Verzicht und Überfluss im Christentum
"Überfluss ist etwas Tolles"
Wer mehr als nötig hat, kann anderen etwas abgeben: Freundschaft und Liebe zum Beispiel. Oder Geld. chrismon-Herausgeberin Frederike van Oorschot über die guten Seiten des Überflusses
Illustration Frederike van Oorschot
Frederike van Oorschot - "Überfluss ist etwas Tolles"
Justine Lecouffe/Inky Illustration
Lena Uphoff
02.01.2024

Was haben Sie im Überfluss?

Geld und Freunde und Liebe und Sicherheit. Eine ganze Menge also.

Was heißt Überfluss für Sie?

Mehr zu haben als nur das Nötige zum Leben. ­Also mehr als die meisten Menschen auf der Welt. So viel, dass ich etwas abgeben kann. Überfluss ist ja immer auch eine Vergleichsfrage. Deswegen sage ich, dass ich Geld, Freunde, Liebe im Überfluss habe. Natürlich ­stehe ich auch vor Dingen, die ich mir gern kaufen würde, aber mir jetzt gerade nicht leisten kann, oder sehne mich manchmal nach ­mehr Liebe.

Wie teilen Sie Dinge, die Sie im Überfluss haben?

Liebe und Freundschaft zu teilen ­bedeutet vor allem, Zeit und Aufmerksamkeit zu ­teilen. Konkret: mit Freunden ausgehen, mit den Kindern spielen. Die Zeit ist bei mir oft knapp. Davon habe ich natürlich nicht unendlich viel. Mit Geld ist es einfacher, das kann ich ­spenden.

Privat

Frederike van Oorschot

Die promovierte Theologin leitet den Arbeitsbereich "Religion, Recht und Kultur" an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), einem interdisziplinären Forschungsinstitut mit Sitz in Heidelberg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind dort unter anderem der digitale Wandel in Theologie und Gesellschaft. Sie unterrichtet als Privatdozentin an der Universität Heidelberg. Seit Mai 2023 ist sie Mitherausgeberin bei chrismon.

Teilen Sie Liebe und Freundschaft auch mit Menschen, die davon zu wenig haben? Oder eher nur mit denen, die Ihnen nahestehen?

Mit meinen Lieben sowieso. Aber auch mit ­anderen: In der Kirchengemeinde haben wir ein Café aufgemacht. Dorthin kommen viele Menschen, die zu Hause allein sind und mir eigentlich nicht nahe­stehen. Die kommen zum Reden. Und ich trinke Kaffee und höre einfach nur zu.

Was können Sie entbehren?

Es gibt natürlich doofe Dinge, auf die ich gern verzichten würde. Der zwanzigste Virus aus der Grundschule ­meiner Kinder oder ewige sinnlose Meetings bei der Arbeit. ­ Aber das liegt ja nicht in meiner Hand. Auf schöne ­ Dinge zu verzichten, fällt mir nicht leicht. Insgesamt habe ­ich in meinem Leben wenig Sachen, auf die ich ganz­ ­verzichten möchte.

Gibt es etwas, auf das man als Christ verzichten sollte, obwohl man vielleicht gar nicht will?

Für mich stellt das Christliche die Gemeinschaft in den Vordergrund: Ich bin nicht allein auf dieser Welt, und ­diese Welt ist nicht nur für mich da. Das finde ich auch in der Bibel. "Einer trage des andern Last", so beschreibt der Galaterbrief die Erfüllung des Gesetzes Christi. Also: Es gibt keine konkrete Liste von Sachen, auf die ich verzichten müsste wie zum Beispiel aufs Fliegen. Aber ich muss mich bei allem fragen, ob die Dinge gerecht verteilt sind und ich mir leisten will, davon zu nehmen. Das heißt auch: Verzichten können nur die, die mehr als genug haben.

Ist aus christlicher Perspektive Verzicht besser als Überfluss?

Nein. Denn Überfluss ist ja etwas Tolles. In der Bibel verspricht Gott an vielen Stellen Überfluss: Das Land, wo Milch und Honig fließen, ist das bekannteste Bild dafür. Es gibt also keinen Grund, grundsätzlich ein Loblied aufs Verzichten zu singen. Es hängt immer davon ab, was ich erreichen will.

Zum Beispiel?

Wenn ich auf Geld verzichte, damit ­andere genug zu essen habe, ist das sehr wichtig und gut. Oder wenn ich auf Medien verzichte, um mich auf meine Freunde zu konzentrieren; aufs Fliegen, um meinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten; oder darauf, meinen Rasen zu wässern, damit der Grundwasserspiegel nicht weiter abnimmt und so weiter. Das Ziel, das ich erreichen will, ist wichtiger: Zeit für Freunde statt die neuste Netflixserie, eine Spende an eine Obdachlosenunterkunft statt noch ein paar Schuhe. Dann ist Verzicht für mich etwas Positives.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.