Digital erzeugtes Bild mehrerer rechteckiger Umweltquerschnitte mit verschiedenen Arten der Energieversorgung. Konzept einer nachhaltigen Stadt.
Noch besteht beides nebeneinander, nachhaltige und fossile Strukturen. Welche setzen sich durch?
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Nachhaltiges Investment
Verbessert Geld die Welt?
Wie "grün" und ethisch können nachhaltige Finanzprodukte sein? Marlene Waske nimmt Unternehmen als Researcherin ganz genau unter die Lupe. Wer ihr zuhört, lernt: Hundertprozentige Eindeutigkeit ist selten
Tim Wegner
27.10.2025
5Min

Reisen verändern Menschen. Als Marlene Waske während ihres Studiums sechs Monate in Papua-Neuguinea lebte, begegnete ihr eine enorme Ungleichheit. Es gab sehr wenige Reiche und sehr viele Arme. Waske studierte Volkswirtschaft und Ethnologie. Das theoretische Wissen über Märkte und Kulturen war eine Sache – zu spüren, was das in manchen Weltregionen für Menschen bedeutete, eine Erfahrung, die sie nachhaltig prägte.

2009 kehrte Marlene Waske nach Deutschland zurück. Ihr fiel ein Prospekt einer Schweizer Vermögensverwaltungsgesellschaft in die Hände – darin das Versprechen, Kundengelder nachhaltig zu investieren und so die Transformation hin zu einer gerechteren, "grüneren" Welt zu unterstützen. Das war ihre erste Begegnung mit "Arete Ethik Invest".

Dreizehn Jahre später sitzt Waske im "Frankfurter Salon", einem Kaffeehaus in der Nähe der Paulskirche, und weiß noch genau, was sie dachte, als sie erstmals von Arete las: "Ich glaube euch kein Wort!" Sie beließ es nicht bei diesem Gedanken, sondern schickte eine Mail nach Zürich und bot an, ihren Zweifeln im Rahmen einer Magisterarbeit nachzugehen. Die Antwort: "Natürlich, gern!"

Heute leitet Marlene Waske mit ihrem Kollegen Michael Heumann das Research-Team von Arete Ethik Invest – meist vom Rande des Spreewaldes aus, wo sie mit ihrer Familie in einem ehemaligen Pfarrhaus lebt. Wer länger mit ihr spricht, bekommt eine Ahnung davon, wie sehr der Teufel im Detail steckt, wenn es um ethisches und nachhaltiges Investment geht.

Waskes Arbeit beginnt, wenn das Portfoliomanagement von Arete wissen möchte, ob eine bestimmte Firma für ein Investment infrage kommt. Sprich: Ob Arete für die Kundinnen und Kunden in Aktien dieses Unternehmens investieren sollte. Manche Branchen und Firmen haben von vornherein keine Chance, im Portfolio zu landen. Die Herstellung militärischer Waffen, Missachtung von Menschenrechten, Geringschätzung natürlicher Ressourcen, Kernenergie oder Korruption – wenn Unternehmen damit in Verbindung stehen, ist das ein Ausschlusskriterium.

Was tun Unternehmen für eine enkeltaugliche Welt?

Was aber auf Waskes Schreibtisch landet, erfordert deutlich mehr Differenzierung als nur ein schlichtes Ja oder Nein. Dabei helfen ihr fünf Blickwinkel. Der erste ist ein ethischer: "Ich frage mich zum Beispiel, wie ein Unternehmen Verantwortung übernimmt: was tut es, für eine enkeltaugliche Welt?" Der zweite richtet sich auf das, was ein Unternehmen produziert und anbietet: Ist es ökologisch oder sozial sinnvoll? Die dritte Dimension betrifft interne Prozesse – etwa: Wie geht eine Firma mit ihren Mitarbeitenden um? Die vierte und fünfte Perspektive nimmt Marlene Waske ein, wenn sie nach dem Schutz natürlicher Ressourcen und nach der Transparenz fragt, die Unternehmen walten lassen.

Im Detail bedeutet das für Marlene Waske und ihre Kollegen Michael Heumann, Stefan Streiff und Lukas Egetemayer viel Arbeit. Sie durchforsten Medienberichte, auch von Spezialportalen, studieren Geschäftsberichte, befragen Expertinnen und besuchen gelegentlich Unternehmen vor Ort – ein ZDF-Team hat sie dabei schon begleitet.

Um selbst möglichst transparent zu agieren, gewährt Arete Interessierten die Möglichkeit, live in einer Videokonferenz dabei zu sein, wenn Marlene Waske und ihre Kollegen dem Ethik-Komitee von ihren Recherchen berichten. In diesem Gremium sitzen Expertinnen und Experten, die auf bestimmten Gebieten über tiefes Fachwissen verfügen: ein Sozialethiker zum Beispiel, eine Spezialistin für Umweltgifte oder eine Medizinethikerin.

Ich habe selbst die Chance genutzt, in einer solchen Sitzung dabei zu sein. Es ging unter anderem um die Bewertung eines börsennotierten Tiermittelherstellers aus den USA. Die Argumente gingen sehr ins Detail. Kühlt das Unternehmen seine Bestände mithilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen? Und wie ist es überhaupt zu bewerten, dass Tiere geschlachtet werden, damit Haustiere Futter haben? Ethisch betrachtet ist das nicht leicht zu entscheiden – denn ein Lebewesen stirbt für ein anderes und wurde zuvor sehr CO₂-intensiv gehalten. Aber immerhin werden im Tierfutter auch Reste von Nutztieren verwertet, die kein Mensch mehr essen möchte. Und hat es nicht auch einen ethischen Wert, wenn einsame Menschen ein Haustier zum Begleiter haben, das nun mal fressen muss?

Kann ein Rüstungskonzern nachhaltig sein?

Auch Waffenhersteller waren für Anbieter im ethischen Investment lange ein rotes Tuch – und sind es für Arete immer noch. Andere Investmentgesellschaften haben ihre Haltung verändert, weil Waffen auch der Verteidigung gegen Russlands Expansionspläne dienen können. Bei "Dual-Use"-Produkten, also bei Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, fällt die Bewertung differenzierter aus.

Diese Fragen und Argumente zeigen, dass Waskes Arbeit selten in eindeutigen Schwarz-Weiß-Kategorien zu fassen ist. Bei manchen Unternehmen, die schon sehr nachhaltig sind, ist die Bewertung oft weniger komplex. Doch es gibt viele Produkte, die man aus sehr unterschiedlichen Perspektiven sehen kann: "Wann wird eine Software zur Waffe? Ist Medizintechnik immer gut? Und Abfallentsorgung? In solchen Fällen ringt unser Ethik-Komitee um jeden Punkt - mit der Konsequenz, dass Titel auf einer Skala von 'ethisch noch vertretbar' bis 'ethisch hochwertig' beurteilt werden. Und dies können wir in den Portfolios unserer Kunden widerspiegeln. Und es zeigt, wo guter Wille ist – und Spielraum, den Arete mit einem Investment nutzen kann. Wenn wir nur in ‚dunkelgrüne‘ und schon perfekte Unternehmen investieren würden, könnten wir mit den Geldern unserer Kunden auch nichts mehr in Richtung Nachhaltigkeit verbessern", sagt Waske.

Fast ein Jahrzehnt verfolgt sie das Thema Nachhaltigkeit nun bis ins Detail und hat auch den Boom des ethischen Investments miterlebt, der mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der Energiepreiskrise ein jähes Ende fand. Seitdem ist es schwieriger geworden, Menschen von nachhaltigen Geldanlagen zu überzeugen, obwohl diese auf lange Sicht den Renditechancen konventioneller Anlagen nicht nachstehen.

Doch alles, was "grün" klingt, sei in Verruf geraten, meint Gunter Schäfer, der Vertrieb, Marketing und Kommunikation in Deutschland betreut. Diese Entwicklung habe auch ihr Gutes: "Früher war die Gier dabei, auch in unserem Markt die Oberhand zu gewinnen. Geblieben sind die Überzeugten und Gründlichen." Für die Kunden sei das besser, weil sich verlässlicher sagen lasse, was wirklich eine nachhaltige Geldanlage ist.

Marlene Waske ist anzumerken, dass ihr die Transformation nicht schnell genug geht. Die Klimakrise lastet auf der Zukunft, die Artenvielfalt ist bedroht, Ewigkeitschemikalien belasten unsere Umwelt. Die Welt ist immer noch ein ungerechter Ort – und wenn Waske bei ihren Recherchen erkennen muss, dass Konzerne, die mit hehren Zielen werben, im Detail schlecht dastehen, geht sie hinaus in den Garten hinterm Pfarrhaus, in dem Hühner gackern und Insekten umherschwirren.

Einmal tief durchatmen! Draußen in der Natur kommt sie zur Ruhe und fasst neuen Mut, ihr Ziel zu verfolgen: "Man muss mit stoisch kleinen Schritten in die richtige Richtung gehen. Und Geduld. Dann kommt man an."

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Kolumne

Nils Husman

"Wir müssen die Schöpfung bewahren!“ Da sind wir uns alle einig. Doch was heißt das konkret? Nils Husmann findet, wer die Schöpfung bewahren will, sollte wissen, was eine Kilowattstunde ist oder wie wir Strom aus Sonne und Wind speichern können – um nur zwei Beispiele zu nennen. Darüber schreibt er - und über Menschen und Ideen, die Hoffnung machen. Auch, aber nicht nur aus Kirchenkreisen.