Politik und Kirche
Darf Luisa Neubauer in einer Kirche predigen?
Die Polarisierung unserer Debatten wird lustvoll vorangetrieben - auch in der Onlinezeitschrift "Communio". Steckt dahinter Unwissenheit oder Absicht?
Die "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer wird in Bonn mit dem oekumenischen Predigtpreis ausgezeichnet
Das Foto zeigt Luisa Neubauer, als sie im Oktober 2023 in Bonn den ökumenischen Predigtpreis erhielt.
Guido Schiefer/epd-bild/picture alliance
Lena Uphoff
06.11.2025
4Min

Lässt sich aus dem evangelischen Glauben eine politische Haltung ableiten? Wenn ja, welche? Das sind offene und viel diskutierte Fragen. Immerhin sind so unterschiedliche Personen wie der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland und die Klimaaktivistin Luisa Neubauer evangelisch getauft und ihrer Konfession so verbunden, dass sie sich in öffentlichen Reden auf sie beziehen.

Kann man daraus schließen, dass evangelisches Denken nach rechts führt oder nach links? Oder in beide Richtungen? Ist die Realität vielleicht ambivalent und nicht so eindeutig? Nein, sie ist eindeutig – zumindest, wenn es nach der "internationalen katholischen Zeitschrift Communio Online" geht.

Dort ist gerade ein Artikel erschienen, der sich mit einem "Vorgang" – wie es wörtlich heißt – in der evangelischen Kirche beschäftigt. Luisa Neubauer hat am Reformationstag in der Bonner Kreuzkirche eine Predigt gehalten. Im Text bei "Communio-Online" wird aus diesem "Vorgang" gefolgert: "Wenn das kirchliche Handeln sich auf die Verstärkung tagespolitischer Forderungen reduziert, hat es seinen inneren Kompass endgültig verloren und wird zur Behelfsbühne des Zeitgeistes."

Communio-Autor Carl-Victor Wachs beschreibt die Einladung an die bekannte Aktivistin, die nicht nur in Klimafragen, sondern auch in vielen anderen politischen Feldern mitmischt, als Skandal. Wieder einmal zeige sich, dass die evangelische Kirche ihren inneren Kompass endgültig verloren habe. Die Kirche gefalle sich im Gefühl, zu den Guten zu gehören. Zum Schluss folgert er:

"In Wahrheit muss die Kirche sich aber fragen, ob sie den vorübergehenden Applaus dieser Guten überhaupt will – derer, die sie insgeheim als Teil der alten, zu überwindenden Welt ablehnen. Oder ob sie denen ein Anker sein will, die sich verloren haben. Sie muss sich erinnern, worin ihre eigene Autorität begründet ist: nicht in säkularen Untergangsprophetien, sondern im Geheimnis des Glaubens."

Diese Thesen sind ganz offensichtlich einem katholischen Blick auf den Protestantismus geschuldet und so alt und langweilig, dass man sie ignorieren könnte. Doch sie gehen im Artikel von Carl-Victor Wachs einher mit einer grob verzerrten Darstellung dessen, was die evangelischen Kirchen (im Plural!) in Deutschland ausmacht, dass es sich doch lohnt, genauer darauf einzugehen. Der Text ist ein gutes Beispiel dafür, wie auch Medien, die in angesehenen Verlagen angesiedelt sind, die Debatten lustvoll polarisieren. Die Zeitschrift Communio erscheint im Herder Verlag.

Carl-Victor Wachs hatte im Frühjahr über einen Karfreitagszug in Berlin für die "Welt" berichtet, bei dem es offensichtlich queer und wild herging, und daraus gefolgert, die Kirche sei auf einem Irrweg. Während des Kirchentages in Hannover suchte er sich aus dem sehr umfangreichen und vielfältigen Programm die wenigen Veranstaltungen heraus, die seine schon vorher feststehende These, dass der Kirchentag links-grün sei, bestätigten. Das tat er auf der Plattform X kund. In Bezug auf den Kirchentag in Hannover war diese Beobachtung so haarsträubend, dass der nicht für seine besonders linke Einstellung bekannte sächsische Pfarrer und Influencer Justus Geilhufe mit einem Artikel in der "Welt" widersprach. Aus Wachs`Texten über den deutschen Protestantismus lässt sich also leider nicht (nur) Unwissenheit herauslesen, sondern auch der Wille, Dinge verzerrt darzustellen.

Lesen Sie hier: Wie politisch soll die Kirche sein?

Aber vielleicht weiß der Autor tatsächlich nicht, dass das Grundprinzip des Protestantismus Pluralität ist? Dass eine Gastpredigt in Bonn nichts über den Zustand der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aussagt? Dass die EKD sowieso eine Dachorganisation ist, der 20 eigenständige Landeskirchen angehören? Weiß er nicht, dass es nicht die eine evangelische Sicht gibt? Und dass das kein Unfall ist, sondern Absicht, ja geradezu das Herzstück des Protestantismus? Weiß er nicht, dass es in Deutschland an jedem Sonntag ungefähr 12 000 evangelische Gottesdienste gefeiert werden, in denen ebenso so viele unterschiedliche Predigten gehalten werden, die niemand vorher daraufhin überprüft, ob sie aus evangelischer Perspektive politisch korrekt sind?

Lesen Sie hier: Ist Gott queer?

Gut möglich, dass etliche evangelische Pfarrer und Pfarrerinnen in ihren politischen Überzeugungen eher der AfD nahestehen. Andere wählen die Linke. Es gibt grüne Pfarrerinnen und Pfarrer und viele, die sich politisch bei Unionsparteien zuhause fühlen. Es gibt in Württemberg eine evangelische Landeskirche, die vor zwei Wochen beschlossen hat, weiterhin keine homosexuellen Menschen zu trauen. Obwohl es in Deutschland seit 2017 staatlicherseits die "Ehe für alle" gibt. Carl-Victor Wachs könnte darüber schreiben und kommentieren, dass sich hier mal wieder zeige, wie standhaft der Protestantismus dem Zeitgeist die Stirn bietet.

Zum Glück ändert das nichts daran, dass der Protestantismus in Deutschland politisch sehr heterogen ist und bleibt - wie sich ab dem Wochenende auch auf der EKD-Synode in Dresden wieder zeigen wird. Und gerade darin sind die evangelischen Kirchen (im Plural) eine große Bereicherung für dieses Land. Denn all die unterschiedlich denkenden Protestanten und Protestantinnen empfinden trotz allem eine Gemeinschaft und können sich im Gottesdienst und im Gebet zusammenfinden und zeigen, dass Pluralität bereichert.

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