75 Jahre Grundgesetz
Wie steht die Kirche zur Demokratie?
Wer uns regieren darf, das bestimmt Gott, erklärten evangelische Pfarrer über Jahrhunderte. Eine überzeugte Demokratin ist die Kirche noch gar nicht so lange
Viele Buntstifte sind der Größe nach geordnet und enden in immer kürzer werdenden schwarzen Stiften
Lisa Rienermann
Tim Wegner
23.05.2024
3Min

Die Würde des Menschen ist unantastbar – so steht es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Im Mai wird das Grundgesetz 75 Jahre alt. Die evangelischen Kirchen planen aus diesem Anlass eine Gottesdienstreihe in allen 20 Landes­kirchen. Auch sonst führen Kirchenvertreter den zentralen Begriff des ersten ­Artikels GG gern im Munde, zum Beispiel in ihren Warnungen vor der AfD. Die Bischöfe der lutherischen Kirchen in Deutschland etwa sagen: Diese trete "das christliche Menschenbild mit Füßen" unter anderem, weil sie ­"unserem Nächsten die Menschenwürde entreißen" wolle.

Die höchste Rechtsnorm des Landes

Ist das Grundgesetz also eine christliche Erfindung oder ­zumindest das in Gesetzestext gegossene christliche Menschen- und Staatsbild? Nein. So schön es ist, dass Demokratie, Menschenwürde und Kirche heute in Deutschland eine harmonische Dreiecksbeziehung bilden, so wenig selbstverständlich ist es. Das sieht man in Russland, wo die orthodoxe Kirche das Putin-Regime unterstützt, und in der deutschen Geschichte.

Das Grundgesetz wurde am 8. Mai 1949 beschlossen und von den Alli­ierten genehmigt. Es ist die deutsche Verfassung, die höchste Rechtsnorm dieses Landes. Darin sind die wichtigsten Werte und Regeln für unser Zusammenleben festgelegt. Eine Änderung ist nur mit einer Zwei­drittelmehrheit des Bundestags und des Bundesrats möglich. Die Artikel 1 und 20 dürfen gar nicht geändert werden – Artikel 20 legt die Demokratie als Staatsform für Deutschland fest.
Dass die Artikel 1 und 20 nicht verändert werden dürfen, ist eine Lehre aus der NS-Zeit: In den Jahren 1933 bis 1945 war Deutschland keine die ­Menschenwürde wahrende Demo­kratie, sondern eine mörderische ­Diktatur. Und große Teile der Kirchen wie auch viele Christen fanden, dass sich das christliche Menschenbild durchaus vertrage mit dieser rassis­tischen, antisemitischen und ge­walttätigen Diktatur.

Der Führerstaat wurde als gottgegebene Obrigkeit anerkannt. Und der Obrigkeit gegenüber war ein Christ zu Gehorsam verpflichtet. Das hatte schon der Apostel Paulus im Römerbrief (Röm 13,1) geschrieben: "Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist ­keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet."

Demokratie als Bedrohung für die göttliche Ordnung

Dazu kam die Vorstellung, dass der Mensch fehlbar und sündig sei – sie geht auf die Tradition der Erbsünde zurück. Und dieser fehlbare und sündige Mensch müsse eben kontrolliert werden: durch den Staat, wenn nötig mit Gewalt.
Auch nach 1945 wurde die evangelische Kirche nicht plötzlich zur Freundin der Demokratie. Das lag daran, dass in einer Demokratie letztlich das Volk entscheidet, was gut und richtig ist. Im kirchlichen Verständnis galt das Gute und Richtige als gott­gegeben und nicht menschlich veränderbar.

Die Demokratie erschien so auch nach 1945 als eine Bedrohung für die göttliche Ordnung. Erst allmählich bog die evangelische Kirche auf den Weg der Demokratie ein. Erst als sie ein positives Verhältnis zur Würde gefunden hatte, war das möglich. Denn Würde im modernen Sinne meint vor allem: die Möglichkeit der Selbstbestimmung und eben nicht eine vorherbestimmte Neigung zum Bösen (zur Sünde). Ein Mensch mit Würde ist keine Gefahr für den Staat, gegen die dieser sich notfalls mit Gewalt wehren muss, sondern eine Bereicherung. Er will das Gemeinwesen gestalten und übernimmt Verantwortung.

Lesen Sie hier mehr über Staat und Grundgesetz von Franz Alt

In der "Demokratiedenkschrift" aus dem Jahr 1985 hat die evangelische ­Kirche unsere Staatsform dann richtig anerkannt – also 36 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes. Und so ganz ist der Gegensatz von göttlicher Legitimation und menschlichen Ideen auch heute nicht verschwunden. Das zeigt sich in ethischen Debatten. Etwa wenn die ­Kirchen das Leben als Geschenk Gottes verstehen, über das der Mensch, auch wenn es um das ­eigene Leben geht, nicht selbstbestimmt verfügen dürfe. Die ­Würde spielt in der evangelischen Kirche ­heute eine große Rolle, aber was darunter zu verstehen ist, bleibt umstritten.

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Wenn sie nutzt ist sie gut, stellt sie Fragen wird es eisig. Die Kanzel erklärt, läßt aber die Demokratie nicht zu. ROM nicht mal ansatzweise. Die Demokratie wird von anderen gefordert. Im eigenen Haus und Glauben hat die Demokratie keinen Platz. Selbst die SYNODE berät nur und bringt zusammen mit der EKD Formalien auf den Weg. Das war es. Demokratie und Glaube sind unvereinbar.
Ockenga

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Demokratie bedeutet Fragen stellen zu dürfen um logische und verständliche Antworten zu erhalten. Wenn die Fragen nur mit Worten und Phrasen, mit der Forderung von höchsten Ansprüchen und Pflichten, aber nicht mit erfüllbaren Antworten  erwiedert werden, wird es eisig. Nutzt die Kirche demokratische Ansprüche als  Alibi, ist es gut, werden unangenehme Fragen gestellt, wird es schwierig. Die Kanzel erklärt aus eigener Sicht mit eigener Sprache und den höchsten Werten. Sie beweist damit aber nichts. Die Kirche läßt die Demokratie nur in Resten (Synode) als Einbahm zu. ROM nicht mal ansatzweise. Dagegen fordert sie eine demokratische Gesellschaft von allen anderen. Im eigenen Haus und Glauben hat die Demokratie aber keinen Platz. Selbst die SYNODE, zusammengestellt nach eigenen Ansprüchen, berät nur und bringt zusammen mit der EKD lediglich Formalien auf den Weg.. Ausgeführt und verantwortet nur von jeder einzelnen Kanzel, wirkt der Glaube als eine Diktatur des religiösen Geistes. Wer mir/uns nicht folgt, der ist verloren. Mit der EKD als Zuschauerin. Demokratie und Glaube sind unvereinbar. Mangels eigener Zuständigkeit für den Glauben,, sucht die EKD verzweifelt nach neuen Zielen für ihre Werte. Die Politik als Ersatz ist bereits besetzt. Bleiben für die EKD nur noch Schöpfung und Klima um ihr Paradies zu retten. Kann das gut gehen ?

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Kirche u. EKD fordern Demokratie von anderen. Die Forderung nach Demokratie im eigenen Haus wird erstickt. Für den Haushalt sind Presbyter und Synode zuständig. Deren Führung ohne Verantwortung obliegt den Pfarrern und der EkD. Die KIST macht der Staat, für die Wohnung sorgt die Kommune. Für den Glauben und dessen Inhalte ist in der Kirche und der Organisation auch niemand zuständig. Delegiert an die Pfarrer. Selbst für alle Versprechungen (Paradies, ewiges Leben, folgt uns, dann wird alles gut) lehnt man jegliche Verantwortung ab. Wie könnte es auch sonst sein, dass die Erbsünde per Zeitung abgeschafft und die Sakramente auf dem Jahrmarkt feilgeboten werden?. Wort und Schrift sind in der Kirche geduldig und ohne Widerrede. Erst ihr Sinn wird zum "Hintergedanken". Der wird dann von den Interpreten nach Belieben geknetet, ausgelegt und bei Bedarf jeder vorher geglaubten Klarheit beraubt. Die persönlichen Ansichten der Pfarrer, mögen sie nocht so irrational sein, (auch die politischen!) sind die Vorgaben für die Gläubigen. Die Forderung nach Demokratie und Verantwortung als bestes Beispiel. Für die Mitglieder gibt es keine oder wenig, für den Glauben gibt es nur die Meinungsdiktatur von der Kanzel. Verantwortung ohne für die Folgen büssen zu müssen. Kein Verlust von Mandat, Einfluss, Privilegien und Geld bei Fehlern. Keine Wahl korrigiert sie. Was bleibt ist nur ein Anspruch ohne Nachteile bei Irrtum. Sich in den Ansprüchen zu sonnen und die Fehler abzuschütteln, ist zur Gewohnheit geworden. Fühlt man sich gestreßt, kommt ein Sabbatical. Ob Gender, Strassenkleber, Offene Briefe oder die Anbiederung an Putin, die Folgen sind in der Kirche spurlos und ohne Verantwortung. Kein Rücktritt kein Meaculpa. Nicht mal Reue! So wird die Verantwortung ge- und ertragen. Selbst den Vertrauensverlust nimmt man ungerührt hin. Mag den Anderen (Ukraine) auch Tod und Unrecht drohen, Hauptsache mein Herz ist rein (Käßmann). Das war das Wohlfühlhalleluja auf dem Kirchentag. Das Ergebnis ist ein radikaler Bedeutungsverlust in der öffentlichen Wahrnehmung. Macht nichts. MfG Ockenga

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Wie steht die Kirche zur Demokratie? Demokratie bedeutet zu wissen, zu wählen und die Folgen zu verantworten, in dem man sie trägt bzw. erträgt. Die Folgen sind der Verlust von Macht, Geld, Ansehen und die Übergabe von Macht, Geld und Privilegien an die Nachfolger. Eltern tragen die Folgen der Erziehung ihrer Kinder mit Freude oder Schande. Ein Verein steigt ab. Eine Firma bekommt keinen Kredit. Das Konto wir gelöscht. Ein Raucher stirbt. Welche Verantwortungsfolgen tragen Pfarrer, Landeskirchen und EKD ? Sie tragen die Verantwortung dafür, dass "der Laden läuft". Da an die Pfarrer delegiert, trägt die Kirche keine Verantwortung für den Glauben. Für die Behauptung des ewigen Lebens kann es weder einen Beweis noch eine Verantwortung geben. Es wird aber so getan. Jeder Pfarrer predigt eigenverantwortlich. Damit trägt der "kleinste" Interpret die grösste Last der Glaubwürdigkeit. Für die Einnahmen ist der Staat verantwortlich. Für die Ausgaben sind es die Mitglieder als Presbyter und Synodale. Für die Politik sind es Parteien und internationale Zwänge. Für die Wohnung die Kommunen und für das Wohl die Besoldungsgruppe. Gegen den Streß ein Sabbatical. Davon träumt jeder Handwerker, jede Kindergärtnerin und Hausfrau.
Persönliche Nachteile der öffentlichen Verantwortung? Fehlanzeige. Was bleibt denn nun an Verantwortung ? Nichts! Es sei denn als Folge der Bedeutungsverlust. Wer dennoch für sich die Verantwortung ohne Folgen reklamiert, redet falsch Zeugnis wider sich selbst. Genaugenommen! Ockenga

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Sehr geehrter Herr Sacher!
EKD u. Landeskirchen beanspruchen immer wieder eine "besondere" Verantwortung. Worin besteht sie, wenn sie über die Allgemeinverantwortung aller Bürger hinausgehen und deshalb besonders sein soll? Welche Folgen ist man bereit zu tragen? Der Sinn einer Verantwortung ist ja, auch für die negativen Folgen und Irrtümer sachlich oder finanziell zu büssen. Für die Einnahmen sorgen Gesetze, für die Ausgabe, den Haushalt sind die Mitglieder als Presbyter und Synodale zuständig. Den Glauben interpretieren delegiert und eigenverantwortlich die Pfarrer. Für die Politik sind Gesellschaft und internationale Zwänge verantwortlich. Aber nur die Gesellschaft bestraft sich selbst für Fehler und Irrtümer. Pfarrer, Landeskirchen u. EKD sind nicht haftbar für das was sie versprechen, weil man einen Glauben nicht materialisieren kann. Folglich sind derartige Versprechungen, Behauptungen und Wahrheiten (die Bibel ist Gottes Wort!) waghalsig. Selbst für ihre Versprechungen (Paradies, ewiges Leben) sind die Mitglieder der Führung bei Eignung der Aspiranten nicht verantwortlich. Was nach meiner Beobachtung bleibt, ist lediglich die "besondere" innerorganisatorische Verantwortung. Sehe ich das zu eng? Mfg Klaas Ockenga

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Die Würde der Menschen ist unantastbar! Die der Kirche, der Sakramente und des Glaubens auch? Würdelos ist es doch, auf dem Jahrmarkt, im Riesenrad, im Fallschirmsprung zu heiraten, auch zu taufen und das Abendmahl an der Würstchenbude zu bezahlen. Denn kostenlos wird ja das alles nicht sein! Diese "Würden" von Glaube und Kirche als Preis in einer Schiessbude! Aus Panik und Existenzangst wird jede "Würde" verkauft! Unfaßbar statt unantastbar.

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"So schön es ist, dass Demokratie, Menschenwürde und Kirche heute in Deutschland eine harmonische Dreiecksbeziehung bilden, so wenig selbstverständlich ist es." Was soll denn bitte daran neu sein, dass die politische Herrschaft, deren zentraler, ideologischer Kampfbegriff und die Kirchen wunderbar miteinander harmonieren? Wenn der Kaiser Geburtstag hatte, wurde eifrig gefeiert. Weniger, weil Wilhelm, Napoleon oder Franz-Joseph der soundsovielte sich einen schönen Tag machen wollten, sondern weil das Volk in seiner guten Meinung über die jeweils aktuelle Herrschaft bestärkt werden sollte und sich gerne bestärken ließ. Auf den jeweiligen Geburtstagsparties war Gott jeweils gern gesehener Gast und Jubelredner - durch seine treuen Diener, versteht sich.

Auch bei Führers Geburtstag ging es weniger darum, dass der Adolf die Sau rauslassen wollte, sondern dass das Volk gerne die Botschaft vernahm. Die Botschaft, dass es sich glücklich schätzen durfte, dieser Herrschaft mit den schönen Werten Vaterland, Treue, Zucht und Ordnung unterworfen zu sein. Und auch bei dieser Geburtstagssause waren Gott und seine Diener mit Treueschwüren dabei.

Und als die Zone 30-jähriges Jubiläum feierte - nicht verwechseln mit dem 40-jährigen, da stand die neue Herrschaft schon fast auf der Matte - war Gott mit von der Partie.

Und wer heute die Segnungen der Staatsgewalt als Mieter, Käufer im Supermarkt, Rentner, Knastbruder, Bürger in Uniform, Steuerzahler und Feinstauberkrankter täglich zu spüren bekommt, darf sich sicher sein: Seine Menschenwürde ist unantastbar und unangetastet. Und Gott steht voll auf Seiten der Menschenwürde!

Ist das nicht wieder einmal herrlich?

Fritz Kurz

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