Schriftstellerin Mariana Leky
Man muss sich dem Leben schon anvertrauen
Sonst lernt man es nicht kennen, findet die Schriftstellerin Mariana Leky. Und verrät, was Wollmäuse, Fischstäbchen und die Großmütter damit zu tun haben
Portrait der Schriftstellerin Mariana Leky
Mariana Leky
Dirk von Nayhauß
Dirk von Nayhauß
Aktualisiert am 12.04.2024
3Min

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich im sogenannten Hier und Jetzt bin. Das müssen nicht unbedingt schöne Momente sein. Ich erinnere mich an eine Situation vor zehn Jahren: Meine damalige Beziehung war zu Ende gegangen, mein kleiner Sohn hatte Durchfall und ich Zahnschmerzen, und dann ist meinem Sohn ein Kuscheltier unters Sofa gefallen. Ich weiß noch, wie ich kopfüber in eine Schar Wollmäuse unterm Sofa schaute und dachte: "So. Das ist jetzt gerade mein Leben." Es klingt komisch, aber das hatte nichts Bitteres, sondern das war ein Moment von: Es ist alles Murks, aber ich bin vollkommen anwesend.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Als ich ein Kind war, hing in meinem Zimmer der Spruch: "Gott achtet mich, wenn ich arbeite, und er liebt mich, wenn ich singe." Ich dachte also: Wenn ich meine Mathe­aufgaben mache, ist Gott beeindruckt, und wenn ich vor mich hin singe, ist er ganz aus dem Häuschen. Heute ist Gott für mich am ehesten etwas Atmo­sphärisches, das entsteht, wenn man ganz versunken ist, ein Gefühl von Zeitlosigkeit hat. Ich hatte eine tiefgläubige Tante, die ich immer beneidet habe: Es muss fantastisch sein, sich lebens­lang bei etwas Überirdischem anlehnen zu können.

Dirk von Nayhauß

Mariana Leky

Mariana Leky, 1973 geboren, studierte in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus, 2001 erschien ihr erster Erzählband "Liebesperlen", 2010 der Roman "Die Herrenausstatterin". 2017 folgte mit einer Auflage von über einer Million ihr größter Erfolg "Was man von hier aus sehen kann". In "Kummer aller Art" (nun als Taschenbuch, DuMont, 13 Euro) versammelt Leky 39 Geschichten über Menschen, ihre Macken und alltäglichen Nöte. Mariana Leky hat einen Sohn und lebt in Berlin.

Eine innere Stimme, gibt es die?

Es gibt eine ganze WG innerer Stimmen. Ich weiß nicht, welche die eine, wahre, gute ist. Angeblich kann man ja lernen, sich bei den Stimmen, die im Zweifelsfall immer banges Zurückweichen nahelegen, für ihre Mahnung zu bedanken und dann nicht auf sie zu hören. Damit fährt man bestimmt gut. Beziehungsweise: Man fährt überhaupt los.

Fürchten Sie den Tod?

Und wie. Man kann sich da ja alles Mögliche vorbeten: dass wir nun mal alle begrenzte Arrangements sind, dass es ohne zeitliche Begrenzung keine Schönheit und keinen Sinn gäbe. Das hilft aber alles nicht gegen das Fürchten. Mein Vorbild ist meine Mutter, sie ist 80 und legt eine unwahrscheinliche Pragmatik an den Tag. Kürzlich ­waren wir am Familiengrab, und sie sagte: "Legt mich auf die rechte Seite, auf der linken müsstet ihr extra den Busch rausnehmen." Das nimmt dem Ganzen nicht den ­Schrecken, aber es macht den Tod so lebensnah, wie er ist.

Wie umgehen mit Einsamkeit?

Das weiß ich nicht, das kommt auf die Art der Einsamkeit an. Eine Freundin lebt gegenüber von einem alten, ­alleinstehenden Mann, den sie nicht kennt. Sie sieht ­immer mal wieder rüber zu ihm, um zu schauen, ob er noch da ist. Es gibt also jemand acht auf den Mann, von dem er noch nicht mal den Namen weiß. Das ist tröstlich. Beim Schreiben hat man es ja eher mit einem selbstgewählten Alleinsein zu tun. Vor Abgabeterminen komme ich immer nur kurz und zerzaust aus dem Arbeitszimmer, um der Familie lieblose Fischstäbchen unterzuschieben, dann wird weitergetippt.

Wie sieht ein gelungenes Leben aus?

Ich glaube, man sollte sich nicht ständig von der Sorge herumscheuchen lassen, dass das Leben nicht gelingen könnte und am Ende irgendwie missraten ist. In Frank Wedekinds Theaterstück "Frühlings Erwachen" gibt es einen Satz, der ist für mich immens wichtig. Da tritt eine Figur auf, die das Leben an sich darstellt – das ist der "Vermummte Herr". Er sagt zu jemandem, der sehr verzweifelt ist, den schönen Satz: "Du lernst mich nicht kennen, wenn du dich mir nicht anvertraust." Wenn ich vor großen ­Entscheidungen stehe, denke ich immer an diesen Satz.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Liebe von und zu meiner Familie, meinem Mann, ­meinen Freunden: Wir würden füreinander alles stehen und liegen lassen, dafür bin ich sehr dankbar. In raren ­Momenten bilde ich mir ein, die Liebe von Leuten zu ­spüren, die gar nicht mehr da sind, als würden meine Großmütter mich beim Leben anfeuern.