Die Dorgemeinschaft kommt vor der alten Scheune zum Umtrunk zusammen
Die alte Scheune ist jetzt schon eine schöne Kulisse für gemeinsame Treffen
Ulrich Otto
Umbau eines Dorfkerns
Altes Dorf, neuer Kern
Unterjesingen ist ein Vorort von Tübingen. Die 350 Jahre alte Scheune soll zum neuen Dorfmittelpunkt werden - mit Seniorenwohnungen, Arzt-Praxis, Pflege-WG - ein Gesamtkonzept für viele
Tim Wegner
08.05.2025
4Min

Jetzt ist die Zeit! In wenigen Wochen müssen die Abbrucharbeiten beginnen. Wenn das nicht geschieht, stoppt die nächste Tranche der Fördergelder …

Wenn Uli Otto von den Fortschritten aus Unterjesingen berichtet, hört es sich wie ein Krimi an. Und es hört sich nicht nur so an, es ist einer, berichtet er mir am Telefon. Wir beide haben schon öfter gesprochen, denn Uli ist Gerontologe und Wohnforscher und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie wir besser im Alter wohnen können – möglichst dort, wo wir uns zugehörig fühlen. Für die Genossenschaft "Unter­je­singen. Gut. Leben. In jedem Alter! eG" engagiert er sich halb beruflich, halb ehrenamtlich als Projektsteuerer. Als Vorstand der nestbau-Bürgeraktien AG in Tübingen, über die ich in der Wohnlage schon mal berichtet habe, hat er das nötige Fachwissen und die Kontakte.

Das Ziel: Ein neues Ortszentrum im alten Kern und eine Wohn- und Lebensgemeinschaft für gutes Älterwerden. Eine Doppel-Aufgabe, die es nicht nur hier, in dem Vorort von Tübingen gibt. Die Bevölkerung altert, vor allem in ländlichen Regionen. Dorfkerne leeren sich, das Einfamilienhäuschen ist nicht altersgerecht. Viele Menschen wollen da sterben, wo sie ihr Leben verbracht haben. Uli berichtet von vielen Anfragen von Ortsvorstehern aus anderen Regionen.

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Herzstück des Areals ist eine städtische Brache mit zwei Altbauten und einer 350 Jahre alten Scheune – von außen eher unscheinbar, auch verfallen, doch im Herzen ein wahres Schmuckstück der regionalen Baukultur. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat das erkannt und Fördergelder zugesagt. Aus der Scheune – oder Scheuer, wie es hier heißt – wird ein "Wohnzimmer für alle": mit einer Arztpraxis, einer Pflege-WG, zwei Wohnungen für Mitarbeitende, Bürgertreff, Veranstaltungsort, vielleicht einem Café mit Mittagstisch.

Die beiden Altbauten sollen abgerissen werden

Statt der beiden maroden Altbauten entstehen drei Wohnhäuser. Von der Architektur her werden sie gut ins Dorfzentrum passen und für innen gibt es raffinierte Grundrisse, alles barrierefrei und multifunktional, Platz für die Pflege-WG für acht Personen und insgesamt 16 Wohnungen für Menschen, die sonst im Ort keine Bleibe finden, weil es hier kaum barrierearme und bezahlbare Wohnungen gibt. Die Hälfte davon werden Sozialwohnungen sein.

7,6 Millionen Euro soll all das am Ende kosten, viel Geld für einen kleinen Ort und eine junge, noch kleine Genossenschaft mit ihren 140 Mitgliedern. Doch was Uli im Gespräch wichtig ist: Anders als in vielen anderen Schlafstädten Deutschlands gibt es in Unterjesingen noch eine gewachsene Struktur mit Metzger, Sparkasse und Arztpraxis, vielen Vereinen. Und genau deshalb eigne sich der Ort auch so hervorragend für das außergewöhnliche Projekt: "Hier schlafen die Leute nicht nur, sondern sie leben hier und wollen auch im Alter hierbleiben", erzählt er.

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Das Gelände lag viele Jahre lang brach und immer wieder gab es Ideen, einen klassischen Investor mit einem Bau beispielsweise für betreutes Wohnen zu beauftragen, doch in vielen Gesprächen zwischen Tübinger Bau- und Sozialverwaltung, Fachmenschen wie Uli und vor allem der Dorf- und Stadtgesellschaft wurde klar: An dieser Stelle geht viel mehr als nur Wohnen. Hier soll das Dorfzentrum auferstehen, ohne Shoppingarkaden, dafür mit preiswertem Mittagstisch, nicht sozial ausgrenzend, sondern einbeziehend.

Gegründet hatte sich die Genossenschaft 2021, dann gab es viele Aufs und Abs, vor nicht einmal einem Jahr herrschte mehr oder weniger Stillstand, alle waren deprimiert, es ging nicht voran. Einen wichtigen Schub gab es durch die Zusage von Fördergeldern aus dem Bundesfamilienministerium. Uli kennt das aus vielen anderen Projekten, die er betreut: "Es ist unfassbar, welche Dynamik sich da entfaltet."

Der Grundriss der Neubauten zeigt deutlich: Hier geht es nicht nur um ein paar neue Wohnhäuser, sondern um ein neues Ortszentrum

Bis Ende Juni müssen die Bauarbeiten beginnen – sonst verfallen 415 000 Euro aus einer früheren Förderzusage. Auch der Denkmalschutz hat erkannt, welche Chancen sich durch den Ausbau der historischen Scheune ergeben. Und die Menschen in Unterjesingen, so berichtet es Uli, seien zunehmend stolz auf ihr historisches Erbe, darauf, dass ihr Projekt möglicherweise bundesweit Vorbild sein könnte - und packen vermehrt mit an.

Uli zitiert einen älteren Herrn, der ihm neulich während eines Arbeitseinsatzes an der Scheune zugeraunt hatte: "Weischt, früher hätten wir so was mit einem Zündhölzle erledigt…" Andere Zeiten. Zum Glück!

PS: Apropos Einfamilienhaus und Baden-Württemberg: Die Wohnforscherin Christina Simon-Philipp sucht Menschen, die für eine Online-Plattform erzählen, wie sie sich die Zukunft in ihrem Einfamilienhaus vorstellen, wenn z.B. die Kinder ausgezogen sind. Wenn Sie in BW in einem Haus leben: Hier können Sie sich Infos zur Evaluation herunterladen.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.