Kundgebung zum Tag der Arbeit mit Vertretern aus Gewerkschaften, Kirche und Politik beim 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover
Paul-Philipp Braun/epd-bild
Kirche und Politik
Es geht um gezielte Entwertung
Die Kirche ist für Rechtspopulisten und Rechtsextreme zum Feindbild geworden, weil sie für christliche Humanität eintritt. Die Debatte um die Frage, wie politisch die Kirche sein soll, kommt da gerade recht
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
02.05.2025
3Min

Ehrlich gesagt, finde ich kaum eine Frage so uninteressant wie diese: "Soll die Kirche politisch sein?"

Mich verwundert die mediale Erregung. Nach meiner Wahrnehmung ist die evangelische Kirche zurzeit so unpolitisch wie lange nicht. Auch kann ich mich an keine bedeutende politische Entscheidung der vergangenen 20, 30 Jahre erinnern, die sich einer Intervention meiner Kirche verdankte. Mir scheint, dass wir es hier mit dem Resultat einer medienbedingten Entfremdung zu tun haben.

Viele Menschen, auch Konservative, verfügen über keine eigenen, persönlichen Erfahrungen mit kirchlichem Leben mehr, sondern nehmen die eigene Kirche nur noch über Medien wahr, die sich aber weniger für Theologie und Frömmigkeit als für Statements von kirchlichen Leitungsfiguren zu diesem oder jenem tagespolitischen Thema interessieren. Dadurch entsteht die Fehlwahrnehmung, "die Kirche" sei furchtbar politisiert.

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Dies wird von interessierten Kräften bestärkt. Wir müssen es deutlich sagen: Die evangelische Kirche ist für Rechtspopulisten und Rechtsextreme zu einem Feindbild geworden und wird massiv angegriffen. Dazu gehört, dass man versucht, sie mundtot zu machen. Es geht nicht um berechtigte Kritik im Einzelnen, sondern um gezielte Totalentwertung. Es ist nicht zu übersehen: Die AfD, nicht nur in den neuen Bundesländern, betreibt eine Fortsetzung der Anti-Kirchen-Politik der SED. Sie will die Kirche als Institution, die öffentlich für christliche Humanität eintritt, ins Schweigen abdrängen.

Dabei leisten viele kirchliche Akteure auf unterschiedlichen Ebenen sinnvolle politische Arbeit: die Gemeindepastorin, die mit ihrer Kommune die Kitabeiträge verhandelt; der Kirchenkreis, der mit der Bezirksverwaltung über Stadtteilentwicklung diskutiert; die Landeskirche, die mit Behörden über Asylfragen diskutiert; das Diakonische Werk, das in Berlin seine Anliegen vorbringt.

Sie – und viele mehr – versuchen, legitime eigene Interessen durchzusetzen, diese zugleich in einen Abgleich mit dem Gemeinwohl zu bringen, sachkundig und verständigungsbereit zu streiten. Das wird von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen, von Fachleuten aber geschätzt.

Die evangelische Kirche ist Teil der Polis. Zugleich ist sie selbst eine Polis, umfasst sie doch unterschiedliche Kräfte. Die evangelische Kirche ist in ihrem Außen- wie ihrem Selbstverhältnis Polis und also polit-isch. "Kirche" – das ist das unendliche Gespräch von Christenmenschen miteinander und mit ihrer Welt – nicht nur, aber auch über politische Grundsatzfragen. Ihre Aufgabe ist dabei, für christliche Humanität einzutreten.

Wenn sie dies auf eine erwachsene Weise tun will, muss sie eine Balance finden aus Nächstenliebe und Nüchternheit, Barmherzigkeit und Besonnenheit. Sie muss zudem präzise strategische Ziele bestimmen und gut begründen, mit Verbündeten und Gegnern offen diskutieren, Gegenargumente ernst nehmen, sich kritisch befragen lassen, bei allem das Ende mitbedenken. Das wäre eine Aufgabe "der Kirche" insgesamt – also nicht nur der hauptamtlichen Leitungspersonen, sondern aller evangelischen Bürgerinnen und Bürger.

Zum Schluss: Manche meinen, die Kirche solle immer gleich etwas zu diesem oder jenem sagen; ich finde, dass eine – gar nicht so unpolitische – Haupttätigkeit der Kirche das Zuhören ist, weshalb ich auch nicht dagegen habe, wenn wir bei manchen aufgedrehten Debatten einfach schweigen würden.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur