Erik Ahrens
AfD-Aussteiger Erik Ahrens im Interview auf YouTube
Zentrum für Politische Schönheit: Zeitsturz: Wie besiegen wir die AfD? (Screenshot)
Hörtipps
Erst die harte Realität, dann Entspannung mit Musik
Es lohnt sich, dem AfD-Aussteiger Erik Ahrens zuzuhören! Danach braucht man aber gute Musik auf die Ohren, zum Beispiel von der Gospel-Sängerin Mavis Staples
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
28.11.2025
4Min

Vor etwa einem Monat veröffentlichte das "Zentrum für Politische Schönheit", das mir durch einige populäre, aber fehlgeleitete Aktionen suspekt geworden war, ein über dreistündiges Gespräch mit Erik Ahrens, einem ehemaligen Jung-Nazi. Inzwischen haben es fast 90.000 Menschen gehört, nun auch ich.

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Grundsätzlich denke ich: Man sollte diesem 31-jährigen Politaktivisten mit gesunder Skepsis begegnen. Aber es lohnt, sich die Zeit zu nehmen und seiner Geschichte zuzuhören. Denn er kann kompetent aus dem Innersten der Machtapparatur der AfD und aus dem Seelenleben eines Rechtsextremen berichten.

Öffentlich bekannt wurde Ahrens, weil er für Maximilian Krah eine erfolgreiche TikTok-Kampagne gestaltet hatte. Dabei sammelte er Wissen darüber, wie diese Partei funktioniert und – man kann es nicht anders sagen – was für miese Gestalten in ihr arbeiten. Jeder am rechten Rand der CDU, der gegenwärtig über die Brandmauer hinüberschielt, sollte sich dieses Gespräch in Ruhe anhören: Mit solchen Leuten haben anständige Politiker nichts zu tun (Konrad Adenauer, Helmut Kohl und sogar Franz Josef Strauß hätten das gewusst).

Heute sieht Ahrens in der AfD den Meeresboden, auf den alle Ressentiments, Übellaunigkeiten und menschenfeindlichen Einstellungen unserer Gesellschaft herabsinken – besser gesagt: eines bestimmten Teils dieser Gesellschaft, nämlich derer, die sich abgehängt fühlen.

Die AfD ist für Ahrens eine Partei von und für Verlierer, deren Aggressivität nur eine Ausdrucksform von Depression sind. Auch wenn er über diese Menschen überaus hart – und nicht selten hochmütig – urteilt, kann er sein früheres Ich in ihnen wiedererkennen. Auch er war – so jedenfalls erzählt er es – erfüllt von dem Gefühl, dass alles unterzugehen droht. Diese dumpfe Verzweiflung verband sich bald mit dem seltsamen Hochgefühl, das ein Verschwörungsglaube wie der Antisemitismus verleiht. Die Welt geht verloren, aber man selbst blickt durch und erkennt die wahren Schuldigen. Doch zu einem irgendwie sinnvollen Engagement führt das nicht: Rechtsextremismus ist eben nur die Ausdrucksform eines unglücklichen Bewusstseins. Mehr noch, sie hat Suchtcharakter und zieht einen immer tiefer ins Unglück. Das ist für die betroffene Person fatal, aber natürlich auch für die Gesellschaft, in der sie lebt.

In diesem Jahr hat Ahrens – nach eigenen Angaben – eine radikale Kehre vollzogen und mit seiner rechtsextremen Vergangenheit gebrochen. Wie diese Bekehrung sich vollzogen hat, ist für mich nicht nachzuvollziehen. Ahrens kann es nicht erklären, sondern labert bei diesem Punkt gestelzt herum. Er erzählt von seiner neuen Freundin, die ihm geholfen habe, und von Jesus. Vor allem habe er endlich eingesehen, dass sein Antisemitismus und Nationalsozialismus ihn nur unglücklich gemacht hätten. Eine neue Liebe und der christliche Glauben also hätten ihm einen Ausweg daraus gezeigt.

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Dagegen habe ich natürlich nichts, doch befremdet mich, wie schnell Ahrens anscheinend die Seiten gewechselt hat und wie flüssig-eloquent er darüber Auskunft gibt. Als Saulus vor Damaskus zu Paulus wurde, konnte er danach einige Tage nicht sprechen. Dieses Problem kennt Erik Ahrens nicht. Befremdet hat mich zudem, wie scheinbar objektiv er über sein Vorleben spricht. Wenn ich eine rechtsextreme Vergangenheit und für schmierige Gestalten wie Maximilian Krah gearbeitet hätte, würde ich mich heute dafür bitter schämen. Und zur Scham gehört nach christlichem Verständnis die Reue, also der Schmerz über die eigene Schuld. Auch davon scheint Ahrens nichts zu wissen.

Dennoch, trotz aller Vorbehalte sind seine Berichte über die AfD erhellend und seine Analysen einer rechtsextremen Existenz stimmig. Auch seine strategischen Vorschläge haben mich überzeugt: Mit verbitterten, enthemmten, korrupten Ausländerfeinden, Rassisten und Antisemiten macht man keine politischen Geschäfte. Wer glaubt, sich ihrer bedienen zu können, irrt sich gewaltig.

Mavis Staples, Blues- und Soulsängerin, Grammy-Preisträgerin und Bürgerrechtlerin

So, nun zum zweiten Hör-Hinweis. Man braucht nach diesen drei Stunden mit Erik Ahrens dringend etwas anderes für die Ohren. Zum Glück hat Mavis Staples gerade ein neues Album mit dem Titel "Sad and Beautiful World" veröffentlicht. Es ist ein spätes Meisterwerk, das – man muss es so pathetisch sagen – von der Kraft des Glaubens und der Macht des Guten zeugt. Staples ist 86 Jahre alt. Ihre Laufbahn begann sie vor 75 Jahren als Teil der Staples Singers, einer großartigen Familienband, die Gospels und Protest Songs sang. Beides gehörte für Staples immer zusammen. So hat sie mit Martin Luther King für die Bürgerechte der Afroamerikaner gekämpft. So kämpft und singt sie heute noch.

Wenn man bei einer Künstlerin ein solch hohes Alter erwähnt, schleicht sich manchmal eine unschöne Mischung aus Erstaunen und Herablassung ein. Aber Mavis Staples ist einfach eine wunderbare Künstlerin, die auch mit ihrer schwächer gewordenen Stimme souverän umzugehen weiß, die vor allem über eine immense Lebens- und Kunsterfahrung verfügt. Mit einem Team aus hervorragenden, jüngeren Künstlern wie dem Produzenten Brad Cook, der schon Alben von Bon Iver produziert hat, oder Nathaniel Ratcliff als Hintergrundsänger hat sie einen Kanon aus zehn Liedern zusammengestellt.

"Chicago" von Tom Waits ist dabei, auch das etwas kitschige, aber die heute so dringend benötigte Resilienz fördernde "Anthem" von Leonard Cohen ("There is a crack in everything, that’s how the light gets in") oder "Beautiful Strangers" von Kevin Morby. Ihren tragisch verstorbenen Freund Curtis Mayfield lässt sie mit seinem "We Got To Have Peace" wieder lebendig werden.

Es ist einfach eine Freude, all diese Lieder zu hören – so frei, warm, beschwingt, ermutigend, grundmenschlich sind sie. Böse Menschen mit bösen Weltanschauungen bekommen so etwas nicht hin. Staples folgt in ihrer Musik dem Licht, das ihr christlicher Glaube aussendet, und gewinnt dadurch die Kraft, sich für eine hellere Zukunft für alle Menschen einzusetzen – allen Finsternissen zum Trotz.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur