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Michael Sterner, Professor für Energiespeicher, Energiewirtschaft, Wasserstoff, Erneuerbare Energien an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg, schaltet sich über Video für das Interview zu. Im Hintergrund sind Musikinstrumente und ein Poster der irischen Rockband U2 zu sehen. Sterner liebt Musik und spielt in einer Band. Wir sind verabredet, um über sein Buch "So retten wir das Klima" zu sprechen. Am Anfang aber entwickelte sich eine Unterhaltung über Gott und die Schöpfung. Denn Michael Sterner ist nicht nur Wissenschaftler, sondern auch gläubiger Katholik.
2005 lag die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid bei 379, gemessen in der Einheit ppm, "Parts per Million". Heute sind es 425 ppm. Die Extremwetterereignisse nehmen zu, trotzdem ist die Klimakrise in der öffentlichen Debatte nicht besonders präsent. Wie kann man das Thema wieder ins Gespräch bringen?
Michael Sterner: Der Mensch braucht wieder die Verbindung zur Natur und zum göttlichen Wesen der Mutter Erde, die wir durch die Technisierung weitgehend verloren haben. Ich habe in Kenia zwei Jahre in der Mission gearbeitet. Die Menschen dort waren komplett verbunden mit der Natur, weil die Natur sie direkt ernährte. Alles, was sie von der Natur genommen hatten, gaben sie wieder zurück und wunderten sich, dass Plastik nicht verrottet. Wir kaufen Lebensmittel aus dem Supermarkt, der Strom kommt aus der Steckdose und das Leben findet mehr und mehr im Digitalen statt. Früher war mehr Menschen bewusst, dass wir Teil von Christi Leib sind, was für mich bedeutet, dass alles mit allem verbunden ist. In der Bibel heißt es: Was du dem Geringsten getan hast, das tust du mir. Ist der Mensch weit weg von der Natur, fehlt das Gefühl, was man da kaputt macht.
Können Sie diesen Gedanken veranschaulichen?
Ein Mensch in Deutschland produziert pro Jahr im Durchschnitt ungefähr 400 Kilogramm an Abfällen. Eine Mülltonne (120 Liter) kann knapp 50 Kilogramm Müll aufnehmen. Acht Mal im Jahr müsste ich den Müll an die Straße schleppen, damit er abgeholt wird. Darunter können sich alle etwas vorstellen. Doch wie viel CO2-Müll werfe ich in die Atmosphäre? 9000 Kilogramm pro Jahr – das ist mehr als das Zwanzigfache des Hausmülls! Wenn man sich vorstellt, dass man diesen Müll 180 Mal pro Jahr an die Straße schleppen müsste, bekommt man eine Idee, was wir wir in die Atmosphäre werfen. Und dieser Müll ist ja nicht weg, der bleibt lange in der Atmosphäre, in der schützenden Hülle. Unsere sorglose Nutzung von Kohle, Öl und Gas zerstört die Schöpfung. Im christlichen Sinn eine Sünde, wenn Sie wollen eine Ursünde. Wir zerstören die Erde, die uns nährt.
Michael Sterner
Lesen Sie aus unserer Reihe "Religion für Neugierige": Schöpfung bewahren – wie geht das?
Puh, dieser Gedanke zieht einen auch wieder runter…
Zum Glück haben wir mit erneuerbaren Energien Friedensenergien, und dieser Gedanke ist doch sehr konstruktiv. Wir haben es durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gesehen, wie sich der Gaspreis schlagartig verteuerte. Die Gaskrise schadet der Wirtschaft bis heute nachhaltig. Was ist, wenn der Iran oder andere Kräfte die Meerenge von Hormus blockieren? 20 Prozent der Ölexporte fahren dort entlang, plus viele LNG-Tanker, die russisches Erdgas ersetzen sollen. Öl und Gas sind Kriegsenergien, die uns erpressbar machen und für Unfrieden auf der Welt sorgen. Wir müssen hin zu den Friedens- und Freiheitsenergien, hin zu den Erneuerbaren. Diesen Gedanken kann man mit dem christlichen Narrativ der Schöpfungserhaltung verbinden.
Sie sind Naturwissenschaftler. In unserem Gespräch argumentieren Sie als Christ. Ist das für Sie ein Widerspruch?
Nein, überhaupt nicht. Ich komme aus einem christlichen Kontext, mein persönlicher Antrieb ist es, die Schöpfung zu erhalten. Bei Franz von Assisi heißt es: Mach mich zum Instrument deines Friedens. Wenn man dieses Gebet spricht, wird man vom Heiligen Geist erfüllt und bekommt Impulse, was man tun kann. Wenn man den Geist Gottes auf sich wirken lässt, kommt sehr viel Positives auf die Erde. Wir sind Gemeinschaftswesen, das haben wir über Jahrhunderte in unseren Kirchen kultiviert. Wenn wir alle kollektiv (im Gebet) Gedanken und Gefühle auf etwas Positives ausrichten, passieren Wunder. Ich habe es im meiner Kindheit erlebt, dass Menschen "gesund gebetet" wurden. Diese individuelle und gemeinschaftliche Kraft sollten wir nutzen. Du kannst mit Worten, Gedanken und Gefühlen segnen oder verfluchen. Beides wirkt.
Das klingt wie eine Erfahrung aus fernen Zeiten...
In unserer heutigen Zeit habe ich das Gefühl, wir haben den Kompass verloren, weil sich jeder selbst optimiert und nur auf sich schaut - und wir diese Kraft der Gemeinschaft, das gemeinsame Ausrichten, immer weniger praktizieren. Durch alle Weltreligionen zieht sich der Grundsatz: Behandle andere so, wie du behandelt werden möchtest. So gesehen ist mein Glaube für mich persönlich die Aufforderung, mich mit dem Klimathema zu befassen. Ich will nicht, dass Menschen leiden, weil wir unsere Lebensgrundlagen zerstören. Schauen sie allein die Hitzewellen an, wie viele Menschenleben und Ernten die kosten. Völlig unnötig, denn wir haben alle Klimalösungen auf der Hand, wie ich in meinem letzten Buch "So retten wir das Klima" in einfacher Sprache aufgezeigt habe.
Dann geht an einer Energiewende, die vor allem auf Solar- und Windenergie setzt, kein Weg vorbei. Es wird aber immer wieder angezweifelt, ob das in einem Industrieland funktionieren kann. Gibt es eine kurze Replik auf diesen Einwand?
Den gibt es: Wind und Sonne sind die günstigsten Energieträger mit dem größten Potenzial, mit dem geringsten Flächenverbrauch. Wind- und Solarstrom wird die Grundlage unserer Energie-, Kraftstoff- und Brennstoffversorgung. Man kann damit Auto fahren, Wärmepumpen betreiben und ihn in Batterien speichern. Wir sehen bei den Speichern derzeit eine rasante Entwicklung. Das allein wird aber nicht reichen. Wir müssen von den Elektronen aus dem Strom auch zu Molekülen kommen.
Das müssen Sie bitte erklären!
Wir können den Strom nutzen, um Wasser zu spalten, um dann Wasserstoff zu erzeugen. Dazu arbeite ich seit vielen Jahren, das Konzept "Power-to-Gas, Power-to-X" geht auf mich und meine Forscherkollegen wie Michael Specht aus Stuttgart zurück. Mit dem Wasserstoff können wir weiterarbeiten, können ihn mit CO2 oder Stickstoff zusammenbringen. Und dann ist das die Basis für alles, was wir brauchen. Wir können Energie über Monate speichern. Mit Batterien haben wir Kurzzeitspeicher, mit grünem Methan, also erneuerbarem Gas, das ich aus Wasserstoff gewinnen und in den bestehenden Gasspeicher einlagern kann, aber auch einen Langzeitspeicher. Damit kann ich die Stromversorgung stabilisieren, wenn mir weder Wind- noch Sonnenenergie zur Verfügung stehen. Das Verfahren ist seit 15 Jahren bekannt und erprobt. Es ist nur eine Frage des politischen Willens, es durchzuziehen und in die Fläche zu bringen.
Wenn man Wasserstoff mit Kohlendioxid in Reaktion bringt, entsteht bei bestimmten Verfahren Methan. Aber woher nehme ich das CO2?
Zum Beispiel aus Biogasanlagen können wir das nutzen, aus der Tierhaltung, aus Kläranlagen oder Müllverbrennungsanlagen. Auch bei der Zement- und Kalkherstellung wird viel CO2 frei. Das entstehende Methan kommt in Gasspeicher, an Tagen ohne Wind- und Sonnenstrom wird es in Gaskraftwerken verstromt, es dient also als Stromspeicher.
Sie sagen, das Verfahren ist erprobt. Wo zum Beispiel?
Unter der Internetadresse wasserstoffatlas.de finden Sie hunderte von Projekten, die man besichtigen kann.
Sonnen- und Windenergie sind konkurrenzlos preiswert, aber die Weiterverarbeitung zu Wasserstoff ist teuer. Wasserstoff gilt manchen sogar als der "Champagner der Energiewende". Wie können wir dieses Kostenproblem lösen?
Diese Champagner-Diskussion ist überhaupt nicht zielführend. Weil er teuer und knapp sei, soll er zuerst für die Stahlproduktion verwendet werden und nicht im Auto oder anderswo landen. Die daraus abgeleiteten überzogenen Anforderungen an den Ökostrom zur Gewinnung von Wasserstoff verteuern diesen und andere grüne Gase so deutlich, sodass viele Industrielle wie jüngst der Stahlhersteller ArcelorMittal aus Bremen ins Ausland abwandern oder andere keine Wasserstoff-Kraftwerke bauen, sondern weiter fossile Gaskraftwerke. Dann haben wir aus lauter Idealismus nach reiner Lehre genau Null Klimaschutz erreicht. Firmen gehen woanders hin, wo die Anforderungen wie der Anteil Erneuerbarer geringer sind. Wir sollten dem Wasserstoff Luft für den Hochlauf lassen und die Regeln einfacher gestalten. Das ist auch unsere Forderung im Nationalen Wasserstoffrat.
Verstehe ich Sie richtig, Ihnen würde ein geringerer Anteil von Erneuerbaren bei der Wasserstoff-Herstellung auch erst einmal reichen?
Meine Idealvorstellung sind auch die 90 Prozent Anteil an Erneuerbaren! Aber man muss realistisch sein und erst mal anfangen. Die Champagner-Diskussion ist in einer Wasserstoffverhinderungspolitik gemündet. Firmen verlassen die EU, industrielle Wertschöpfung zieht ab, dann ist halt die Basis weg, mit der man überhaupt Einnahmen generiert. Wenn es Defossilisierung Deindustrialisierung heißt, sagen die Leute: Gut und schön mit dem Klimaschutz, aber ich hätte gern doch noch mein Gehalt, um meine Familie zu ernähren. Deswegen plädiere ich für Pragmatismus. Erst mal die Zügel lockern und den Wasserstoffhochlauf kommen lassen – und dann diese Kriterien streng anziehen.
Die Mitteilung, dass ein Bremer Stahlhersteller abwandert, nahm neulich Tadzio Müller – Mitbegründer von "Ende Gelände" – zum Anlass, auf Bluesky zu posten: "Klimaschutz isch over". Er steht damit für einen Teil der Klima-Community, die sich auf eine Anpassung an die Erwärmung konzentriert. Es gibt bereits "Kollapscamps". Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Was ist die christliche Botschaft? Hoffnung! Hat Jesus jemals gesagt: Fürchtet euch? Nein, er hat das Gegenteil gesagt. Also: Fürchtet euch nicht, bringt die gute Botschaft unter die Leute. Die Welt schlechtzureden, ist verantwortungslos. Jede/r kann seinen Beitrag leisten. Und unser christlicher Auftrag ist Glaube, Hoffnung, Liebe. "Daran werden sie Euch erkennen".