Demokratie
"Rassistische Sprüche gelten als cool"
Ein Bildungsträger in Vor­pommern schickt junge Leute in die Schulen. Sie reden mit Achtklässlern und Elftklässlerinnen über Menschenrechte, globale Gerechtigkeit und Rechtsradikalismus. Rettet das unsere Demokratie?
Marion Zingst und Lena Ecken von Verquer ein Projekt des Kultur-und Initiativhauses Greifswald e.V. leiten einen Tagesworkshop zum Thema Demokratie und Menschenrechte mit Schülern und Schülerinnen der 11. Klasse am Oskar-Picht-Gymnasium in Pasewalk
Tagesworkshop zum Thema Demokratie und Menschenrechte vom Projekt "Verquer".
Anke Lübbert
Anke LübbertPR
29.01.2025
12Min

Juli 2024, das Schuljahr ist so gut wie ­gelaufen. Draußen ein leiser, warmer Juliregen. Im ­zweiten Stock des Pasewalker Oskar-Picht-­Gymnasiums sitzen elf 17-Jährige in Shorts, T-Shirts und ­Sneakers, die sich vorstellen sollen, dass sich ein "kalter Nebel", ein "Schleier des Vergessens" über sie senkt. Wer sie sind, wo sie leben, wie sie aussehen, alles soll keine Rolle spielen. Und dann, quasi neugeboren, sollen sie sich in Kleingruppen überlegen, welche Regeln für das Miteinander sie aufstellen wollen. "Ich bin voll fürs Matriarchat!", sagt ein Mädchen und stößt ihren Sitznachbarn an. "Wenn Frauen an der Macht sind, ist das geiler." Ihr Mitschüler grunzt nur.

Zwei junge Frauen vom Bildungsanbieter "verquer", ­Studentinnen aus Greifswald, sind gekommen, um einen Tag lang mit den Elftklässlern über "gutes gesellschaftliches Miteinander" zu diskutieren. Und selbst wenn in den Kleingruppen nicht nur übers Matriarchat, sondern auch über eine Diktatur oder den Kommunismus ­gewitzelt wird: Als die Jugendlichen ihre Ergebnisse vortragen, klingt das alles wenig aufsehenerregend. ­"Gleichberechtigung", "Demokratie", "Respekt", "keine Diskriminierung" steht auf den Karten. "Sollen wir noch LGBTQ-Rechte aufnehmen?", fragt einer in die Runde. Ein paar Leute ­lachen. "Ey, du weißt ja nicht, als was du geboren wurdest. ­Vielleicht bist du schwul, dann möchtest du ja wohl auch akzeptiert werden." – "Ich bin doch nicht schwul!"

Sollte man in den letzten Monaten aufgeschreckt worden sein, von den Ergebnissen diverser Studien etwa, wonach Jugendliche sich machtlos und von der Politik ignoriert ­fühlen und Menschen in Deutschland insgesamt immer weniger Vertrauen in die Demokratie haben – dieser Vormittag ist bestens dazu geeignet, Sorgen dieser Art zu zerstreuen.

Allerdings: "Absolut untypisch" sei das, sagt Antonia Huhn, 25, die Soziale Arbeit studiert und seit 2019 im Schnitt einen Projekttag im Monat für verquer macht. "Je nach Ort, Schule und Klasse gibt es Unterschiede, aber rechtsextreme Aussagen haben zugenommen. Die sind mittlerweile Mainstream. Rassistische Sprüche gelten als cool und widerständig." Sie hat schon mit Jugendlichen bei Projekttagen diskutiert, warum "88", die Chiffre für "Heil Hitler", als Druckmotiv (die Klasse durfte am Ende mit einer Siebdruckmaschine Beutel mit eigenen Motiven bedrucken) nicht geht. Sie hat auch schon Projekttage abgebrochen. "Wenn wir Anfragen von bestimmten Schulen kriegen, wissen wir vorher, dass es hart wird. Dann muss man sich einen imaginären Schutzanzug anziehen und los."

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