Annie Caldwell and Family
Annie Caldwell und ihre Familie: Die Töchter singen mit ihr, die Männer begleiten instrumental
Adam Wissing
Musik
Grandiose Gospel-Musik von heute
Gospel ist immer noch eine herrliche Alternative zum ökonomisch und weltanschaulich üblichen Pop. Aktuelles Beispiel? Das neue Album von Annie & The Caldwells
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
11.07.2025
3Min

Tatsächlich, es gibt sie noch: grandiose Gospel-Musik. Man hätte meinen können, sie sei wie ein alt gewordenes Feuer erloschen oder wäre in Strömen der Kommerzialisierung und Säkularisierung ertrunken.

Aber vor kurzem ist ein Album erschienen, das tief aus den Quellen der Black Church und des authentischen Gospel schöpft, ohne dabei unzeitgemäß oder aufgesetzt zu klingen. Dieses Wunder haben Annie & The Caldwells mit "Can’t loose my (soul)" vollbracht.

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Annie Caldwell ist die Matriarchin einer großen Familie, die in West Point, Mississippi, also im "Deep South" lebt. Seit Jahrzehnten führt sie im Hauptberuf ein Kleidungsgeschäft in der Hauptstraße des Ortes, das sich auf besondere Garderoben für feierliche Zusammenkünfte ihrer und anderer Kirchen spezialisiert hat. "Caldwell Fashions" ist immer noch an fünf Tagen in der Woche geöffnet sowie nach Vereinbarung. Wer dort einkauft, kann manchmal erleben, wie die Chefin mit ihren Kundinnen darum betet, das passende Outfit zu finden.

Immer schon hat Annie Caldwell bei Gottesdiensten und anderen kirchlichen Veranstaltungen Musik gemacht. Als sie bemerkte, dass ihre Töchter sich dem "Blues" – als Oberbegriff aller weltlichen Popularmusik – zuwandten, formte sie aus der ganzen Familie eine Band, die nur "Gospel" – also ausschließlich christliche Musik – spielen sollte: Die Töchter singen mit ihr, die Männer begleiten instrumental.

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In ihren Texten erzählen Annie & The Caldwells von ihrem Leben und ihrem Glauben, wobei das eine nicht vom anderen zu trennen ist. Sie geben Zeugnis von der Kraft des Gebets, erzählen von Familienkonflikten und Versöhnungen, loben Gott und preisen Jesus Christus.

Ihre innige Frömmigkeit hat dabei immer eine politische und soziale Bedeutung: Im Glauben erfahren und bewahren sie ihre Menschenwürde, mit ihm widerstehen sie dem immer noch mächtigen Rassismus und der sozialen Ungerechtigkeit. So kennt man es von der Black Church seit jeher. Unüberhörbar und unübersehbar aber ist, dass bei dieser Band die Frauen das Sagen haben. Das kann man von der traditionellen Black Church nicht unbedingt behaupten.

Singen und Mode gehören bei der Caldwell-Family zusammen

Es ist eine reine Freude, ihr erstes Album zu hören. Man merkt ihm an, wie es langsam über zwei Jahrzehnte gewachsen ist. Hier gibt es keinen modischen Zierrat. Hier wird kein kommerzielles Produkt mal eben auf den Markt geworfen.

Hier haben echte Menschen ihre ureigene Musik gemacht. Diese lebt von den großartigen Stimmen der Frauen, aber auch vom Funk, den Gitarre, Bass und Schlagzeug beisteuern. Wer hier nicht gleich beten und auf die Knie gehen mag, wird doch unweigerlich mittanzen. In Zeiten überproduzierter, überformatierter Pop-Standard-Ware, begegnet man hier einer überwältigend authentischen Musik.

"Can't Lose My (Soul)" wurde in West Point aufgenommen, ganz in der Nähe des Hauses, in dem Annie mit ihrem Mann Joe lebt, nämlich in der Kirche, in der Joe jeden zweiten Sonntag Gitarre spielt und in der sein Vater früher Diakon war. Auch das hört man. Übrigens sind alle Kinder der Familie berufstätig: Willie Jr. ist Gabelstaplerfahrer in Tupelo, Abel Aquirius fährt Krankenhauspatienten zu ihren Terminen, Anjessica arbeitet in der Kundenbetreuung einer Versicherungsgesellschaft, Deborah ist Kosmetikerin und Toni ist Grundschullehrerin. Auch darin zeigt sich: Gospel ist immer noch eine herrliche Alternative zur "Welt" des ökonomisch, politisch und weltanschaulich Üblichen.

Annie & The Caldwells - Can't Lose My (Soul)
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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur