In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?
Friederike Otto: Wenn ich in eine Ausstellung gehe oder ins Theater. Kunst ist so erfüllend, sie zeigt, was uns Menschen ausmacht. Gesamtgesellschaftlich betrachtet wirken wir oft wie ein Haufen Vollidioten. Aber in der Kunst sieht man, wie man einen Sinn in der Welt erkennen kann – das fasziniert mich. Und beim Tanzen fühle ich mich lebendig, da ist mein Körper auf eine andere Weise nützlich als sonst. Man kann vieles ausdrücken, was mit Worten nicht möglich ist.
Friederike Otto
Haben Sie eine Vorstellung von Gott?
Nein. Die Naturgesetze sind unglaublich faszinierend. Reicht das nicht? Das ist alles so unglaublich komplex, dass es für ein einzelnes Menschengehirn nie wirklich zu durchdringen ist. Das ist mehr, als sich eine einzelne Intelligenz vorstellen kann. Als Jugendliche habe ich versucht zu glauben. Dieses Aufgehobensein, dieses Nicht-Alleinsein, auch wenn man allein ist – das stelle ich mir schön vor, aber es funktioniert für mich nicht. Das ist okay, aber als Jugendliche hatte ich eine Phase, wo ich mir einen Gott gewünscht habe, der auf einen aufpasst.
Fürchten Sie den Tod?
Nicht meinen eigenen. Ich möchte lange leben, aber das ist ein bisschen wie Fliegen: Stürzt das Flugzeug ab, kann ich ohnehin nichts machen. Aber ich habe große Angst, Menschen zu verlieren. Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu meinem Vater, vor zehn Jahren ist er gestorben, während ich in Afrika auf einer Konferenz war. Er war schwer krank, es war nicht überraschend, aber zu dem Zeitpunkt sah es so aus, als würde es ihm endlich besser gehen. Und dann, vor drei Jahren, starb Geert Jan van Oldenborgh, mit dem ich die World-Weather-Attribution-Initiative gegründet habe. Die acht Jahre, die wir zusammengearbeitet haben, hat er gegen den Krebs gekämpft und schließlich verloren. Das waren zwei sehr wichtige Menschen für mich. Und es gibt nicht viele Menschen in meinem Leben, die wirklich wichtig sind. Ich habe Angst, dass wieder jemand krank wird. Das einzig Positive ist vielleicht, dass ich mich im Zweifel dafür entscheide, meinen Partner zu treffen, und nicht im Büro bleibe, selbst wenn ich dann irgendeine Deadline nicht schaffe.
Wie viel Arbeit tut Ihnen gut?
Ich habe ein tolles Team in der Initiative, aber die letzten Entscheidungen treffe ich, seit Geert Jan tot ist, allein. Wenn es mir zu viel wird und es gut läuft, dann sage ich: Sorry, ich brauch ’ne Pause. Wenn’s schlecht läuft, dann mache ich eben weiter. Ich bin diszipliniert mit mir selbst. Das ist schlecht, denn wenn man keine Nachsicht mit sich selbst hat, ist es schwierig, Anerkennung und Nachsicht von anderen zu akzeptieren – dann ist das Leben wahnsinnig anstrengend. Für das "Time Magazine" war ich 2021 weltweit einer der 100 einflussreichsten Menschen. Wenn ich das über Friederike Otto lese, bin ich extrem stolz auf sie, aber ich finde es schwer zu realisieren, dass ich das bin. Es wäre schön, wenn ich zu mir selbst sagen könnte: Ist cool, was wir geschafft haben!
Was hilft gegen den Klimawandel?
Der Klimawandel verstärkt die Ungleichheit: Die, die am wenigsten haben, sind die Ersten, die ihre Lebensgrundlage, die ihr Leben verlieren. Dabei würde es unglaublich viel sparen, wenn wir keine fossilen Brennstoffe mehr verbrennen. Enorme Kosten für unsere Gesundheit entstehen, weil wir in Monsterstädten wohnen, die nur für Autos gebaut sind. Wir müssen so nicht leben! Wir müssten aber unser Wertesystem ändern: Es geht nicht darum, wie hoch das Bruttoinlandsprodukt ist, sondern wie die Gewinne verteilt sind. In unseren westlichen Gesellschaften tun wir so, als würden politische Kompromisse geschlossen, die legitime Anliegen verschiedener Gruppen gegeneinander abwägen. Was aber tatsächlich abgewogen wird, sind finanzielle Interessen einiger weniger gegen die Menschenrechte eines Großteils der Weltbevölkerung.
Welchen Traum möchten Sie sich unbedingt erfüllen?
Ein großer Traum von mir war, dass ich zusammen mit Familie und Freunden in einem Haus lebe, den habe ich mir in London erfüllt. Mit geliebten Menschen zusammen zu sein, ist immer das Wichtigste. Hundespaziergänge mache ich lieber allein, aber die sind auch nur gut, wenn man hinterher jemandem davon erzählen kann. Wir sind Menschen, wir brauchen andere Menschen.