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Das eigene Moped. Am besten eine Simson. Dieser Gedanke trieb viele meiner Freunde um, als wir um die 15 Jahre alt waren. Ein eigenes Moped bedeutete Freiheit und vor allem Selbständigkeit. Wer eines hatte, fuhr damit zur Schule, parkte auf dem extra Moped-Parkplatz und wurde sofort enorm "wichtig". Sicher auch für die Mädchen. So jedenfalls dachte ich damals.
Dabei gehörte ich gar nicht zu den "coolen" Jungs, denn ich hatte keine Simson. Als kleiner Junge war ich als Beifahrer hinten auf dem Sozius bei meinem Cousin mal mit der Ferse in eine Speiche gekommen. Ich hatte eine Verletzung und seither schlichtweg Angst. So ein Ding selber fahren, das wollte ich auf keinen Fall, auch nicht als Pubertierender.
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Trotzdem gehörten sie auch beim mir zum Alltag. Sie waren allgegenwärtig in den Städten und auf den Landstraßen, allein schon durch ihr Geknatter und die Auspuffgase. Ein eigenes Auto zu haben war die Ausnahme in der DDR meiner Jugend. Doch ein Moped, das konnten sich mehr Menschen leisten. Selbst ich saß - immer mit Magengrummeln - hin und wieder bei so einer Maschine hinten auf.
Das alles fiel mir ein, als ich in der ARD-Mediathek über eine Folge der satirischen Politik-Sendung von Anja Reschke stolperte. Denn dort kamen diese Mopeds vor. Der Kern von Reschkes Sendung ist die Idee einer Paartherapie, zwischen Ost- (die Ehefrau) und West- (der Ehemann) Deutschland. Beide sind mittelalt, schon lange verheiratet und sitzen nun auf einer Couch. Vor ihnen als fragende Therapeutin Anja Reschke, die sich zwischendurch immer mal wieder Rat von dem echten Paartherapeuten Eric Hegmann holt
Die Idee finde ich charmant und kreativ: Ost- und Westdeutschland als langjährige, mittlerweile fett in die Krise geratene Liebesbeziehung. Einst mit großem Knall (Mauerfall) im Liebesrausch begonnen, überziehen wir uns nun mit gegenseitigen Vorwürfen, von Besser-Wessie bis Jammer-Ossie. Erschienen ist die Sendung vergangenes Jahr kurz nach den Bundestagswahlen, aber vieles ist heute sogar noch aktueller.
Es macht Spaß, sich diesen Inhalt anzusehen. Vieles hat mich berührt und amüsiert. Die gespielten Emotionen, die Entrüstung und Enttäuschung in der Liebesbeziehung sind einfach herrlich und auch realistisch. Nicht alles fand ich treffend, aber was mich vor allem bewegt hat, war erneut meine ganz persönliche Erkenntnis, wie sehr beschenkt ich mich durch die Wende damals und auch heute noch fühle.
Ich bin in Eisenach nahe der DDR-BRD-Grenze aufgewachsen. 1989 mit 12 Jahren erlebte ich bewusst, wie eingeschränkt unsere Möglichkeiten waren, auch den Mangel, den Verfall und die fehlende Freiheit der Worte. Der Umbruch 1989/1990 brachte völlig neue Möglichkeiten für mein Leben. Die Bedeutung von vielem verstehe ich erst heute als Erwachsener.
Jetzt konnte ich mich in alle Himmelsrichtungen bewegen. Im wahrsten Sinne des Wortes lag die Freiheit vor mir. Ich konnte reisen, wegfahren, und sei es nur mal kurz auf einem Fahrradausflug in die Umgebung von Eisenach. Mehrfach kreuzten wir an einem Tag die ehemalige innerdeutsche Grenze, sahen die stillgelegten Grenzanlagen. Noch wenige Monate zuvor wären wir nicht mal in deren Nähe gekommen. Meinungsfreiheit, Konsummöglichkeiten, berufliche Entwicklung und vieles mehr kamen hinzu.
Und dieses Gefühl einer grundsätzlichen Dankbarkeit prägt noch heute meine Sicht, auch auf die Gegenwart. "Therapeutin" Reschke rät genau das dem zerstrittenen Paar: Schaut auf das, was ihr habt, anstatt immer nur die Defizite zu sehen.
Wie schön wäre es, wenn wir alle das öfter machen würden. Wenn wir weniger das Trennende hervorheben, sondern das Gemeinsame stärken könnten? Oder Ungleichheiten im Interesse aller konkret benennen und abbauen, anstatt benachteiligten Bevölkerungsgruppen die Auswege zu erschweren?
Und dazu gehört auch, "unsere" Kultur und Tradition nicht als etwas Besonderes im Vergleich zu der jeweils anderen, von "drüben", zu stilisieren. Nur dann bleiben wir nicht in einer "die"-und-"wir"-Mentalität stecken.
Und damit bin ich wieder bei den Simsons.
Bei einem großen Simson-Treffen in Zwickau kamen vor kurzem über 6000 Moped-Fans zusammen. Oberflächlich betrachtet klingt es nach einem rauen, lauten Treffen junger Menschen mit vielen Simson-Mopeds. Genauer betrachtet geht es dort ruppig, ausgrenzend, sexistisch und eben auch nationalistisch zu. Und die AfD nutzt das schamlos aus. Ich finde es schändlich.
Dort lässt sich auch eine starke Verklärung der DDR-Geschichte beobachten. Es wird etwas gefeiert, was nicht zum Feiern war. Das lässt sich ganz einfach beschreiben. Denn hätten meine Freunde damals wirklich eine Wahl gehabt, hätten sie ziemlich sicher ein Westmodell der ständig kaputten Simson vorgezogen. Doch in der grassierenden und verfälschenden Ostalgie-Welt kommt diese Realität nicht vor, genauso wenig wie die andere, die bestimmt nicht nur für mich viel wichtiger war.
Ob mit Simson oder Rad oder zu Fuß oder Trabbi: Kurz hinter Eisenach waren alle Straßen Sackgassen. Für alle Bürgerinnen und Bürger der DDR. Es war ja nicht mal möglich, sich der Landesgrenze auch nur zu nähern. Wir waren schlicht vollkommen unfrei.
Nochmal zur Liebesbeziehung. Ich finde, wir müssen uns ja nicht alle lieben. Aber wir könnten uns besser gegenseitig wahrnehmen, in unseren Geschichten, mit den uns eigenen Verletzungen. Wir könnten gemeinsam versuchen, die Ungleichheiten abzubauen, zum Vorteil aller. Das wäre doch eine attraktive Form der Partnerschaft.
Sicherlich knattern dann auch noch Simson-Mopeds durch deren Alltag. Aber ganz gewiss nicht, um damit Ostdeutsche über andere zu erheben. Sondern einfach, um mit einem verlässlichen Gefährt von A nach B zu kommen, ganz ohne Grenzen, aber mit vielen positiven Emotionen.