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Schon öfter habe ich in der Wohnlage darüber geschrieben: Wir verbrauchen immer mehr Wohnfläche. Zwischen 1956 und 2023 hat sich der durchschnittliche Pro-Kopf-qm² Verbrauch von 22 m² auf 47 m² mehr als verdoppelt. Auf sagenhafte 97 qm² kommt im Schnitt der allein lebende Single im Eigentum.
Wohnforschungen haben gezeigt, dass damit nicht automatisch auch die "Wohnzufriedenheit" steigt. Genug ist eben genug, Reichtumsforscher wissen das längst.
Noch wichtiger ist aber der Blick auf die andere Seite der Skala. 24m² pro Kopf verbraucht die vierköpfige Familie, viele noch viel weniger. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes leben knapp 9 Millionen Menschen in unserem Land in überbelegten Wohnungen.
Es geht also um das große Thema Gerechtigkeit und Umverteilung. Und wie so oft gibt es schon längst gut eingeführte Instrumente dafür.
Eines dieser Instrumente habe ich letzte Woche vom Soziologen und Wirtschaftsingenieur Jonas Lage auf einem Kongress in Flensburg (*Infos zur Tagung unten) kennen gelernt.
Jonas ist Doktorand und forscht in der Schweiz, konkret in Zürich zu Belegungsvorgaben für Wohnungen. Der Titel seines Vortrages lautete: „Klein und gerecht. Umverteilung von Wohnraum in Zürich“.
Seit über hundert Jahren ist die Stadt Vorreiterin im Genossenschaftswesen. Knapp 20 % aller Wohnungen in Zürich gehören Genossenschaften, dazu kommen gut fünf Prozent kommunaler Wohnungsbestand. Wer in eine dieser kommunalen oder Genossenschaftswohnungen zieht, verpflichtet sich zum Wohnungstausch, wenn sich die Belegungsverhältnisse ändern und z.B. nur noch zwei statt vier Menschen in der Wohnung leben.
Jonas Lage
Die schlichte Formel lautet: Zimmerzahl minus 1. In einer Fünfzimmerwohnung müssen mindestens vier Personen leben. Fällt die Zahl der Bewohner*innen unter diese Grenze, steht ein Umzug an. Den Betroffenen werden passende Alternativen angeboten, meistens kann aus bis zu drei Wohnungen ausgewählt werden. Die freiwerden, größeren Wohnungen stehen dann beispielsweise wieder Familien zur Verfügung, die Zuwachs bekommen haben.
Wohnhammer? Niemand redete von Zwang
In Deutschland würden vermutlich alle sofort „Wohnhammer“ schreien, wenn auch nur ansatzweise von eine Umzugs“pflicht“ die Rede wäre. In Zürich dagegen hat Jonas in seinen Interviews die Erfahrung gemacht: „Niemand redete von Zwang.“ Da alle im Haus von den Vorgaben wissen, würden sich die Leute in der Regel dann auch ganz von allein melden.
Die Betroffenen empfinden das System als „gerecht“, denn zum einen leuchtet es ein, dass der Wohnraum nach den unterschiedlichen Bedarfen verteilt sein sollte – auch wenn diese sich mal ändern. Zum anderen gilt diese Regel für alle, auch das stärkt das Gerechtigkeitsgefühl. Darüber hinaus wissen alle von Anfang an, worauf sie sich einlassen und sie können sich darauf einrichten.
Interessant fand ich diese Folie in der Präsentation von Jonas:
Pull-Maßnahmen sind in diesem Kontext positive Anreize. Mit Push-Maßnahmen kennzeichnet der Wissenschaftler Verpflichtungen, Verordnungen vielleicht sogar Gesetze.
Wie zu sehen ist, gibt es im Wohnbereich viele Anreize und wenig Verpflichtungen. Jonas zog den Vergleich zwischen Wohnungs- und Verkehrswende. Hier wie dort wissen Politik und Gesellschaft, dass Veränderung dringend nötig ist. Und ebenso wissen alle, dass es für eine echte Wende eine gute Mischung zwischen Anreizen und Verboten/Vorschriften geben muss: Das Deutschlandticket als positiver (Pull-)Anreiz: "Steig mal um"; Bußgelder für überhöhte Geschwindigkeiten oder das Verbot von Autoverkehr in Spielstraßen etc. als härtere (Push-)Maßnahme.
Natürlich hinkt der Vergleich ein bisschen. Im Auto das Gaspedal nicht so durchzudrücken, wenn ich an einem Kindergarten vorbeifahre, ist einfach. Eine Wohnung von groß zu klein zu tauschen, ist dagegen oft unmöglich. Weder gibt es die Wohnungen dafür, noch stimmt am Ende die Rechnung. Die Miete könnte sogar steigen, obwohl ich mich verkleinere.
Und genau dies wird eben in Zürich erleichtert. Neben der Verpflichtung auszuziehen, erhalten die Genoss*innen in Zürich eine lebenslange „Wohngarantie“. Wenn sich keine geeignete kleinere/größere Wohnung findet, wird niemand auf die Straße gesetzt; es gibt keine plötzliche Mieterhöhung und wenn irgend möglich wird eine Bleibe in der Nähe der alten Wohnung gesucht.
Das alles ist kein Selbstgänger. Der Umzug in eine kleinere Wohnung bedarf häufig viel Vorbereitungszeit und geht mit Abschieden von liebgewonnenen Dingen einher. Und natürlich gelte das alles sowieso nur für den gemeinnützigen Wohnungsraum, berichtete Jonas mir im Gespräch. Frei finanzierte Eigentums- und Mietwohnungen seien in Zurück genauso aberwitzig teuer und unter- oder überbelegt wie in anderen Städten auch.
Doch im Großen und Ganzen, das war sein Fazit, funktioniere das Modell: „Ist der Umzug erst einmal geschafft, wird er oft als Bereicherung beschrieben.“ In vielen Genossenschaften, auch dies hörte er immer wieder, erhöhe die Vorschrift den Anreiz zum anders Bauen oder Umbauen: „Die Genossenschaften wissen ganz genau, dass sie eine bestimmte Anzahl von kleinen Wohnungen vorhalten müssen. Oft sind diese nicht da, weil viele Häuser erst mal nur größere Familienwohnungen geplant haben.“ Also wird jetzt umgebaut und bei neuen Vorhaben gleich mit gemischteren Grundrissen geplant, wie Jonas auch aus der oben abgebildeten Heimgenossenschaft Schweighof, einer Reihenaussiedlung im Süden Zürichs, berichtete.
Zum Schluss noch dies: Wieso Jonas aus dem hohen Norden Deutschlands nur für diese Untersuchung ganz in die Schweiz gereist sei, fragten ihn einige der Interviewten: Na ja, weil es so etwas wie eine Belebungsvorgaben nicht gäbe. Erstaunen auf der anderen Seite: „Echt jetzt? Ihr kennt so was in Deutschland nicht? Warum denn nicht?“
Genau – warum eigentlich nicht?
*Infos zur Tagung:
"Weil es sich rechnet" – Zur Ökonomie der Suffizienz" lautete der Titel der Tagung, auf der ich in der letzten Woche als Vertreterin meines Ehrenamtes in der Genossenschaft Gröninger Hof eG aufs Podium geladen haben. Mit Sicherheit werde ich noch das eine oder andere Thema von den Panels und Vorträgen hier berichten. Denn sie alle drehten sich um das Thema der Wohnlage: Wie schaffen wir die Wohnwende?
Seh- und Hörtipp chrismon-live:
Wie können wir preiswert und gemeinschaftlich wohnen? Hier geht es zur Aufzeichnung meines Web-Talks mit Jennyfer Wolf vom Wohnprojekt Allmende in Freiburg und Jörn Luft vom Netzwerk Immovielien e.V. vom 17. August 2023
Zweifelsfreie Eindeutigkeit
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Wohnen wird erst dann gerecht, wenn GRUNDSÄTZLICH alles Allen gehören darf, wenn alle wirklich OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik in "Wer soll das bezahlen?" und "Ökonomie" von/zu unternehmerischen Abwägungen (sozusagen "Arbeit macht frei") wahrhaftig-freiheitlich zusammenleben, OHNE Erpressung zur Kapitulation vor dem zeitgeistlich-reformistischen System des menschenUNwürdigen Wettbewerbs.