Der Frühling weckt Lebensgeister und die wärmende Sonne dringt langsam in unsere erkalteten Seelen durch – erkaltet nicht etwa, weil wir kein Herz oder keine Leidenschaften hätten, sondern erkaltet, weil so viel Hoffen und Sehnen durch die Realität erdrückt wird: Krieg und Krankheit, Trump und Putin, Klimawandel und Erbeben in Myanmar und, und, und.
Da kommt Ostern gerade recht: Es ist das Fest des Lebens, das Fest der Hoffnung mit der Botschaft: Tod, wo ist dein Stachel? "Christus ist auferstanden", hallt es durch die Kirchen. Das Leben geht weiter, auch wenn es endet. Aber wollen wir das überhaupt? Wollen wir, dass das Leben immer weitergeht?
Auch wenn der erste Impuls ist, Ja zu sagen, kommt es doch auf die Details an. Vielleicht ist das ewige Leben doch keine so schöne Vorstellung.
"Der Tod ist ein Geschenk", sagte mir der Schriftsteller Martin Mosebach in einer Folge des chrismon-Podcasts "Über das Ende". Unser irdisches Leben sei voller unangenehmer Dinge und vor allem voller Erfahrungen des Scheiterns, Ungenügens, dass er nicht anders könne, als es gut zu finden, dass das Leben irgendwann ende.
Das hat mich überrascht, weil es gar nicht zu dem Mann passte, der da vor mir saß: gut gekleidet, viel gereist, ein Kenner edler Weine und guten Essens. Ich habe ihn gefragt, wie das zusammenpasse? Er wirke so, als genieße er das Leben und leide nicht darunter. Mosebach antwortete: Er genieße zwar viele Dinge im Leben, aber das Leben an sich genieße er nicht.
Mosebachs Antwort, dass er nicht ewig leben will, scheint merkwürdig unzeitgemäß. Aber das ist nicht so verwunderlich, denn er ist ein konservativer Mensch, einer, der kein Smartphone hat und seine Bücher mit der Hand schreibt. Alles an ihm ist analog.
Was zeitgemäß ist, wird maßgeblich im Silicon Valley entschieden. Mosebachs Antwort steht im scharfen Kontrast zu einem der großen Träume der dortigen Digitalisierungsvorreiter: dem Transhumanismus.
Der Transhumanismus folgt dem Traum der Unsterblichkeit
Beim Transhumanismus geht es darum, die engen Grenzen des eigenen körperlichen Lebens zu überschreiten und über (trans) das Menschliche (humanum) hinauszuwachsen. Es gibt den Transhumanismus in vielen Spielarten, aber im Hintergrund steht der uralte menschliche Traum der Unsterblichkeit.
Wer wie Elon Musk und Co davon träumt, die Welt zu beherrschen, unermesslich reich ist und den eigenen Willen über die Bedürfnisse so vieler anderer stellt, kann vermutlich nicht gut mit der eigenen Endlichkeit umgehen. Von dieser Seite betrachtet hat der Tod für alle anderen etwas Tröstliches: Alle Menschen sind sterblich, auch die Größenwahnsinnigen werden einmal nicht mehr sein, auch ein Despotenleben verpufft irgendwann. Doch damit finden sich die Transhumanisten nicht ab.
"Alle Menschen sind sterblich" heißt auch ein Roman von Simone de Beauvoir. Sie schreibt über das Leben von Raymond Fosca, einem mittelalterlichen Adeligen, der durch einen Zufall unsterblich wird. Für die Leser wird deutlich, dass das kein Segen, sondern ein Fluch ist. Denn nichts bedeutet Fosca etwas.
Kann man sich über die erste Familie, die man gründet, noch wirklich freuen, wird es bei der zehnten schon schwerer – vor allem wenn man wie Fosca stets dabei zusehen muss, wie die Kinder und Ehefrauen sterben und so noch einmal daran erinnert wird, wie unwichtig sie eigentlich waren. Der Mensch ist nicht für die Unsterblichkeit gemacht. Das ist die Quintessenz dieses Romans.
Würde uns die Unsterblichkeit langweilen?
Die Transhumanisten werden einwenden: Fosca war alleine unsterblich, hatte keine Gefährten, die dieses Schicksal mit ihm teilten. Kein Wunder, dass er depressiv wurde und das Leben nicht mehr genießen konnte. Wie wäre es, wenn wir alle ewig leben würden?
Zum Glück hat ein schlauer Philosoph auch dieses Experiment schon einmal gedanklich durchgeführt: Bernard Williams (1929–2003).
In seinem Aufsatz "Die Sache Makropulos: Reflexionen über die Langeweile der Unsterblichkeit" versucht er zu zeigen, dass unsere menschliche Lebensart auch dann nicht mit der Unsterblichkeit zusammenpassen würde, wenn sie auf alle Menschen ausgeweitet würde (ganz zu schweigen davon, dass es dann endgültig eng werden würde auf dieser Welt).
Auf lange Sicht, so Williams, würden uns die für ein gutes Leben entscheidenden Sehnsüchte ausgehen. Wenn alles immer weitergeht, nichts ein Ende findet und jeder Fehler genauso wie jede gute Tat, jede Liebe genauso wie jeder Hass potenziell unendlich oft wiederholt werden könnte, verlören all diese Dinge ihren Wert, ihren Reiz.
Ewiges Leben erst nach dem Tod
Seine Erkenntnis: Es ist gut, dass der Mensch sterben kann – Unsterblichkeit wäre nicht gut. Aber bedeutet das jetzt, dass der Tod ein Geschenk ist, wie es Martin Mosebach sagt? Williams würde vermutlich nicht zustimmen. Dass unser menschliches Bewusstsein – oder religiös gesprochen: unsere Seelen nicht dafür gemacht sind, unendlich lang zu leben, heißt im Umkehrschluss nicht, dass der Tod etwas Gutes ist. Denn der Tod ist im Gegensatz zum unendlichen körperlichen Leben nichts Abstraktes, Erdachtes und nur Potenzielles. Der Tod ist, wenn er kommt, immer sehr konkret: Er bedeutet das Ende eines ganz bestimmten Menschen. Und das ist fast immer traurig, schrecklich, niederschmetternd.
Was heißt das für die Osterbotschaft, wonach der Tod seinen Stachel verloren hat? Ist die Osterbotschaft die Ankündigung eines Alptraums? Nämlich, dass wir die ewige Wiederkehr desselben erleben müssen?
Nein. Denn das ewige Leben, das an Ostern verkündet wird, beginnt erst nach dem Tod. Auch wenn die Botschaft von Ostern ist, dass der Tod seine Macht verloren habe, gibt es ihn ja weiterhin. Der Tod bleibt. Die Osterbotschaft ist keine antike Form des Transhumanismus. Das Leben geht weiter, ja, aber zuerst endet es. Und damit ist die Osterbotschaft eine sehr menschliche Vorstellung – anders als die der Transhumanisten.
So furchtbar die Sterblichkeit im Einzelfall ist: Wer sie ablehnt, lehnt das Menschsein an sich ab. Die Sterblichkeit gehört zum Menschsein unweigerlich dazu, und erst ein echter Transhumanismus, der das Menschliche ganz hinter sich lassen würde, könnte von der Unendlichkeit des Lebens als Utopie träumen. Solange wir Menschen aber Menschen bleiben, brauchen wir den Tod.
Ist der Tod also doch ein Geschenk, wie Martin Mosebach sagt? Ich wäre vorsichtig. Diese Aussage funktioniert eben nur, solange sie abstrakt bleibt. Wenn der Tod eines Tages klopft, werde ich ihm sagen: Gut, dass es dich gibt, ich werde mitkommen. Aber nicht heute, lieber morgen und das werde ich ihm dann jeden Tag erneut sagen. Denn auch wenn uns die christliche Osterbotschaft vermitteln möchte, dass wir nach dem Tod in Gottes Ewigkeit eingehen, kann die getrost noch einen Tag warten.