Waren Sie schon einmal in Gottsbüren? Nein? Ich auch nicht. Und, zugegeben, bis zum 2. August wusste ich nicht einmal, wo der Ort liegt: in Nordhessen, es ist ein Ortsteil von Trendelburg. Dass ich die Gegend nun auf der Landkarte finden würde, lag an einer Laune. Ich wollte mich auf hessenschau.de informieren, was so los ist. Mache ich eher selten.
Dort las ich: In der Nacht auf den 2. August war Gottsbüren – ebenso wie andere Ortschaften in der Region rund um Hofgeismar, Reinhardshagen, Wesertal und Bad Karlshafen – von schweren, langanhaltenden Regenfällen und Flutwellen verwüstet worden. Bundesweite Schlagzeilen? Gab es kaum. Erst am frühen Abend entdeckte ich eine kurze Meldung auf Spiegel.de.
Was war passiert? Es war zu stationären Gewittern gekommen, also zu Unwettern, die nur sehr langsam zogen und sich in einer Region abregneten. An der Wetterstation Hofgeismar-Beberbeck (das liegt ebenfalls in der betroffenen Region) waren mehr als 90 Liter pro Quadratmeter Niederschlag gemessen worden. Laut Hessischem Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie könnten es andernorts auch 150 Liter pro Quadratmeter gewesen sein. Zum Vergleich: Im Durchschnitt fallen in Hessen im ganzen August etwa 60 bis 70 Liter Regen pro Quadratmeter. Nun war in nur einer Nacht mehr als das Doppelte gefallen. Es ist, als würde man eine ganze Badewanne voll Wasser auf den Quadratmeter kippen.
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Jedes Wetterereignis als Beleg für die Klimakrise zu nehmen, ist so eine Sache. Denn Leugner der menschengemachten Erhitzung nehmen jeden späten Wintereinbruch als Beweis dafür, dass alles im Lot sei. Und, klar, Gewitter waren und sind ein normales Wetterphänomen. Aber derart krasse Regenmengen sind nicht normal. Sie sind ein Anzeichen dafür, dass eine wärmere, energiegeladenere Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Und die kommt irgendwann, irgendwo runter. Gottsbüren sehen und wissen, was mit dem Klima los ist. Die Krise ist keine theoretische Möglichkeit - die Krise ist da.
Die Menschen in Gottsbüren hatten das Pech, dass es sie traf. Aber ihr Unglück taugt offenbar kaum noch als überregionales Thema. Etwas anders sieht es aus, wenn die Wassermassen Ballungsräume fluten. Am 13. August etwa fielen bei Oldenburg in Niedersachsen 130 Liter Regen auf den Quadratmeter. In Bruchsal bei Karlsruhe waren es 100 Liter in zwei Stunden. Wir sollten uns eingestehen: Mittlerweile hat fast jede Gewitterlage in Mitteleuuropa das Potential, für immer neue Schlagzeilen zu sorgen.
Vielleicht setzt deshalb eine schleichende Gewöhnung ein. Ich finde, schon die Bilder der schweren und flächendeckenden Flutkatastrophe in Bayern und Baden-Württemberg sind schnell in Vergessenheit geraten. Dabei rechneten die Versicherer bald nach der Katastrophe mit Schäden in Höhe von zwei Milliarden Euro. Und das ist nur die Summe, für die ein Versicherungsschutz bestand. Der Gesamtschaden wird weit höher sein. Interessanterweise erwähnen das jene, die Klimaschutz und Energiewende als "zu teuer" brandmarken, nie.
Ich kann sie alle verstehen: Die Nachrichtenchefinnen in Redaktionen, die seufzen: "Nicht schon wieder Unwetter und Klima, das klickt so schlecht." Oder den User am Smartphone, der das lästige Thema wegwischt. Und auch den Freundeskreis, der lieber heitere Themen bespricht. "Und, wie war euer Urlaub?" Auch ich habe eigentlich keine Lust mehr auf dieses Thema. Die Klimaveränderung macht Angst, und was uns verängstigt, verdrängen wir gern. Da bin ich keine Ausnahme. Und, ja, niemand kann allein "das Klima retten". Das muss ohnehin niemand, das Klima ist halt da – aber daran, uns zu retten, sollten wir schon noch denken.
Es hilft nichts: Das Thema muss auf den Tisch, wieder und wieder und am besten auch konstruktiv, mit Beispielen, wie es geht, wie nicht nur wir uns ändern – denn das allein wird niemals reichen –, sondern wie wir die Strukturen ändern. Kristina Wittig ist so ein Beispiel – die Frau hat einfach mal eine Energiegenossenschaft gegründet. Das kann nicht jeder - aber darüber, Anteile an einer Bürgerenergiegenossenschaft zu zeichnen, darf man doch gern nachdenken.
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Vor allem aber: Der Druck der Vielen muss Bestand haben und neuen Schwung erhalten, sonst bewegt sich die Politik nicht oder viel zu langsam. Deshalb: reden, zuhören, einordnen. Kopf in den Sand? Ganz schlecht!
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade die Mensche im Katastophengebiet in Nordhessen uns zeigen, wie es geht. Sie halten zusammen, räumen gemeinsam auf. Doch beser wäre es, wir ließen es gar nicht erst so weit kommen. Auch das geht: nur gemeinsam.