Hell erleuchtetes Foyer der Hamburger Staatsoper mit Besuchern
Die Hamburger Staatsoper soll ein Haus für alle sein. So wollte es der Architekt Gerhard Weber. Es liegt im Zentrum der Stadt, hat ein einladendes Foyer und signalisiert Offenheit
Niklas Marc Heinecke
Kulturpaläste
Die fetten Jahre sind vorbei
Hamburg, Stuttgart, Köln, Würzburg - in vielen Städten müssen staatliche Kulturhäuser saniert werden. Das bestehende Gebäude erhalten? Oder doch besser ein Neubau? Ein Plädoyer gegen scheinbar einfache Lösungen
Tim Wegner
24.04.2025
5Min

Letzte Woche war ich mal wieder in der Oper. In der Staatsoper in Hamburg. Es gab Verdis La Traviata. Ein Opern-Best-Hit nach dem anderen, großes Liebesdrama, tolle Musik, volles Haus, brausender Applaus am Ende.

Vorher oder in der Pause gönnte ich mir weder Sekt noch Brezel, sondern lauschte den Worten des Architekturjournalisten Boris Hohmeyer. Wir sahen Bilder des ersten Hamburger Opernhauses von 1678 (einem der ersten der Welt); hörten die Baugeschichte vom Vorgängerbau der heutigen Staatsoper; lernten, wie viel trotz der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg noch erhalten geblieben ist, und wir diskutierten darüber, wie wunderbar offen dieses Haus mit seiner großen Glasfassade seit der Wiedereröffnung 1955 in die städtische Gesellschaft hineinwirkt.

Einige von uns wunderten sich über den pompösen weißen Marmorboden in Foyer und Treppenhaus. Den, so berichtete Hohmeyer, verdanke die Staatsoper dem persönlichen "Geschmack" eines lokalen Kulturmäzens. Der hatte bei einer Generalsanierung der Innenräume Anfang der 2000er Jahre auf den Neureichen-Schick bestanden. Wer zahlt, bestimmt.

Die Diskussion auf Einladung des Hamburger Denkmalvereins hatte einen aktuellen Anlass. Der in der Schweiz lebende Milliardär und Mäzen Klaus-Michael Kühne ist Opernfan und findet als gebürtiger Hamburger die Staatsoper, so wie sie heute ist, spießig und von der Akustik her minderwertig. Nun will er der Stadt einen Neubau an prominenter Stelle am Elbufer in der Hafencity "schenken". Die Musiktheater in Oslo, Kopenhagen und Sydney gelten als Vorbilder.

Die Staatsoper im historischen Stadtzentrum steht unter Denkmalschutz. Sie darf nicht abgerissen werden, sondern soll als zusätzliche Spielstätte für noch unbestimmte Nutzer erhalten bleiben. Zusätzlich zu Hamburgs kulturellem Wahrzeichen, der Elbphilharmonie, der neobarocken Laeiszhalle und weiteren privaten Musical- und Theaterhäusern. Hinzu kommen große Kirchen als Räume für Hochkultur. Derweil stirbt in Hamburg ein Musikclub nach dem anderen und der alternativen Kunstszene fehlt es an bezahlbaren Auftrittsmöglichkeiten.

Kühnes Idee stößt in der Politik auf offene Ohren, denn ob spießig oder nicht, vor allem die Technik der Hamburger Staatsoper muss dringend saniert werden.

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Ähnliches gilt für viele Kulturstätten in Deutschland. Sie sind im Kern marode. Und überall wird diskutiert, ob eine Sanierung der bestehenden Häuser möglich und finanzierbar ist. In Stuttgart ist es so geplant; auch Köln hat diesen Weg gewählt. Nun ächzt die Stadt unter immer neuen Verschiebungen der Wiedereröffnung und explodierenden Kosten. Frankfurt und Düsseldorf wollen abreißen und neu bauen; in Berlin könnte die Sanierung der Komischen Oper an den beschlossenen Sparmaßnahmen scheitern; die Sanierung der Augsburger Bühnen gilt längst als "Fass ohne Boden". Coburg, München, Würzburg sind weitere Beispiele und alle zeigen: Es ist schwierig. Sehr schwierig. Und einfache Lösungen gibt es nirgendwo.

Hier in der Wohnlage habe ich immer wieder geschrieben, wie umweltschädlich Neubauten sind. Wie wichtig Umbau oder Umwidmung für viele Gebäude wäre, eben nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch aus kulturhistorischer Sicht.

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Meine eindrücklichsten Kulturerlebnisse verbinde ich nicht mit grandioser Architektur an grandiosen Plätzen, sondern mit Brüchen zwischen Ort und Kunst, vielleicht gerade mit dem nicht-perfekten Sound- oder Sitzkomfort.

An der Stelle, an der Klaus-Michael Kühne seine Oper direkt auf einer Landspitze in der Elbe bauen lassen möchte, steht eine gewaltige Lagerhalle mit freischwebender Dachkonstruktion. Sie stammt aus der Zeit, als drumherum nicht die Hafencity, sondern der Hamburger Hafen in all seiner Rauheit und Härte regierte. Vor einigen Jahren hatte das Hamburger Thalia-Theater hier ein Festival veranstaltet, in der Halle, draußen, Zelte, Menschen, Kunst. Viele waren da, vieles war kostenlos, viele machten niedrigschwellig mit. Von dieser Landzunge schifften sich einst deutsche Soldaten ein, wenn sie zu ihren kolonialen Eroberungs- und Mordzügen nach Afrika aufbrachen. Wenn das Hochwasser, in den vergangenen Jahren häufiger, kommt, dann steht hier Wasser.

Will die Stadtgesellschaft an diesem Ort noch einen schicken Prestigebau?

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Dass die Zeiten sich ändern, dass die fetten Jahre von Kultur-Leuchtturmprojekten mit Stararchitektur vorbei sind, das haben auch die erkannt, die jahrzehntelang mitgemacht haben. David Chipperfield, Pritzger-Preisträger und Architekt von Hamburgs (immer noch gestopptem) Bau-Desaster Elbtower, schämt sich im Interview mit der ZEIT ein bisschen über seine Zunft und findet: "Wir haben schon genug sexy Gebäude." Statt weiter Luxusbauten zu errichten, sähen er und sein Team ihre vornehmste Aufgabe zukünftig darin, "den öffentlichen Raum zu schützen und dafür zu sorgen, dass er wieder der Gemeinschaft dient".

Jacques Herzog, Erbauer der Hamburger Elbphilharmonie, hielt sich vornehm zurück, als er im Hamburger Abendblatt zu den Opern-Neubauplänen befragt wurde. Stattdessen beschrieb er sein derzeitiges Lieblingsprojekt: die "radikale Neuinterpretation des neobarocken Stadtcasinos in Basel". Nichts Neubau, sondern Umwandlung historischer Baumasse, denn immer noch würden viele Städte "zu viele Kulturhäuser neu bauen oder Museen erweitern". Das alles geschehe mit öffentlichen Geldern von uns Steuerzahlerinnen, sagt Herzog, ebenso wie die Finanzierung des späteren Betriebes.

Auch in Hamburg will Klaus-Michael Kühne nur den sichtbaren Bau schenken. Den späteren Betrieb (pro Abend und Besucher*in waren das allein in der Staatsoper für die Spielzeit 2023/24 206,32 Euro öffentliche Subventionen) und auch die Baukosten für das Fundament, zum Beispiel beim aufwändigen Hochwasserschutz an eben dieser Stelle, das soll bitte die Stadt richten.

"HouseEurope!" lauten Name und Plattform einer Initiative von verantwortlichen Menschen aus Architektur, Forschung, Politik und Stadtplanung. Es geht um eine "Europäische Bürgerinitiative für neue EU-Gesetze, die Renovierungen und Umbauten einfacher, günstiger und sozialer machen". Statt Abriss Renovierung; statt Neubauten bestehende Bausubstanz erhalten, mit ihr arbeiten, schauen, was geht. Und sowieso dazu ganz grundsätzlich abspecken in den Ansprüchen an Luxus und Gigantomie.

Ich habe da schon unterschrieben - und auch die Petition des Hamburger Denkmalvereins. Dort wird eine öffentliche Diskussion über Sinn und Unsinn eines weiteren Opernbaus gefordert. Titel: Lasst die Oper in der Stadt!

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.