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Betretenes Schweigen. Ausweichende Blicke. Genervtes Stirnrunzeln. Auf der einen Seite des Raums. Schnipsende Finger. Leuchtende Augen. Begeistertes Erwachen aus der akademischen Lethargie eines langen Nachmittags im theologischen Seminar auf der anderen Seite.
Was war geschehen? Ich hatte die Frage gestellt – oder besser: eine dieser Fragen, mit denen man derzeit nicht nur theologische Seminare an der Universität aufweckt und potenziell spaltet: Ist Kirche politisch?
Frederike van Oorschot
Ja, nein, vielleicht, kommt drauf an. Diese Antworten schwirrten die kommende Stunde durch den Raum. Die Antworten wechselten dabei erstaunlich häufig die Seiten. Je nach Thema und der politischen Überzeugung dazu. Je nach religiöser Prägung und dem Teil von "Kirche", der jeweils vor Augen steht. Und je nachdem, was als "politisch" verstanden wird.
Ja, Kirche ist politisch: Selbstverständlich ist die Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger Jesu politisch. In der Nachfolge Jesu zu stehen, bedeutet, wie Jesus Teil der politischen Welt zu sein und keine Angst zu haben, die ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen der eigenen Überzeugungen zu benennen. Und aktiv dafür einzutreten. Deshalb ist es und muss es konstitutiver Teil von Kirche sein, alle politischen Mittel auszuschöpfen, um für diese Überzeugungen einzustehen: Dass man keine Menschen ertrinken lässt. Dass soziale Gerechtigkeit die zentrale Aufgabe einer Gesellschaft ist. Dass Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Lüge klar zu benennen und mit allen demokratischen Mitteln zu bekämpfen sind.
Der christliche Glaube lebt neben seinen spirituellen auch in seinen ethischen – und damit gesellschaftlichen, ökonomischen und auch politischen – Dimensionen. Und daher: Ja, Kirche ist politisch.
Nein, Kirche ist nicht politisch: Zwei Missverständnisse haben wir in unserer Diskussion aufgedeckt. Zum einen ist "Kirche" keine monolithische Einheit, die eine politische Position haben könnte. In den Kirchen wird vielmehr, von der Eine-Welt-Gruppe vor Ort über Christians for Future bis hin zu Kirchenkonferenzen, politisch gestritten.
Entscheidend ist dieser gemeinsame Streit um die Frage, was es in der jeweiligen Gegenwart bedeutet, Christin, Christ zu sein – auch für politische Entscheidungen. Aus diesem erwachsen dann punktuell Positionen.
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Das zweite Missverständnis betrifft das Verständnis von Politik: Dass Kirche politisch ist, äußert sich nicht primär darin, dass sie Politik macht oder sich in den politischen Institutionen einbringt. Es bedeutet vielmehr, dass sie sich im "Politischen" engagiert, also in den Debatten um das, was uns als Menschen verbindet – so unterschiedlich wir auch sind (Hannah Arendt). Das kann – muss aber nicht – dazu führen, dass Kirchenvertretende auf allen Ebenen sich zu konkreten Fragen in Widerspruch oder Übereinstimmung mit parteipolitischen Entscheidungen äußern und die Möglichkeiten institutionalisierter Politik nutzen, um für ihre Überzeugungen einzustehen.
Am Ende schwirrte allen der Kopf. Und wir kamen in unserer Seminardiskussion zu informierten und nuancierten "Vielleichts" und "Kommt drauf an". Dabei waren wir uns erstaunlich einig, dass "ja, nein, vielleicht, kommt drauf an" zwar eine verwirrende, aber der komplexen Sache von "Kirche" und "Politik" angemessene Antwort ist. Dass pauschale Verurteilungen, nicht oder zu sehr politisch zu sein, weder der Kirche noch der Politik gerecht werden. Und den auf den ersten Blick eindeutig verteilten Positionen auf den Seiten des Seminarraums ebenso wenig.