Jesus am Kreuz
Die Macht der Schwäche
Jesus scheiterte und fand ein schlimmes Ende. Und doch wurde aus dem Christentum gerade mit diesem Antihelden eine Weltreligion. Warum es sich lohnt, daran zu erinnern. Ein Kommentar
Dornenkrone
Eine Dornenkrone - wie Jesus sie bei der Kreuzigung tragen musste
Crispin Photography / Getty Images
Tim Wegner
17.04.2025
3Min

Ausgerechnet das Kreuz ist das Markenzeichen der Christen geworden, ein auf den ersten Blick so negatives Symbol. Es erinnert daran, wie qualvoll Jesus vor 2000 Jahren gestorben ist, wie furchtbar er gefoltert und erniedrigt wurde. Jesus konnte die römischen Besatzer nicht besiegen, kein Wunder rettete ihn vor der Kreuzigung, am Ende verrieten und verleugneten ihn auch noch seine engsten Begleiter. Tiefer kann ein Mensch nicht fallen. Und dieser Jesus soll Gottes Sohn gewesen sein? Mit dem Gedanken taten sich schon die frühen Christen schwer.

Bis heute hadern viele Christen und Christinnen mit dem Kreuz und seiner düsteren Symbolik. Manche mittelalterlichen Künstler stellten Jesus am Kreuz lieber mit unversehrtem, durchtrainiertem Leib dar oder gleich als Auferstandenen. In vielen modernen Kirchen ist das Kreuz heute nur noch abstrakt angedeutet.

Doch gerade jetzt könnte dieses Symbol neue Kraft und Bedeutung bekommen. Gerade jetzt, da sich in vielen Ländern eine Sehnsucht nach autoritären Siegertypen breit macht.

Wohin die Reise geht, wenn sie an der Macht sind, führen Trump und seine chauvinistische Entourage jeden Tag vor. Sie sehen die Welt als Kampfzone, in der das Recht des Stärkeren gilt. Wer nicht mithalten kann, hat Pech gehabt und muss wie der ukrainische Präsident Selenskyj damit rechnen, gnadenlos niedergemacht zu werden. Sozialausgaben werden drastisch gekürzt, Hilfen für ärmere Länder gestrichen. Maßnahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten darauf abzielten, Minderheiten besser zu stellen und benachteiligten Menschen Gehör zu verschaffen, werden zurückgedreht. Alles Zweifelnde, Rücksichtsvolle, alles, was zum Kompromiss führen kann, wird als naiv und schädlich verunglimpft.

Vom Recht des Stärkeren profitieren die Starken. Doch wer ist schon immerzu stark? Selbst Reiche und Mächtige können sich nicht alles kaufen und werden krank. Auch die rundum selbst Optimierten, Schönen und Durchtrainierten sind nicht vor persönlichen Schicksalsschlägen gefeit. Der Traum der Tech-Milliardäre im Silicon Valley vom Transhumanismus ist vorerst ein Traum, und alle Anstrengungen der Longevity-Community bleiben bruchstückhaft, denn noch müssen wir alle sterben.

Autoritäre Politiker wollen uns einreden, dass uns die von ihnen erdachte oder tatsächliche Stärke als Gesellschaft, als Nation eint. Doch es ist die Schwäche, die uns verbindet und wirklich stark macht. Es ist die Verletzlichkeit, die Nähe schafft. Wer sich öffnen kann, verletzlich macht, findet leichter Freunde und Verbündete, sagte kürzlich der Psychotherapeut Wolfgang Klein im chrismon-Webinar.

Das christliche Kreuz, das Leiden Jesu, an das die Christen und Christinnen Gründonnerstag und Karfreitag erinnern, verdeutlicht, dass scheitern und schwach sein urmenschlich ist. Sogar Jesus scheiterte, sogar der, den die Kirchen für Gottes Sohn halten. Deshalb können auch wir zu unseren Schwächen, unserem großen und kleinen Scheitern stehen, zu allem Unglück und Elend, das in einem Leben passieren kann. Daraus kann eine große Kraft erwachsen.

Ganze Beratungs- und Therapiebranchen leben davon, dass sie Menschen helfen, ihre Schwächen zu erkennen und einzugestehen. Denn erst wer das schafft, kann über sich hinauswachsen. Wer weiß, dass er oder sie scheitern könnte, kann Zweifel zulassen, braucht keine Protzerei und kann leichter auf mögliche Verbündete und Partner zugehen - was das Risiko zu scheitern schmälert. Diese leise Macht der Schwäche ist das Widerständige, auf das wir uns nicht nur in dieser Karwoche besinnen sollten.

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