Blick auf das zirka 25 Hektar große Gelände des ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhofs in unmittelbarer Nähe zu Leipziger Innenstadt
Blick auf das zirka 25 Hektar große Gelände des ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhofs in unmittelbarer Nähe zur Leipziger Innenstadt
Jan Woitas / picture alliance / dpa
Grund und Boden
Unsozial und wirtschaftlich unsinnig
Wir schätzen nicht wert, was sich unter unseren Füßen tut. Deshalb schauen wir dem Ausverkauf unseres Landes tatenlos zu, sagt der Buchautor Dirk Böttcher - und hat Rat, was helfen könnte
Tim Wegner
09.01.2025
4Min

Warum hängen Bodenpolitik und Wohnpolitik untrennbar miteinander zusammen?

Dirk Böttcher: Weil die völlig ungerechtfertigte Verteuerung von Baugrund das Wohnen auf eben diesem Boden immer teurer macht. Wenn wir das Problem nicht endlich anpacken, wird das Ziel des bezahlbaren Wohnens auf Dauer nicht zu erreichen sein.

Experten sprechen hier von "leistungsloser Bodenrente". Was genau ist das?

Grundstücke gewinnen in fast allen Regionen unseres Landes mit der Zeit immer an Wert, ohne dass die Eigentümer auch nur einen Handschlag dafür tun müssen.

Auch Gold gewinnt an Wert, wenn ich es liegenlasse. Wo ist der Unterschied?

Gold ist kein öffentliches Gut, es bietet keinen Gestaltungsraum, den wir in den Kommunen und Städten so dringend brauchen.

Ist das nicht einfach Marktwirtschaft? Wo etwas knapp wird, steigt die Nachfrage?

Im Prinzip ist das richtig, aber Boden ist eben nicht wie Turnschuhe, von denen man endlos mehr produzieren kann, wodurch sich Nachfrage und Angebot ausgleichen. Boden lässt sich nicht vermehren, ganz im Gegenteil. Das Angebot sinkt. Gleichzeitig steigt die Nachfrage, weil die Bevölkerung wächst und mehr Raum und Nahrung braucht. Auch die Anpassung an den Klimawandel verlangt nach Flächen, die Liste ist lang.

Und so steigt der Bodenpreis immer weiter?

Ja, das ist der zweite ausgehebelte Marktmechanismus. Ich muss als Bodenbesitzer nichts tun, und der Wert steigt trotzdem, weil die Gemeinschaft zum Beispiel in Infrastruktur investiert und Straßen, Schulen oder Straßenbahnen baut.

Dirk Böttcher ag next GmbH

Dirk Böttcher

Dirk Böttcher stammt aus Rostock. Er studierte Soziologie und Sportwissenschaften, lebte dann zehn Jahre in Kanada. Er schreibt für das Wirtschaftsmagazin brand eins. Mit dem Netzwerk "ag next" lotet er neue Formate in der Kommunikation und im Journalismus aus, so auch digitale Projekte, Ausstellungen, Theaterstücke oder Konzerte. Dirk Böttcher lebt und arbeitet in Rostock und Parchim und ist Vater von vier Kindern.

Ein Beispiel?

Der ehemalige Eutritzscher Freiladebahnhof in Leipzig, ein 25 Hektar großes Gelände hat die Deutsche Bahn 2005 an einen Vermögensverwalter für 2,1 Millionen Euro verkauft. Seither ist dort nichts passiert, allerdings wurde das Gelände mehrmals weiterverkauft, zuletzt an eine österreichische Beteiligungsgesellschaft: für 195 Millionen Euro! Und niemand hat auf diesem Gelände irgendwas dazu getan, was diese Wertsteigerung rechtfertigt. Nur das Angebot ist immer knapper geworden, und das Umland wurde immer attraktiver. Die Stadt Leipzig hat investiert, oder genauer: wir Steuerzahler*innen. Den Gewinn hat allein der private Investor eingesteckt. Das ist nicht nur unsozial sondern auch wirtschaftlicher Unsinn.

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Wie könnte der Staat gegensteuern?

Zum Beispiel durch eine Mobilisierungssteuer von Grundstücken. Luxemburg hat die gerade eingeführt. Einfach gesprochen funktioniert das so, dass die Steuern auf ein Grundstück enorm steigen, wenn du es unbebaut liegenlässt. Sehr effizient und sehr einfach einzuführen. Luxemburg rechnet damit, in wenigen Jahren bis zu 240 Millionen Euro allein durch diese neue Steuer einnehmen zu können. Und natürlich werden als Ergebnis auch mehr Grundstücke mit Wohnungen bebaut.

Warum ist das in Deutschland kein Wahlkampfthema?

Es fehlt uns an Wertschätzung. Wir denken beim Wort "Boden" an schwarze und womöglich schmutzige Materie unter unseren Füßen. Dabei ist unser Boden der vielleicht größte Organismus unseres Planeten – und mit unser wertvollster.

Bei der Lektüre Deines Buches habe ich viel über den Boden und Humus gelernt. Dein Lieblingstier zum Beispiel….

...der Springschwanz, ein wenige Millimeter großes Tierchen mit bis zu acht Augen, das trotzdem blind ist und sich dank zweier Haken am Hinterleib durch den Boden katapultieren kann. Sprünge von bis zu vier Zentimetern sind möglich. Übertragen auf uns Menschen hieße das: Wir müssten bis zu vier Kilometer weit springen. Und das in tiefster Dunkelheit in einer festen Materie. In einem Quadratmeter Erde leben übrigens gut 400 000 Tierchen.

Und ohne Regenwürmer würde auf der Erde auch nichts wachsen, oder?

Schon die Bibel hat den Regenwurm auf die gleiche Stufe wie Könige und Kaiser gestellt. Ich beschäftige mich jetzt seit ein paar Jahren mit dem Boden, doch mir ist längst klar, dass wir eigentlich fast nichts darüber wissen, was da unter unseren Füßen geschieht. Viele Wissenschaftler sprechen davon, dass wir den Boden, der größte Genpool unseres Universums übrigens, noch nicht mal im Ansatz verstanden haben.

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Und wir betonieren unsere Städte fleißig weiter zu ...

Das ist traurig. Und es beschädigt unser Leben, jeden Tag. Wissen wir alle zum Beispiel, dass unsere Leichen auf vielen Friedhöfen nicht mehr richtig vermodern können, weil die Artenvielfalt im Boden dramatisch sinkt oder die Erde so verdichtet ist?

In Deinem Buch behandelst Du große Fragen auf 126 Seiten, und Du schreibst sehr populärwissenschaftlich. Ist das angemessen?

Das habe ich genau so entschieden. Ich möchte viele Menschen erreichen, auch Menschen mit wenig Vorwissen. Denn ich weiß: Wir gehen buchstäblich anders über diese Welt, wenn wir auch nur im Ansatz realisiert haben, was unter unseren Füßen alles geschieht.

PS: Danke an meine aufmerksamen Kollegen aus unserer Fotoredaktion: Sie wiesen mich darauf hin, dass auch deutsche Städte überlegen, dem Luxemburger Beispiel zu folgen und eine neue Grundsteuer für brachliegende Grundstücke einzuführen. Ein Hurra für: Offenbach!

Dirk Böttcher: Das verkaufte Land. brand eins books. 128 Seiten, 20 Euro
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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.