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Neulich war Hanna bei uns zu Besuch. Zusammen mit ihrem Sohn Lew. Beide kommen aus der Ukraine und leben mit dem Großvater, der medizinische Hilfe braucht, ein paar Häuser weiter. Mit großem Eifer lernen sie Deutsch, denn Lew will in einem Jahr Abitur machen und dann Architektur studieren. Seine Mutter möchte wieder Vollzeit arbeiten - wie zuhause an der Universität.
Hannas Mann und der ältere Sohn sind mit der Oma in der Heimat geblieben. Die beiden Männer werden im Krieg gebraucht. Es ist schwer für Hanna und Lew, hier zu sein - weg von daheim, getrennt von ihren liebsten Menschen. Natürlich wird telefoniert, was das Zeug hält, und die zwei Brüder arbeiten täglich miteinander am Computer. Alle tun an dem Ort, an dem sie gerade sind, das, was nötig ist - für die Familie, für andere, für sich selbst.
„Wurrrrschtsalat“, sagt Hanna und staunt
Unsere katholische Nachbargemeinde hat von Anfang an alle ukrainischen Flüchtlinge, auch Hanna und Lew mit dem Opa, herzlich willkommen geheißen und eine Atmosphäre geschaffen, in der man selbst mit einem Herz voller Sorgen leben kann. So habe ich die beiden kennengelernt. In unserer Küche kommen wir auf Rezepte zu sprechen. Ich zeige ihnen, wie ich Wurstsalat mache.
„Wurrrrschtsalat“, sagt Hanna und staunt. „Das kennen wir nicht. Wir haben keinen solchen Salat, auch nix mit Kartoffel. Wir haben aber Vinaigrette.“ Äh, Vinaigrette? Das kommt vom französischen „Vinaigre“, Essig. Die Vinaigrette, die ich kenne, ist eine Salatsauce aus Essig, Öl, Salz und Pfeffer, Kräutern und Senf. Man kann auch gekochtes Eigelb, Kapern, Zwiebeln, Schalotten oder Knoblauch hinzugeben. So weit, so gut.
"Vinaigrette" ist in der Ukraine ein veritables Mal
„Vinaigrette“, sage ich. „Schön. Toll. Und was machen Sie damit?“ „Essen“, antwortet Hanna. „Wir mögen das.“ Ich bin ja wirklich ein Saucen-Freak, aber Essigsalatsauce pur - na, ich weiß nicht. Es geht zwischen uns noch ein paar Mal lustig hin und her, bis ich kapiere, dass "Vinaigrette" in der ukrainischen Küche ein sehr beliebtes Gericht ist, das gerne auch an Festtagen gereicht wird.
Dieser Salat, erklärt Hanna, besteht in ihrer Familie aus gekochten Kartoffeln und Rote Bete, dazu kommen Dosenerbsen. Man mischt die Zutaten und bewahrt sie im Kühlschrank bis zum Verzehr auf. Dann kommen Essig, Salz und Pfeffer dazu. Fertig ist die ukrainische Vinaigrette. Wer möchte, kann variieren: Essig- oder Salzgurken und Sauerkraut passen gut dazu, Zwiebeln, auch gekochte Karotten, eingelegte Pilze oder Äpfel.
Das klingt schön bekömmlich. Hanna und ich verabreden uns, um in nächster Zeit Rezepte auszutauschen. Man kann nur lernen! Sie geht mit Lew nach Hause. Eine Viertelstunde später klingelt es. Hanna steht strahlend vor der Tür und überreicht mir eine Vorratsdose mit ihrer Vinaigrette. „Probieren!“, sagt sie. Wahrscheinlich hat sie uns das ganze Abendessen der Familie geschenkt. Es schmeckt sehr gut …
Ich werde mich demnächst bei ihr melden und einen meiner Salate vorbeibringen. Allein, um sie wieder einmal „Wurrrrschtsalat“ sagen zu hören. Das kann niemand so wie sie. Und ich hoffe und bete, dass sie ihre oder meine Gerichte bald wieder in Ruhe und Frieden zuhause macht und mit ihren Liebsten vereint an einem Tisch isst. Später kann sie ja dann mit mir telefonieren.
Von der Kolumne zum Buch:
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