Pfarrer Justus Geilhufe
Pfarrer Justus Geilhufe
Sächsische Zeitung / sächsische.de / Veit Hengst
Debatte um Sonntagsgottesdienst
Monolog des Pfarrers? Ja, bitte!
In der evangelischen Kirche wird über den Sonntagsgottesdienst debattiert. Einige fordern, ihn abzuschaffen. Unser Autor, der sächsische Pfarrer, Buchautor und Influencer Justus Geilhufe, sieht das anders
Veit Hengst / Sächsische Zeitung
10.05.2024
7Min

"Deshalb geh ich doch nicht in die Kirche", sagte mein Freund Ralph Baudach letztens in unserem Podcast. Er ist Sprecher der Tagesschau, bildender Künstler, lebt in einem Hamburger Hipster-Viertel und ist aus der Kirche ausgetreten.

Ich hatte ihm von Sofagottesdiensten erzählt. Diese werden von einigen Vordenkern der Gottesdienstreform als Modell der Zukunft angesehen, um eben jene urbanen High Potentials wie ihn abzuholen. "Was ist das denn?", fragte Ralph. Ich googelte schnell und las vor: "In Zukunft sollte die Kirche einem Wohnzimmer entsprechen und ein Ort sein, an dem Gott als Gastgeber erfahrbar wird. Statt der Anbetung oder der Unterweisung dient der Raum vor allem der Interaktion. Statt Kirchenbänken oder schmuckvollen Altarbildern prägen Sessel und Tische, miteinander geteilte Geschichten und Vernetzungsmöglichkeiten den Raum."

Das Wort zum Sonntag

Die Macher der Sofagottesdienste fordern nun die Abschaffung des Sonntagsgottesdienstes. Leider kann ich Ralph dazu nicht mehr im Podcast befragen. "West-östlicher Alman" war ein Projekt für genau ein Jahr. Doch zum Sofagottesdienst hat Ralph doch noch etwas gesagt und das hat erstaunlich viel mit dem Sonntagsgottesdienst zu tun, der ja nun abgeschafft werden soll: "In die Kirche gehe ich doch nicht, um die Meinung von anderen zu hören. Das Einzige, was die Kirche doch zu bieten hat, ist der Monolog des Pfarrers, dass dort etwas von Gott erklärt wird."

In meiner Wahrnehmung haben die Außenstehenden oft ein untrügliches Gespür dafür, was wir zu tun haben und was nicht. Für Ralph geht es beim Gottesdienst darum, dass nicht er oder andere Mitmenschen, sondern zuerst einmal Gott durch das Lesen aus der Heiligen Schrift und durch die Predigt zu Wort kommt. Er sagt: Nur deshalb geh ich doch zur Kirche und mach dann was für mich draus. Den Rest gibt es doch woanders. In etwa so hat das auch Martin Luther gesagt. Das scheinbar überholte Wort, der Gottesdienst sei der Moment, in dem Gott redet und wir ihm antworten, scheint eine tiefe Wahrheit zu benennen. Und es ist eine Wahrheit, die der Ausgetretene heute ganz unabhängig von Luther, ganz von sich aus formuliert.

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Offenbar sind die geschmähte Unterweisung und Anbetung, man könnte auch sagen: das Erzählen und Sich-regelmäßig-neu-Orientieren, keine bloß historischen Phänomene, wie es die Wohnzimmerkirche sagt, Sie scheinen auch für Außenstehende der Wesenskern des Gottesdienstes zu sein.

Das hat mit der atheistischen Gesellschaft tun zu, in der wir leben. Wir sind so weit, dass die Menschen um uns herum im Großen keine Berührung mit dem Glauben und der kirchlichen Wirklichkeit mehr haben. Das Leben Jesu berührt ihr Leben nicht. In ihrer eigenen Wahrnehmung leben sie damit gut, wenngleich sich aus der Perspektive des Glaubens der Mangel dieses Lebensentwurfs vielgestaltig und deutlich zeigt.

Ja, das meine ich ernst. Ich glaube nicht, dass Atheisten schlechte Menschen sind. Aber ich glaube, dass das eigenartige Leben dieses Jesu, der in Bethlehem geboren wurde, für sie ein großer Schatz sein kann, der noch in ihrem Leben fehlt. Und das ahnt auch Ralph Baudach, der ausgetretene junge Highperformer aus dem Hamburger Szeneviertel. Er gehört zu jenen, deren Leben vollständig unberührt geblieben ist von dem Leben unserer Kirche und die eben genau deshalb punktgenau formulieren können, was es in ihrem Leben auch ohne diese Kirche gibt und was nur durch die Kirche wieder in ihrem Leben Einzug halten würde. Ralph Baudach sagt: Dass man was von Gott und eben nicht von anderen Menschen hört und vielleicht danach mehr mit diesem Gott zu tun hat. Schnöde bezeichnet das die Wohnzimmerkirche als "Unterweisung und Anbetung". Aber "Netzwerken und Interagieren" – wie es die Wohnzimmerkirche will - scheint er selber zu können.

Was unterscheidet Glauben und Unglauben?

Wir vergessen langsam, was im Leben der Menschen in der atheistischen Gesellschaft Einzug halten würde, wenn sie wieder Berührung mit der Welt des Glaubens haben. Glauben wir noch, dass sich durch den Glauben etwas bei den atheistischen Menschen tut? Aktuell scheinbar immer weniger. Vor kurzem saß ich mit dem Soziologen Detlef Pollack auf einem Podium. Als ich davon erzählte, dass wir als Kirchgemeinde in der völlig entkirchlichten Gesellschaft des Ostens etwas haben, was den Menschen hier guttun würde, warnte Pollack mich davor zu behaupten, die Kirche hätte etwas, was der Rest der Welt nicht hat. Das wäre ein rückwärtsgewandtes Denken, das der Selbstwahrnehmung des modernen Menschen und auch dem Auftrag der Kirche gänzlich widerspricht. Ich glaube, mit dieser Meinung ist er nicht allein.

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Nun, wenn ich tatsächlich der Meinung bin, den glaubenden Menschen unterscheidet nichts vom nicht glaubenden Menschen, dann ist der Sonntagmorgengottesdienst tatsächlich eine historisch zufällige Form, die durch alles, was in der Selbstwahrnehmung des modernen Menschen passender zu sein scheint, ersetzt werden kann und sollte. Wenn ich aber nicht dieser Meinung bin, dann weiß ich, dass es den Gottesdienst braucht, um Gott einen Platz im Alltag einzuräumen, der nicht durch mich und meinen Alltag vorgeprägt ist, sondern mich und diesen Alltag verändert. Dann weiß ich, dass der Gottesdienst eine ganz andere und damit eine mein Leben transformierende Gestalt haben muss.

Und diese Gestalt hat natürlich etwas mit dem Tag und der Zeit und der Form des Sonntagsgottesdienstes zu tun. Recht verstanden ist diese Tradition nämlich nicht hohl, sondern sehr lebendig. Wir kommen traditionellerweise Sonntagfrüh zum liturgischen Gottesdienst zusammen, weil Jesus "am dritten Tage nach der Schrift" auferstanden ist und die Frauen eben im Licht des Morgens und nicht im Dunkel der Nacht das Wunder der Auferstehung entdeckt haben. Jeder Teil des lutherischen Gottesdienstes ist dann die Verkündigung dieses Wunders. Der Kyrie-Ruf etwa ist ja keine Erfindung der Kirche, sondern der Ruf eines blinden Mannes, der solange "Jesus erbarme dich" schreit, bis eben dieser Jesus kommt. Das ist es, was der, der glaubt, dass Jesus einen Unterschied im Leben macht, will: dass Jesus in sein Leben kommt. Deshalb rufen wir das zusammen im Gottesdienst und das führt mich zum eigentlichen Argument für den Sonntagmorgengottesdienst: Hinter der Feier dieses Sonntagmorgens steht mehr als Konservativismus und Traditionsbewusstsein.

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