behaupteten, es sei überprüft worden und würde auf jeden Fall sein Ziel erreichen. Daran gab es zwar große Zweifel, aber es gab auch keine Alternative, als mit diesem Auto zu fahren. Also fuhren Stefan Orth und Polina los.
Vier Kilometer vor der Frontlinie mussten sie anhalten, weil dort gerade gekämpft wurde. Artilleriefeuer und Detonationen waren zu hören. Sie saßen fest. Die Situation schien aussichtslos. Doch Polinas Freund konnte die beiden zum Glück eine halbe Stunde später herausholen. Leider konnten sie an diesem Tag keine Hilfsgüte abliefern.
Seine wichtigste Lektion, nachdem er acht Monate während des Krieges in der Ukraine verbracht hat, sei die Ungerechtigkeit gegenüber den Ukrainern. Mit eigenen Augen sah er zerstörte Privathäuser, zerstörte historische Gebäude, zerstörte Straßen und das zerstörte Leben von Zivilisten und Kindern. Nach dem, was er gesehen hat, hält Stephan Orth Kompromisse mit Putin und eine Zusammenarbeit mit Russland für unmöglich. Schließlich seien die Ukraine und ihre Bewohner die Hauptleidtragenden dieses Krieges und bräuchten die größtmögliche Unterstützung der westlichen Länder.
Am besten habe ihm Kyjiw gefallen. Es sei eine sehr moderne Stadt mit hoher Lebensqualität. Die Hauptstadt der Ukraine habe viele einzigartige und leckere Restaurants mit erstklassigem Service und viele Freizeitmöglichkeiten.
Es gibt nur ein "Aber": Jederzeit kann Fliegeralarm ausgelöst werden und alle müssen sich in die Luftschutzräume begeben, um ihr Leben zu retten, falls eine Rakete ein Gebäude oder eine Straße trifft. Auch Odessa hat ihm sehr gut gefallen, vor allem die Altstadt und das kulturelle Flair. Mich hat gefreut, dass er auch die ukrainischen Karpaten erwähnt, die in Deutschland nicht sehr bekannt sind - aber spektakulär und fantastisch, so Stephan Orth.