Ich sitze am Frühstückstisch. Vor mir die noch ungelesene Zeitung. Sie raunt leise: "Lies mich!" Mein Handy macht "pling". Eine Eilmeldung. Was Neues vom Krieg. Nein, nicht der. Der andere. Ich sehe außerdem zehn neue Mails: Firma, Freunde, Kinder, Steuerberater, Bank, DAK. Im Radio laufen jetzt Nachrichten: Gaza, Ukraine, Heizung, Ampel, AfD, Klima, Sudan, Islamisten, Inflation, Dürre, Demos und Dauerregen. Und meine Frau kommt rein und sagt: "Wir haben schon wieder Ameisen in der Abseite."
Mir schwirrt der Kopf. Ich bin noch nicht mal richtig wach, da tobt es schon um mich herum: das News-Gewitter! Und es will nicht enden. Es regnet, nein, es schüttet Nachrichten, Mails, SMS, Social Media, Artikel, Beiträge, Sendungen, Anrufe. Und Ameisen.
Eine Stunde später stehe ich auf einem Bahnsteig, warte auf die S-Bahn und starre wie hypnotisiert auf einen großen Bildschirm auf der anderen Seite. Früher habe ich da vor mich hingeträumt. Heute werde ich auch hier mit News belästigt. Und ich Idiot gucke auch noch hin! Die Welt schreit: "Hast du schon gehört?", "Wow – Breaking News!", "Guck dir das an", "Was meinst du dazu?", "Findest du nicht auch?". Ich dreh noch durch! Ich soll ständig wissen. Meinen. Zur Kenntnis nehmen. Mich äußern. Mich zu allem Möglichen verhalten. Aber ich mag nicht mehr. Und ich kann auch nicht mehr. Es wird mir einfach zu viel.
Oder liegt es an mir? Bin ich zu bequem und unflexibel geworden? Vielleicht. Aber ich glaube das nicht. Ich bin interessiert. Und motiviert. Aber ich habe mich an Informationen und herausgebrüllten Meinungen förmlich überfressen. Das tut mir nicht gut. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass das alles sein muss. Dass ich weiter alles in mich reinfressen muss, weil alle anderen es auch tun und ich sonst abgehängt werden könnte. Guck, da hat schon wieder einer getwittert! Und ich weiß noch nicht mal genau, um was es geht. Ich bin wohl zu langsam. Vielleicht ist auch mein Info-Magen zu klein. "Mehr Speed, Digger!", sagt eine Stimme in meinem Kopf.
4 Wochen gratis testen, danach mit 10 € guten Journalismus und gute Projekte unterstützen.
Vierwöchentlich kündbar.
Der moderne Mensch ist im…
Der moderne Mensch ist im Dienst des Kapitalverwertungszwangs einem immer weiter zunehmenden Druck ausgesetzt, gerade auch im Zusammenhang mit der Entwicklung der Digitaltechnik, die das gesamte Leben in immer höherer Taktfrequenz in immer kleinere Teichen zerhackt und zerfleddert. Der moderne Mensch kommt durch den immer höher werdenden allseitigen Anforderungsdruck nicht mehr zum Denken, er ist geköpft worden und reduziert worden zu irgendeinem hochspezialisierten Fachidioten und Funktionselement. Der moderne Mensch ist wahnsinnig geworden! Manche meinen, die Kritik am Niedergang des Menschen sei ein geriatrisches Problem, das naturgemäß bald, wenn es nur noch digital natives gebe, sich von selbst löst. Aber das stimmt nicht! Es ist ein anthropologisches Problem! Und zwar ein gewaltiges!
Friedhelm Buchenhorst
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Sehr geehrtes Chrismon-Team,…
Sehr geehrtes Chrismon-Team,
Sie haben uns mit diesem Beitrag von Kester Schlenz eine herrliche Überraschung bereitet. Meine Frau hat gemeint, ihr Mann, ich, habe diesen „Standpunkt“ geschrieben, obwohl sie weiß, daß ich so gut und differenziert nun wohl doch nicht schreiben kann. Aber wirklich, es ist so geschrieben, als sei es aus unserem Hause.
Vielen Dank, große Anerkennung. Wunderbar. Weiter so.
Ihre Helga und Uwe Bredendieck
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Sehr geehrter Herr Schlenz,…
Sehr geehrter Herr Schlenz,
ich schlage das jüngste Chrismon auf - just bei Ihrem Bericht über die Nachrichtenflut, beginne zu lesen: Sie sprechen mir aus der Seele! Danke, dass Sie das, was Sie erleben, so in Worte gefasst haben, dass ich nur sagen kann: Ja, ja, ja.
Als eine gleichen Alters grüße ich herzlich
Birgit Juhl
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Sehr geehrte Damen und…
Sehr geehrte Damen und Herren,
danke für den wunderbaren Artikel "Immer noch mehr Speed" von Kester Schlenz!
Einfach herrlich und jeder hat sich wohl wieder erkannt. Aber es gibt auch "Rezepte" vom Autor dagegen.
Wir sollten sie alle beherzigen, sonst werden wir eines Tages irre! Reizüberflutung nennt man das, im Supermarkt geht es weiter ..... Das muss ein Ende haben.
Gruß aus Erfurt
Brigitte Goldschmidt
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können