Demos gegen rechts
Danke, CDU, für diese prima Gelegenheit!
Die Bürger und Bürgerinnen, die sich gegen rechts engagieren, sollten sich nicht einschüchtern lassen, sondern überzählige Tassen an Friedrich Merz schicken. Womöglich hat er nicht genug Tassen im Schrank? Ein Kommentar
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, reagiert am 30.1.2025 nach seiner Rede während einer Wahlkampf-veranstaltung der CDU im Ostra-Dome auf der Bühne.
Die CDU/CSU hat im Bundestag eine Anfrage zur Finanzierung von NGOs wie Omas gegen Rechts, Correctiv und Campact gestellt. Sie hatten zu Demonstrationen gegen rechts aufgerufen, nachdem die Unionsfraktion am 29. Januar 2025 ihren Migrationsantrag mit Stimmen der AfD und der FDP verabschiedet hatten
Robert Michael / picture alliance / dpa
Tim Wegner
03.03.2025
6Min

Schön, wenn man mal was richtigstellen darf. So kommt mehr Wahrheit in die Welt. Danke also, CDU! Zur Erinnerung: Die CDU/CSU-Fraktion hat gerade in einer "Kleinen Anfrage" 551 Fragen an die noch amtierende rot-grüne Regierung gestellt, kurz vor knapp also. Fragen darf man immer. Aber nicht jede Frage ist harmlos.

Stellen Sie sich vor, Sie lesen diese Frage: "Hat Friedrich Merz damals im Mai den grünen Bundestagsabgeordneten Peter X. zusammengeschlagen?" Dann haben Sie ganz automatisch einen schlagenden Merz vor Augen, oder? Egal was Herr Merz getan hat oder nicht: Die Unterstellung ist nun in der Welt.

Genau das ist das Bösartige an den 551 Fragen der Union. Sie unterstellen mehreren Organisationen, die sich für Demokratie und Menschenrechte engagieren, staatliche Fördergelder zweckentfremdet zu haben, um der CDU/CSU zu schaden; sie hätten gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, nun müsse ihnen eigentlich die Gemeinnützigkeit entzogen werden. Damit steht die Union in den Fußstapfen der AfD, die bereits seit Jahren gemeinnützige Vereine angreift, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren oder auch für Klimaschutz.

Aber stimmt es überhaupt, dass für alle ein Neutralitätsgebot gilt? Nein. Nur Staatsorgane und Staatsbedienstete (etwa Polizistinnen und Lehrer) dürfen nicht auf den Wettbewerb der Parteien einwirken. Sie sollen aber nicht neutral gegenüber dem Grundgesetz sein. Sondern sie dürfen (und sollen) sich auch während der Arbeit zum Beispiel gegen Rechtsextremismus positionieren. (Und natürlich dürfen sie sich in ihrer Freizeit parteipolitisch betätigen.) Und bezogen auf zivilgesellschaftliche Gruppierungen: Das Neutralitätsgebot gilt nur für Projekte, die staatlich gefördert werden, etwa aus dem Programm "Demokratie leben!". Das Neutralitätsgebot gilt nicht für sonstige Tätigkeiten der Organisation.

Manche der angefragten Organisationen sind gar nicht gemeinnützig

Nehmen wir ein prominentes Beispiel, das die Union auf dem Kieker hat: die Omas gegen Rechts. Da zeigt die Union große Ahnungslosigkeit. Die "Omas gegen Rechts" sind nämlich gar nicht gemeinnützig, sie haben die Gemeinnützigkeit auch gar nie beantragt. Sie finanzieren ihr Engagement aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Außerdem sind sie ein loser Verbund von rund 280 vielfach ganz selbstständig agierenden Initiativen quer durch die Republik. Nur ganz vereinzelt haben örtliche Initiativen staatliche Förderung für ein Projekt bekommen. So erhielten die Omas gegen Rechts in Buxtehude mal 5000 Euro für das Engagement gegen Rassismus, vor allem in Schulen.

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Nehmen wir ein anderes prominentes Beispiel: Correctiv. Das gemeinwohlorientierte Medienhaus hat die 34 Fragen, die es betreffen, nun selbst schon mal in aller Öffentlichkeit beantwortet. Ziel von Correctiv sei, die Demokratie durch Recherche, Bildungsarbeit und Fakten zu stärken. Recherchen wie die im Januar 2024 veröffentlichte Recherche "Geheimplan gegen Deutschland" (da ging es um "Remigrations"-Fantasien) werden allein durch Spenden und Stiftungen finanziert, nicht durch öffentliche Gelder.

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Nur für Bildungsarbeit mit Jugendlichen erhalte man teilweise öffentliche Förderung, etwa vom Programm "Demokratie leben!". Gerade teilte die Deutsche Jugendfeuerwehr (dort lernen 350.000 Kinder und Jugendliche Feuerschutz und Gemeinsinn) mit, wie glücklich sie seien über die geplante Zusammenarbeit mit Correctiv: An sechs Standorten werde nämlich Correctiv Jugendliche darin schulen, Fake News zu erkennen, etwa auf Instagram und Tiktok.

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Nicht nur ahnungslos zeigt sich die CDU/CSU, sondern sie verbreitet auch grobe Unwahrheit. So rief Friedrich Merz bei einem Wahlkampfauftritt am Tag vor der Wahl unter dem Jubel seiner Fans angesichts von Demonstrierenden vor der Halle: "Ich frage mal die Ganzen, die da draußen rumlaufen, Antifa und gegen rechts: Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen?"

Es fällt auf, wen die Union nicht angefragt hat

Da sah sich die Witwe des 2019 von einem Rechtsextremen ermordeten Walter Lübcke, vormals Kasseler Regierungspräsident (CDU), zu einer Richtigstellung genötigt: Die Merz-Aussage habe die Familie "sehr befremdet", so die Witwe Irmgard Braun-Lübcke gegenüber Medien. Denn entgegen der Darstellung von Merz gab es auf Demos und Trauerkundgebungen "nach der Ermordung meines Mannes ein starkes, gesellschaftlich breites Bekenntnis zu unserer Demokratie und ihren Werten". Das habe der Familie viel Kraft gegeben.

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In der Tat gab es viele antifaschistische Demonstrationen mit Tausenden Menschen nach dem Mord an Walter Lübcke. Die Tageszeitung "taz" erinnert auch daran, dass es antifaschistische Initiativen waren, die im Nu umfassende Recherchen über den neonazistischen Hintergrund des Täters veröffentlichten, während das Bundesinnenministerium quälend lang geschwiegen habe. Viel wusste etwa das Recherchekollektiv Exif. Und die Antifa Freiburg berichtete über eine Spende des Täters an die AfD. Lübcke hatte sich für Flüchtlinge engagiert.

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So gar keine Frage hat die Union übrigens zum Deutschen Bauernverband. Dabei erhält der auch staatliche Gelder, laut Lobbyregister des Bundestags waren das 2023 mindestens 1,7 Millionen Euro. Hatten nicht Anfang 2024 Landwirte mit Traktoren gegen die Ampel-Koalition demonstriert, sogar Minister bedroht und gefährlich den Verkehr behindert? Ob da womöglich Mittel zweckentfremdet worden sind und das Neutralitätsgebot missachtet wurde, interessiert CDU/CSU in diesem Fall gar nicht. Nennt man so etwas Doppelmoral?

Warum die Union gerade jetzt sich für die Finanzen von diversen zivilgesellschaftlichen Gruppen interessiert, sagt sie übrigens selbst: Der Grund seien die Demonstrationen gegen die CDU nach der Abstimmung im Bundestag am 29. Januar 2025. Damals hatte die CDU mit Hilfe der Stimmen auch der AfD einen Antrag zur Zurückweisung von Flüchtlingen an den Grenzen durchgebracht.

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Allein in Berlin demonstrierten daraufhin – aufgerufen von diversen Organisationen – mindestens 200.000 Menschen, in München mehr als 250.000. Sicher, die Lautsprecheranlagen wurden von den Organisationen gestellt (mit Spenden bezahlt), aber die Bürger und Bürgerinnen hätten sich garantiert auch so versammelt. Wie wichtig den Tausenden das "Nie wieder" ist, sah man schon daran, dass die Menschen quer durch die Republik in Winterkälte stundenlang auf Kundgebungen ausharrten und selbstgebastelte Schilder hochhielten, bis ihnen fast die Arme abfielen und die Füße einfroren.

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Wie wirken diese 551 Fragen auf mich als Bürgerin? Einschüchternd. Das ist sicherlich beabsichtigt. Für eine Demokratie ist es aber fatal, wenn die Bürger und Bürgerinnen sich in ihrem Engagement bedroht fühlen müssen.

Selbst ein CDUler sieht das kritisch

Das sah immerhin einer aus der CDU ebenfalls kritisch, Ruprecht Polenz, einstiger CDU-Generalsekretär. Er sagte gegenüber der "taz": "Das darf man so nicht machen, weil es einschüchtert. Natürlich sehe ich bei der einen oder anderen Organisation auch einiges kritisch. Aber wir brauchen sie." Wie solle das denn sonst mit der wehrhaften Demokratie funktionieren? Er selbst unterstütze Correctiv finanziell und trete bald bei den Omas gegen Rechts in Ingolstadt auf, weil sie gesellschaftlich wichtige Arbeit machen, wird er zitiert.

Begleitet und verstärkt wird die Attacke auf eine wache Zivilgesellschaft übrigens von Medien wie "Bild", "Welt" und "Nius". Die "Welt" verstieg sich gar zu der Drohung: "Einige der Veranstalter – und ihre Spender – könnten Probleme bekommen."

Eine zugegeben alberne Aktion hat mich aufgemuntert: #AlleTassenimSchrank. Sie bezieht sich auf ebendiese Münchner Wahlkampfrede, in der Friedrich Merz ankündigte, künftig Politik für die "Mehrheit der Menschen" im Land zu machen, die noch "alle Tassen im Schrank hat", und nicht für "linke und grüne Spinner". Nun bekommt er allerlei Tassen nach Berlin geschickt, etwa von der Initiative "Moabit hilft", mit einem Begleitschreiben.

Darin heißt es (leicht gekürzt): "Sehr geehrter Herr Merz, als Teil der Bevölkerung, die Sie direkt beleidigt haben, weil wir uns Sorgen um den sozialen Frieden, den Zusammenhalt, die Menschenrechte machen, (...) sind wir um Sie besorgt. (...) Denn nach eingehender Prüfung konnten wir feststellen, dass wir entgegen Ihrer Annahme doch alle Tassen im Schrank haben und sogar noch welche für Sie übrig. Diese haben wir diesem Paket beigelegt." Es sollen schon einige Tassen im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin eingetroffen sein.

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