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Am Anfang war da diese Zahl: 7 Billionen Euro oder mit mehr Nullen: 7000 Milliarden. So viel Geld hatten die Deutschen laut Informationen der Deutschen Bundesbank 2010 auf ihren Konten angesammelt. Für Gunnar Laufer-Stark eine Art Erweckungsmoment: "Wenn nur wenige dieser Menschen ihr Geld in einer gemeinwohlorientierten Wohnungsbaugesellschaft anlegen würden, dann kämen ohne Probleme einige Millionen zusammen."
Gunnar Laufer-Stark war damals 55 Jahre alt und hatte zu dieser Zeit bereits 20 Jahre lang als Fachanwalt für Steuerrecht und Inhaber eines Steuerberatungsbüros in Tübingen gearbeitet. Im Oktober 2010 gründete er die Bürgeraktiengesellschaft „Nestbau AG“-Tübingen: „Es kann doch nicht sein, dass wir den Wohnungsbau nur den Heuschrecken überlassen.“ Wohnen, davon ist er überzeugt, ist ein Menschenrecht.
Doch ausgerechnet Aktien? Ja, eben genau sagt Gunnar Laufer-Stark. Denn während Genossenschaften in der Regel für sich selbst bauen, bauen die Aktionäre der Nestbau für andere. Wie bei jeder anderen Aktien-Gesellschaft auch sind die Aktionäre Mit-Besitzer des Unternehmens, nehmen in den Hauptversammlungen Einfluss auf die weitere Entwicklung - aber sie sind in der Regel nicht direkt Nutznießer. Und anders als ein "klassischer" Aktionär wollen sie nicht unbedingt immer reicher werden. Sie wollen ihr Geld sicher anlegen und für bezahlbaren Wohnraum sorgen.
So auch Susanne Bächer, ehemalige Kunsterzieherin aus Tübingen. In einem Zoom-Gespräch erzählte sie mir von ihrer Intention: "Ich finde, es ist eine wirkliche Sauerei, dass mit Wohnraum so viel spekuliert wird." Als sie das erste Mal von der Aktien AG gehört hatte, war sie abgeschreckt: Aktien, das verband sie eher mit Egoismus, Geldgier, mittlerweile weiß sie es besser: "Ich kann als Aktionärin der Nestbau AG für bezahlbaren Wohnraum in Tübingen sorgen." Für mehrere tausend Euro kaufte sie Aktien mit Geld, dass sie vor einigen Jahren geerbt hatte: "Das war für mich auch ein Schritt, mich von der Last dieses Erbes zu befreien."
Insgesamt vier Häuser hat die Nestbau AG seit ihrer Gründung gebaut. Gerade entsteht in Tübinger Stadtteil Pfrondorf das "Neschtle": Ein gemeinschaftliches Senior*innen-Wohnprojekt, in Massivholzbauweise, in einem Wohnviertel, in dem mehrheitlich Eigenheime stehen. Viele der dort wohnenden Menschen sind mittlerweile alt, das Haus ist viel zu groß für sie. Das "Neschtle" bietet ihnen die Gelegenheit zum Tausch in eine seniorengerechte Wohnung; Verkauf oder Vermietung ihres alten Hauses übernimmt die zur Nestbau AG gehörende Immobilienverwaltung. Entstanden ist das Projekt nach einer Bedarfsanalyse durch Studierende des Karlsruher Instituts für Technik: Sie hatten in Pfrondorf ganz konkret gefragt: Unter welchen Bedingungen würden Sie Ihr Haus aufgeben und in eine Wohnung ziehen?
Seit über zwei Jahren schreibe ich jetzt hier die Wohnlage und bin immer wieder erstaunt und glücklich darüber, wie viele tolle Projekte es in diesem Land schon gibt. Über viele von ihnen habe ich hier schon berichtet. Gunnar Laufer-Stark beispielsweise ist in Tübingen auch bei der Genossenschaft Neustart engagiert; die Zukunft des Eigenheims erforscht die Stuttgarter Professorin Christina Simon-Philipp; die bessere Nutzung des bestehenden Wohnraums ist das Thema von Daniel Furhop; die Soziologin Christine Hannemann entwickelt Wohnkonzepte zur Integration verschiedener Menschengruppen in einem Haus, Genossenschaften in der Schweiz arbeiten mit einer (von allen angenommen) Pflicht zum Wohnungstausch. Und das großartige Netzwerk Immovielien hilft dabei, dass all diese Ideen zueinander finden.
Das alles sind mutmachende und tolle Ideen - doch: Die Realität auf dem Wohnungsmarkt ist eine andere. Die Nestbau AG ist einzigartig in Deutschland mit ihrem Konzept. Warum? Und so nachvollziehbar und logisch die Idee ist: Viel zu wenig Menschen machen mit. Es fehlt an einer bundesweiten öffentlichen Wahrnehmung. Die Nestbau sucht dringend weitere Aktionär*innen, berichtet Gunnar Laufer-Stark.
Er wie viele andere Menschen fragen sich: Warum bestimmt immer noch die Gier nach Gewinn den Wohnungsmarkt? Warum darf so schamlos mit Grund und Boden spekuliert werden? Warum gibt es zwar immer mehr tolle, gemeinwohlorientierte Wohnprojekte, aber trotzdem immer weniger bezahlbaren Wohnraum?
Die Anregung, die Nestbau AG vorzustellen, kam per Mail - wie schon so of in den letzten Jahren. Wenn Ihr etwas zum Vorstellen habt, schreibt mir.