- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Die Hamburger Innenstadt ist mein Kiez. Ich wohne ein paar Minuten entfernt. Wenn in der City Geschäfte aufgeben, dann kriege ich das direkt mit. Bei einigen ist es mir egal; mit anderen verbinde ich mein halbes Leben und trauere ein bisschen - so, als zwei große Kaufhäuser direkt am Hamburger Hauptbahnhof in der Corona-Zeit geschlossen wurden.
Wie ein Menetekel standen diese beiden Häuser fast zwei Jahre tot am "Haupteingang" von Deutschlands zweitgrößter Stadt und gemahnten daran, was seit Jahrzehnten bekannt ist: Die deutsche Innenstadt mit Fußgängerzone, Büros und Geschäften hat keine Zukunft. Sie stirbt. In Hamburg wie in München, Frankfurt, Erfurt oder Dresden.
Der Grund? Klar, alle kaufen im Internet, aber das ist es nicht nur. Hauptverantwortlich sind auch die Besitzer und Vermieter der innerstädtischen Immobilien. Sie haben jahrzehntelang gnadenlos Mieten erhöht, alteingesessene Läden mit Stammkundschaft vertrieben und so dazu beigetragen, dass Innenstädte immer gesichtsloser wurden.
Und wenn sich kein Mieter findet? Dann bleibt der Laden eben zu. Die Bodenpreise steigen munter weiter und bis die Stadt dem Besitzer die Nutzungsgenehmigung, hier wegen Leerstand, entziehen kann, dauert es in Hamburg zwei Jahre.
Katja Wolframm arbeitet bei der Hamburg Kreativ Gesellschaft, einer städtischen Einrichtung zur Förderung (nomen est omen) der Kreativen in der Stadt. Katja ist Ökonomin, hat früher selbst einen kleinen Laden für Modedesign geführt und kümmert sich heute darum, dass auch Menschen, die nur wenig Miete zahlen können, einen Raum in der Stadt für ihre Aktivitäten finden. Für sie ist Leerstand per se kein Drama, bietet er doch Möglichkeiten, neue Ideen zu entwickeln.
Katja Wolframm
Genau das geschieht gerade beim ehemaligen Karstadt-Sporthaus. Das heißt jetzt "Jupiter - Raum für kreative Zwischennutzung". 8000 qm über sechs Stockwerke. Eine gewaltige Fläche; die größte ihrer Art in ganz Deutschland, die jetzt neu und anders genutzt werden soll. Mindestens bis Ende des Jahres.
Schon Mitte 2022 hatte die Kreativ Gesellschaft mit den Besitzern des Hauses eine Zwischennutzung vereinbart. Heißt: Für einen definierten Zeitraum lässt der Vermieter Gewerbetreibende ins Haus.
Letzte Woche hat das Haus neu eröffnet. Im Erdgeschoss gibt es Pop-Up Läden für kleine Design-Labels und andere Start Ups; ein Stockwerk höher treffe ich bei meinem Besuch alte Bekannte: Angela Holzhauer und Ralf Krüger führen in Hamburg zwei gut eingeführte Galerien und zeigen, zusammen mit vielen anderen Galerist*innen, dort ihre Kunst, wo ich früher meine Sportklamotten gekauft habe.
Auf dem Bild sieht es leer aus, doch tatsächlich kommt viel Laufkundschaft. Touristen, junge Leute - Menschen, die sonst niemals eine Galerie betreten würden. Es gab bereits einige Verkäufe, kurz: die beiden finden das Konzept gut. Bei der Eröffnungsparty letzte Woche war es gerammelt voll. Spitzenstimmung schreiben die Lokalmedien. Also alles prima?
1,50 Euro zahlen Kurzzeit-Mieter wie Angela und Ralf pro Quadratmeter. Doch das Gebäude zu unterhalten, kostet sehr viel mehr. Strom, Heizung, Security - bei so einem Riesenkasten wie dem Kaufhaus in Hamburg liegen die sogenannten "Leerstandskosten" weit über den mageren 1,50 Euro. Hier springt die Kreativ Gesellschaft ein und gleicht das Gap für die Vermieter aus. Ein schöner Deal für die anonym bleiben wollende Immobiliengesellschaft, der das Haus gehört. Hat Katja manchmal den Eindruck, dass findige Immobilienbesitzer das Förderprogramm ausnutzen?
Katja versteht meine Skepsis, doch was sei die Alternative, fragt sie? Jeder Leerstand habe Auswirkungen auf die Nachbarschaft, auf das ganze Viertel. Diesem Sogeffekt entgegenzuwirken - ja, das sei eine öffentliche Aufgabe, für die Steuergelder gut eingesetzt sind. Für die Kreativ Gesellschaft kommt noch was anderes hinzu: Die Nachfrage nach günstigen Flächen sei riesig.
Gerade Start Ups oder kleine Gewerbetreibende wollen und können sich nicht auf Jahre mit Mietverträgen binden. Sie brauchen Räume zum Testen ihres Konzeptes und sie wollen unbedingt in einer zentralen Lage arbeiten; die gut erschlossen ist, mit Kaffees und Kneipen drumherum und öffentlichen Verkehrsmitteln nah dabei.
Katja kümmert sich auch um leerstehende Flächen in anderen Stadtvierteln. Dort sind die Neben- und damit auch die Leerstandskosten deutlich geringer und können in guten Fällen von den neuen Mietern langfristig allein, ohne Zuschuss der Kreativ Gesellschaft, getragen werden.
Eine städtische Gesellschaft als Inkubatorin und Best Practice, dieses Konzept haben auch andere Städte übernommen. In München heißt es z.B. "Munich-Creative Heart Beat".
Apropos München: Dort findet jedes Jahr im Oktober Europas größte Fachmesse der Immobilienbranche statt, die "Expo-Real". Auch die Hamburg Kreativ Gesellschaft war 2022 da. Katja hat viele Vorträge gehalten und ihre Ideen zur Zwischennutzung, für Kaufhäuser, Galerien, Produktionshallen und wer weiß was noch, vorgestellt.
Einmal sprach sie vor fast 200 Menschen, sehr viele Anzugsträger, sehr wenig Frauen: "Die kriegten ihren Mund nicht wieder zu, als ich ihnen vom Jupiter erzählte", erinnert sie sich. Bilder statt Schuhe? Party für junge Leute in einem alten Kaufhaus? Undenkbar für viele. Denn wo Shopping drauf steht, muss Shopping drin sein; und vor allem anderen muss die Rendite stimmen. Das dies so schon lange nicht mehr funktioniert, das hätten in der Immobilienbranche bedauerlicherweise viel zu wenige verstanden, weiß Katja und wundert sich über die Gestrigkeit dieses Denkens: "Manchmal frage ich mich, unter welchem Schreibtisch diese Menschen eigentlich die letzten Jahrzehnte geschlafen haben."