Kirche und Politik
Besser deinen Nächsten lieben als die Nation
Wenn Bibelworte herhalten müssen, um Angst vor Fremden zu schüren, Grenzen dicht zu machen und Egoismus zu predigen, müssen Christinnen und Christen widersprechen. Ein Kommentar
Beschädigte FPÖ Plakate, Nationalratswahl am 29.09.2024 - 2024.09.05
Die FPÖ in Österreich benutzte und verdrehte eine Formel aus dem Vaterunser im Wahlkampf im September 2024
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31.10.2025
4Min

Glaube, Hoffnung, Liebe - diese drei Worte des Apostels Paulus bilden seit fast zweitausend Jahren das Herz des Christentums. Doch wenn ein Politiker sie auf einem Parteitag zitiert, bekommen sie plötzlich einen anderen Klang.

Ende September hat der österreichische FPÖ-Chef Herbert Kickl sie in einer Parteitagsrede bemüht – nicht als Bekenntnis des Glaubens, sondern als politische Parole. Er wolle der Bevölkerung, insbesondere Älteren, Kindern und Leistungsträgern, "Glaube, Hoffnung und Liebe" zurückgeben. Gleichzeitig sprach er davon, Grenzen zu schließen und die Festung Österreich zu verteidigen. Damit deutete er die paulinische Trias um: Glaube wurde zum Glauben an die eigene Nation, Hoffnung zur Hoffnung auf ein starkes, abgeschottetes Österreich, Liebe zur Liebe zur Heimat, die Abgrenzung rechtfertigt.

Kickl sprach von einer "Totalumkehr", forderte "Asylstopp und Remigration" und erklärte es zur "Sünde", wenn eine Regierung "das eigene Land nicht liebt". So wurde aus der universalen Botschaft christlicher Nächstenliebe eine exklusive Selbstliebe – das Evangelium verkehrte sich in nationale Selbstvergewisserung. Und es war bei weitem nicht das erste Mal, dass die Bibel von Kickl und seiner Partei parteipolitisch vereinnahmt wurde. Kirchliche Stimmen reagierten zu Recht alarmiert.

Kickl ist nicht der einzige, der das Christentum für seine Parteipolitik instrumentalisiert. In den USA wurde die Trauerfeier des ermordeten Aktivisten Charlie Kirk zu einer Show des christlichen Nationalismus. Und auch in Deutschland gibt es Verbindungen zwischen manchen rechtskatholischen und freikirchlichen Kreisen und der AfD, in der christlicher Fundamentalismus und Nationalismus eine unheilige Allianz eingehen.

Extreme Parteien heften sich den "Schutz des christlichen Abendlandes" auf die Fahnen – meinen damit aber nicht das Evangelium, sondern kulturelle Identitätspolitik. Wenn Bibelworte herhalten müssen, um Angst vor Fremden oder Vielfalt zu rechtfertigen, dann müssen Christinnen und Christen widersprechen. Gerade deshalb ist es wichtig, sich am Reformationstag auf das zu besinnen, wofür Glaube steht – und wozu wir uns im sogenannten "christlichen Abendland" eigentlich bekennen.

Das Wort Gottes will versöhnen, nicht spalten

Dazu hilft der Blick auf ein uraltes Wort, das zunächst gar nicht an Christinnen und Christen gerichtet war, sondern an das Volk Israel: das Schma Israel, das zentrale jüdische Glaubensbekenntnis. "Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein." Dieses Hören ist der Herzschlag des Glaubens. Glaube beginnt nicht mit Reden, sondern mit Hören – und darin können wir von unseren jüdischen Geschwistern lernen.

Auch die Reformation begann mit einem Hören. Martin Luther hörte das Evangelium neu – und konnte nicht mehr schweigen. Aus dem Hören wurde Bekenntnis, aus der Erfahrung der Gnade erwuchs Freiheit. "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" – das war kein trotziges Statement, sondern das Echo eines gehörten Wortes.

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Auch heute, im Jahr 2025, ist dieses Hören wesentlich. Wir müssen hinhören, wenn Menschen christliche Sprache benutzen, um ihre eigene Ideologie zu untermauern und Grenzen zu ziehen, statt Brücken zu bauen.

Wir müssen aufmerksam sein, wenn Kreuze zu Symbolen der Abgrenzung und Bibelverse zu Schlagworten gegen Minderheiten werden. Dann ist es nämlich höchste Zeit, das Wort zurückzuholen. Das Wort Gottes, das befreien will, nicht binden. Versöhnen, nicht spalten. Wir müssen hinhören, um Gottes Stimme von den lauten Stimmen der Zeit zu unterscheiden.

Für Christen gilt: Gnade vor Leistung

Und wir müssen wissen, wozu wir uns bekennen. Und dazu hilft der Blick in die Bibel und in unsere Bekenntnisschrift. Die Confessio Augustana – das Augsburger Bekenntnis von 1530 – erinnert uns daran, was der Kern evangelischen Glaubens ist. Sie entstand in einer Zeit, in der Kirche und Gesellschaft im Umbruch waren. Und sie antwortete auf die Frage, die auch heute wieder drängt: Woran halten wir fest, wenn vieles wankt?

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Die Reformatoren bekannten sich zu einem Glauben, der befreit, nicht antreibt und zu einem Gott, der uns nicht nach Leistung beurteilt, sondern in Liebe ansieht. Sie bekannten sich zu einer Kirche, die nicht herrscht, sondern dient und zu einer persönlichen Freiheit, die Verantwortung einschließt. Im Zentrum immer Christus – nicht als Symbol, sondern als lebendige Mitte allen Glaubens.

Und daher gilt auch heute für Christinnen und Christen: Gnade vor Leistung. Vertrauen vor Recht haben. Dienst vor Prestige. Freiheit mit Verantwortung. Christus im Zentrum, das bedeutet, dass sich unser Tun und Reden an seinem Doppelgebot der Liebe prüfen lassen muss: an der Zuwendung zu Gott und am Mitgefühl für den Nächsten.

Diese reformatorischen Grunderkenntnisse widersprechen fast allem, was in unserer Gesellschaft hoch im Kurs steht – und gerade deshalb sind sie so heilsam. Reformation heute heißt also, immer wieder neu hören, was uns trägt. Immer wieder unterscheiden lernen zwischen Gottes Wort und menschlichen Parolen. Und immer wieder entdecken, dass Glaube, Hoffnung und Liebe keine Schlagworte sind, sondern Haltungen.

Glaube, der vertraut, selbst wenn vieles unverständlich bleibt. Hoffnung, die standhält, auch wenn das Ende offen ist. Liebe, die den Menschen sieht – nicht die Herkunft, nicht die Meinung, nicht die Zugehörigkeit. Das ist das Bekenntnis, zu dem wir heute stehen dürfen.

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