Ukrainians celebrate the Vyshivanka Day in Berlin
Ukrainerinnen in traditionellen Wyschywanka-Blusen in Berlin
K.M.Krause/snapshot-photography/IMAGO
Ukrainischer Feiertag
Ein Fest für den Zusammenhalt
Im Mai feiern wir in der Ukraine den Wyschywanka-Tag. Auch wir hier in Deutschland. Was genau feiern wir? Welche Symbolik hat dieser Tag für uns?
Lena Uphoff
29.04.2025
3Min

Jedes Jahr am dritten Donnerstag im Mai feiern Ukrainerinnen auf der ganzen Welt traditionell den Wyschywanka-Tag. Eine Wyschywanka ist ein mit ornamentalen Stickereien verziertes Hemd. Auf Ukrainisch bedeutet "wyschywaty" sticken. Dieses Hemd ist ein wichtiger Bestandteil der ukrainischen Nationalkleidung.

Mit dem Beginn des großen Krieges Russlands gegen die Ukraine bekam der Wyschywanka-Tag eine besondere Bedeutung. Wyschywanka ist jetzt ein Symbol für die Unbezwingbarkeit des ukrainischen Geistes sowie für die Einheit der Ukrainer auf der ganzen Welt. Auch ich habe 2014 begonnen, diese Tradition zu pflegen, als ich zum ersten Mal nach Deutschland gezogen war.

Für mich, wie vermutlich für viele andere Menschen, die zum ersten Mal im Ausland leben, war das ein interessanter psychologischer Moment. Ich wurde mir meiner eigenen nationalen Identität bewusst. In der fremden Umgebung begann ich, meine kulturellen Besonderheiten und Vorlieben deutlicher zu erkennen. Anders als zu Hause. Jetzt, fremd in Deutschland, sehnte ich mich nach den Traditionen und Gepflogenheiten meiner Heimat, und dazu gehören auch die Feiertage, etwa der Wyschywanka-Tag.

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Ich vermisste ihn und trage seither an diesem Tag ein besticktes Hemd und treffe mich mit der ukrainischen Gemeinde. Das wichtigste Ereignis an diesem Tag ist ein festlicher Umzug in bestickter Kleidung. Auch Mitarbeitende der Botschaften verschiedener Länder in der Ukraine, beispielsweise der deutschen Botschaft in Kyjiw, schließen sich jedes Jahr dieser Tradition an. Hinzu kommen Vorführungen im traditionellen ukrainischen Rundtanz. Wir singen Volkslieder und essen Spezialitäten aus der ukrainischen Küche.

In Frankfurt findet der Tag am 17. Juni statt, in Hamburg einen Tag früher. Gefeiert wird überall da, wo es eine ausreichend große ukrainische Diaspora gibt. Ich weiß es von über 60 Ländern.

Die Wyschywanka hat für uns eine besondere Bedeutung. Die ältesten gefundenen bestickten Hemden in der Ukraine wurden auf das 6. Jahrhundert datiert. Traditionell wurden sie aus natürlichen Materialien wie Leinen, Hanf oder Baumwolle hergestellt, die gut bestickt werden können.

Vor dem Aufkommen künstlicher Farbstoffe verwendeten Stickerinnen ausschließlich natürliche Farben, die sie aus Fruchtsäften herstellten oder indem sie Kräuter, Rinden, Blumen abkochten. So wurden beispielsweise alle Gelbtöne aus Weizenstroh gewonnen. Durch die Wärmebehandlung wird der Farbton über Jahre hinweg fixiert.

In der Ukraine gibt es heute etwa hundert Sticktechniken. Das Besticken eines Hemdes dauert oft mehrere Wochen oder Monate - manchmal auch mehrere Jahre. Das Muster stellt eine Art Code dar, aus dessen Symbolen sich eine geheime Botschaft lesen lässt. Die Arten der Verzierung unterscheiden sich nicht nur von Region zu Region, sondern auch von Familie zu Familie. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben. Beispielsweise ist ein Rhombus ein Symbol der Fruchtbarkeit und kann das Wohlergehen der Familie verbessern. Mohnblumen bedeuten: starker Schutz gegen das Böse; Viburnum (Schneeball) heißt Langlebigkeit für die Familie; Kamille ist ein Symbol für Liebe und Jugend; die Spirale ein Symbol der Veränderung.

Das erste bestickten Hemd für ein Neugeborenes wurde in alten Zeiten aus der Kleidung der Eltern genäht. Man glaubte, dass diese Kleidung die elterliche Energie speichert und das Kind so vor dem bösen Blick und Krankheiten schütze. Die Hemden der Mädchen wurden aus den Hemden ihrer Mütter, und die Hemden der Jungen aus denen ihrer Väter hergestellt. Dem Mädchenhemd wurde ein Symbol gegen Unfruchtbarkeit aufgestickt; dem Jungenhemd Symbole, die vor Naturgewalten und Verletzungen schützen sollten.

Außerdem mussten die Mädchen ein Hemd für ihren zukünftigen Ehemann besticken. Auch hier gab es viele überlieferte Traditionen. So war beispielsweise das Sticken nachts verboten. Die Mädchen durften nur alleine sticken, und die Arbeit durfte nur mit einer neuen Nadel begonnen werden. Die Männer wiederum vertrauten nur einem Mädchen das Waschen ihrer Hemden an: Auf diese Weise bekräftigten sie ihre Treue zu ihrer Geliebten.

Heute erleben einige dieser Traditionen ein Comeback. Viele junge Ukrainerinnen erlernen Sticktechniken neu und stellen ihre eigenen Nationalhemden her. Mir gefällt auch sehr, dass ukrainische Stickmotive manchmal von weltberühmten Designern verwendet werden. Für mich ist dies ein kraftvolles Symbol für die Einheit von Vergangenheit und Gegenwart: Wir schreiten mutig voran, aber denken an die Lehren unserer Vorfahren.

Infobox

In Frankfurt wird der Wyschywanka-Tag schon seit Jahren mit Unterstützung des Vereins "Humanitäre Hilfe für die Ukraine e.V." organisiert. Ein wichtiger Bestandteil des Feiertages ist neben den Umzügen und den Vorstellungen immer auch ein Wohltätigkeitsbasar.

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Kolumne

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