Die Arbeit vom Steuer- und Finanzexperten Dirk Löhr verfolge ich schon länger. Mit vielen anderen im Land fordert er ein grundsätzliches Umdenken in der Grund- und Bodenpolitik. Letzte Woche traf ich ihn auf einer Tagung in Dortmund zum Thema: "Wohnen mit Gemeinsinn" im Baukunstarchiv in Dortmund (s. dazu Tipp unten). Eine seiner Kernthesen, warum Mieten steigen und Bauen immer teurer wird, ist eben auch die aus seiner Sicht verfehlte Grundsteuerreform.
Herr Löhr, überall im Land sind Menschen mit Grund- oder Wohnungsbesitz damit beschäftigt, Formulare für eine neue Grundsteuererklärung auszufüllen. Sie auch?
Dirk Löhr: Leider nicht, das steht für meine eigene Wohnung dringend an. Aber ich bin ja Steuerberater und so hab ich das für andere schon übernommen.
„Online, bequem, kostenlos“: So werben die Bundesländer auf ihrer gemeinsamen Webseite dafür, dass jeder die Erklärung selbst ausfüllen kann. Finden Sie das auch?
Nein, allein schon der Hauptvordruck ist schwierig – hier müssen u.a. die Eigentumsverhältnisse eingetragen werden. Richtig fies wird es dann in der „Anlage Grundstück“. Hier geht es um genaue Größe von Grundstück und Gebäude. Das ist selbst für mich als Fachmann oft nur mit größerem Aufwand zu lösen. Hinzu kommt ein schwer verständliches Amtsdeutsch. Neulich rief mich ein befreundeter Professor aus Berlin an; selbst der hatte es nicht verstanden…
Das Bundesverfassungsgericht hat 2018 die bisherige Rechtslage der Bewertung von Grundstücken mit dem Einheitswert für verfassungswidrig erklärt. Ich erinnere es für das Haus meiner Eltern: Die zahlten noch 2017 eine absurd niedrige Grundsteuer, weil deren Höhe nach dem jahrzehntealten Verkehrswert aus den 1960er Jahren berechnet wurde.
Natürlich war die Reform überfällig, aber so wie sie jetzt gekommen ist, halte ich sie für vollkommen verfehlt. Eine einmalige Chance wurde komplett vertan.
Zusammen mit vielen anderen hatten Sie vor der Bundestagswahl 2021 das Aktionsbündnis „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ gegründet. Anstelle einer Grundsteuer forderten Sie da eine „Bodenwertsteuer“ – was genau ist da der Unterschied?
Dirk Löhr
Wie der Name es sagt: Bei unserem Modell wird der nur der Boden besteuert, das Gebäude bleibt außen vor…
Ist das nicht ein Widerspruch? In Ihren Vorträgen betonen Sie doch immer wieder, dass eben genau der Boden kein „Produkt“ der Marktwirtschaft wie andere sei. Boden hat eigentlich keinen Wert. Ich kann ihn weder essen, noch trinken, noch anziehen, Boden ist nicht vermehrbar, ich kann ihn nicht mitnehmen…
Der Boden gewinnt seinen Wert durch die Infrastruktur: Straßen, Wasserleitungen, Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten usw. Alles Dinge, die die Arbeitnehmer*innen mit ihren Steuergeldern finanzieren. Logisch wäre also eine besonders hohe Steuer für jeden qm eines Bodens, der z.B. in einem gut erschlossenen Neubauviertel liegt. Doch die jetzige Grundsteuer berücksichtigt eben nicht nur den Boden, sondern auch das, was da draufsteht. Und je mehr da auf dem Boden steht, desto höher wird die Steuer. Wenn Sie dagegen nichts mit dem Baugrundstück machen, zahlen sie, relativ gesehen, weniger Steuern… Und das ändert sich auch größtenteils mit der neuen Grundsteuer nicht.
Wer investiert, wird steuerlich bestraft?
Genau, und das ist der Irrsinn, denn wir uns angesichts explodierender Mieten und einer zügellosen Bodenspekulation einfach nicht leisten dürfen.
Noch einmal, damit ich es verstehe: Wenn ich als Privatmensch ein riesiges Grundstück mit einem kleinen Einfamilienhaus draufhabe, dann zahle ich – relativ gesehen – für den qm Boden weniger an Steuern als wenn ich als gemeinwohlorientiert Baugenossenschaft das ganze Grundstück von Ecke zu Ecke vollbaue mit günstigen Mietwohnungen?
Leider ist es genauso. Auch mit der neuen Grundsteuer. Aber es gibt einen kleinen Lichtblick: Die Bundesländer dürfen von dem Grundsteuermodell des Bundes abweichen und ihr eigenes Modell erarbeiten. Baden-Württemberg hat dabei als einziges Bundesland zumindest in Teilen unsere Ideen realisiert. Dort heißt die Grundsteuer eben auch Bodenwertsteuer und bei der Berechnung der Gebühren wird vor allem die Lage des Grundstücks bewertet, nicht so sehr was drauf steht. Bayern dagegen hat genau das Gegenteil gemacht: Hier gibt es das aus meiner Sicht wirklich ungerechteste Modell: Es schont vor allem die Eigentümer in den besten Lagen, weil der Wert der Immobilie überhaupt keine Rolle spielt. Mich wundert immer wieder, dass sich niemand für diesen wirklichen Skandal zu interessieren scheint.
Diese Woche titelte der Spiegel mit der Wohnmisere und schildete Fälle, in denen ganz normale Familien mit Durchschnittsverdienst mehr oder weniger auf der Straße landen, weil sie ihre Miete nicht bezahlen können. Der Artikel benennt viele Miseren, die zu diesem Notstand führen – doch mit keinem Wort werden die Bodenpolitik oder die, wie Sie sagen, „versemmelte“ Grundsteuer erwähnt. Ist es nicht erstaunlich, dass alle das Übel beklagen, aber an die Grundursache nicht heranwollen?
Das ist halt ein einfacher Weg. Sie gucken nur dahin, wo es auf den ersten Blick leicht zu erkennen ist. Die Mieten steigen und steigen. Die eigentlichen Ursachen dafür liegen aber nicht nur bei Vermietern oder großen Wohnungsbaugesellschaften, die möglichst viel Geld verdienen wollen. Das eigentliche Problem ist „vorgelagert“: Das Bauland ist zu teuer, und damit überhaupt noch jemand Geld verdient, wird Wohnen immer unerschwinglicher.
Nur einem Jahr vor seinem Tod hat Hans-Jochen Vogel mit über 90 Jahren ein Buch veröffentlicht: „Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar.“ Er gab viele Interviews, erhielt viel Beifall. Sie zitieren Hans-Jochen Vogel immer wieder. Ist das ein Kampf gegen Windmühlen?
Hans-Jochen Vogel fand viel Gehör, nicht nur in seiner Partei. Andererseits hat er mir gegenüber einmal bemerkt, dass das Bodenthema generell in der Gesellschaft nicht genügend Beachtung findet. Er selbst hatte es zwischenzeitig aus den Augen verloren, um es am Ende seines Lebens wieder aufzugreifen und mit Vehemenz voranzutreiben. Die in der letzten Legislaturperiode eingesetzte Baulandkommission war sein Baby, wenngleich er über die Ergebnisse sehr enttäuscht war. Das von Ihnen genannte Buch kann als das Vermächtnis von Hans-Jochen Vogel gesehen werden. Ich hoffe, seine Partei hält es hoch.
So wie Hans-Jochen Vogel damals fordern auch Sie immer wieder die Einrichtung einer Enquetekommission. Die Bundesbauministerin hat das "Bündnis für bezahlenbaren Wohnraum" ins Leben gerufen. Ist das nicht das gleiche?
Das Wohnraumbündnis ist ein erster Schritt; ich finde auch, dass Klara Geywitz einen guten Job mach. Aber im Bündnis reden alle Parteien mit, dazu Lobbyisten und Interessensverbände. Wenn Sie den Sumpf austrocknen wollen, sollten Sie vorher nicht die Frösche fragen. Es braucht die Politik und die Entscheidungshoheit. Das muss von oben gewollt und durchgesetzt werden. Anders werden wir uns nicht voran bewegen.
Tipp: Die Tagung zum "Wohnen mit Gemeinsinn" fand im großartig renovierten Baukunstarchiv NRW in Dortmund statt. Dort gibt es eine sehr interessante Dauerausstellung zur Geschichte dieses außergewöhnlichen Bauwerkes und viele Anregungen für eine Rundreise durch das Ruhrgebiet. Sehenswert.