Wer nach Belegen dafür sucht, warum die AfD eine verfassungsfeindliche Partei ist, muss sich einschränken. Die Liste wird sonst einfach zu lang. Drei Beispiele müssen reichen:
- Als sich der neu gewählte Thüringer Landtag konstituierte, blockierte der Alterspräsident Jürgen Treutler die Wahl eines Landtagspräsidenten. Erst als das Thüringer Landesverfassungsgericht einschritt, konnten die Abgeordneten ihre Arbeit aufnehmen. Treutlers Partei, die AfD, wollte offenkundig die parlamentarische Demokratie diskreditieren und in Verruf bringen.
- Alice Weidel, Parteivorsitzende der AfD, sprach im Januar vor dem Bundesparteitag ihrer Partei von "Rückführungen im großen Stil" und fügte hinzu: "Und wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration." Die Delegierten johlten und jubelten. Menschen anderer Herkunft in großem Stil außer Landes zu schaffen, sie vor aller Augen und Ohren als fremd und "nicht deutsch" zu diskreditieren – das ist nun offiziell Beschlusslage der AfD.
- Unterdessen verteilte der Kreisverband der AfD in Karlsruhe sogenannte "Abschiebetickets", die sich angeblich an "illegale Einwanderer" richteten und von der Tonalität her Parallelen zu antisemitischer Propaganda aus dem Kaiserreich aufweisen. Der bewusst geschürte Hass damals schuf mit den Grund für den Aufstieg des Nationalsozialismus mit seinem Terror.
In der Bundesrepublik können drei Verfassungsorgane ein Parteiverbotsverfahren beantragen: die Bundesregierung, der Bundesrat und der Bundestag, also das demokratisch gewählte Parlament. Weil dieser Schritt weder von der Bundesregierung noch vom Bundesrat zu erwarten ist, bleibt das Parlament. Einen entsprechenden Antrag bringt eine fraktions- und parteiübergreifende Gruppe um den CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz am Donnerstag ein. Es ist wichtig, zu betonen: Es geht um einen Antrag und nicht um einen Verbotsbeschluss. Der Bundestag kann keine Partei verbieten. Was aus dem Antrag wird, entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Eine weitere Gruppe um Renate Künast (Grüne) möchte erreichen, dass erst noch begutachtet wird, ob die AfD wirklich verfassungsfeindlich sei.
Es ist zu hoffen, dass nun, kurz vor der Wahl am 23. Februar, eine Mehrheit der Abgeordneten bereits ein Verbotsverfahren beschließt. Die Zeit drängt, es ist wahrscheinlich, dass es bei der Debatte bleibt – ohne Beschluss. Aber schon diese Debatte wäre die Chance für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, der Öffentlichkeit klarzumachen, mit wem wir es bei der AfD zu tun haben.
Dürfen Christen AfD wählen? Lesen Sie hier unsere Kolumne zu dieser Frage
Kritiker des Antrags wenden ein, mit einem Verbotsverfahren würde man der AfD eine Opferrolle zuweisen, die sie weiter stärken würde. Weiter stärken? In Umfragen steht die Partei bei mehr als 20 Prozent, Tendenz steigend. Zur Erinnerung: Mehrere AfD-Landesverbände gelten als gesichert rechtsextremistisch, das Bundesamt für Verfassungsschutz führt die Bundespartei als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Eine Einstufung der Bundespartei als gesichert rechtsextremistisch gilt, nach der Bundestagswahl, als sehr wahrscheinlich.
Worum geht es bei einem Verbotsverfahren? Im Grundgesetz heißt es: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
Lesetipp: AfD-Europapolitiker Maximilian Krah schart rechte Christen um sich
Das wirft die Frage auf: Was ist der Kern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung? Im Spätherbst legten 17 Staatsrechtlerinnen und Staatsrechtler dem Rechts- und dem Innenausschuss des Bundestages ihre Einschätzung vor. Demnach basiere unsere Demokratie auf drei zentralen Grundprinzipien: die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Weiter heißt es: "Die Menschenwürdegarantie bildet den obersten Wert des Grundgesetzes, die freiheitlich-demokratische Grundordnung gründet auf ihrem Gehalt."
Die Menschenwürde also: Wer sie in Abrede stellt, agiert gegen die Verfassung. Man muss sich fragen: Wie fühlen sich Menschen mit Migrationsgeschichte – viele von ihnen haben längst einen deutschen Pass –, wenn die AfD sie wieder und wieder herabwürdigt, pauschal als Gefahr darstellt und (auch das ist geschehen!) über eine Politikerin sagt, dass sie "in Anatolien entsorgt" werden müsse? Wenn das keine Verstöße gegen die Menschenwürde sind – was denn dann?
Immer wieder heißt es, ein Verbotsverfahren könne in Karlsruhe scheitern. Wer das Gutachten der Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler aufmerksam liest, kann nur zum Schluss kommen: Auch ohne V-Leute und Dossiers des Verfassungsschutzes liegt offen zutage, dass die AfD unsere Demokratie bedroht. Es spricht vieles dafür, dass das Verfahren nicht scheitert und die AfD verboten würde.
Und ja, es stimmt – so stark werden konnte die AfD nur durch Fehler der Politik und anderer Parteien. Aber wer die AfD wählt, muss wissen, wen er da wählt: eine offenkundig verfassungsfeindliche Partei. Das den Menschen im Bundestag noch einmal klarzumachen, ist das Mindeste, was die Abgeordneten kurz vor der Wahl noch erreichen können. Reicht es für ein Verbotsverfahren: umso besser.