Selbstlos engagiert
Wie ein veraltetes Gesetz engagierte Menschen behindert
Solange das Gemeinnützigkeitsrecht nicht modernisiert ist, kommen immer wieder Attacken gegen Initiativen, vor allem von ganz rechts
Attac, Campact, Volksverpetzer: Warum wird engagierten Vereinen die Gemeinnützigkeit entzogen?
Moritz Wienert
Tim Wegner
Moritz Wienert
13.06.2024
7Min

Stefan Diefenbach-Trommer (Jahrgang 1971) ist Vorstand einer Allianz von rund 200 Vereinen und Stiftungen, die eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts fordern

chrismon: Gerade wurde dem Blog Volksverpetzer die Gemeinnützigkeit entzogen. Der Blog informiert über Fake News und finanziert sich ausschließlich über die Spenden seines Publikums. Die Begründung des Finanzamtes Augsburg: Der Blog sei zu nah an der Arbeit von Journalisten, und Journalismus stehe bislang nicht in der Liste der gemeinnützigen Tätigkeiten. Was sagen Sie zu diesem Vorgang?

Stefan Diefenbach-Trommer: Ein erschreckender Vorgang. Das zeigt, dass das Gemeinnützigkeitsrecht offenbar nicht klar genug ist, wenn es um das Engagement für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geht. Leider typisch ist, dass dieser Vorgang auf Hinweise aus rechtspopulistischen Kreisen folgt. Wenn das Gemeinnützigkeitsrecht klar wäre, würden solche Angriffe ins Leere laufen.

Das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht ist eh schon rätselhaft: Da gilt die Rettung aus Lebensgefahr als genauso gemeinnützig wie Schach. Und nun soll auch noch der E-Sport als gemeinnützig eingestuft werden, also der Wettkampf mit Computerspielen - echt wahr?

Ja, das steht so in der Koalitionsvereinbarung. Ich hab nichts gegen E-Sport, aber sind Menschenrechte wirklich weniger wichtig als E-Sport? Die sollen offenbar weiterhin nicht in der Liste der gemeinnützigen Zwecke im § 52 der Abgabenordnung stehen, dem sogenannten Steuergrundgesetz.

Was ist überhaupt gemeinnützig?

Das Gesetz sagt: Wer selbstlos für die Allgemeinheit handelt, handelt gemeinnützig.

Warum sind dann Sportvereine gemeinnützig? Sport macht man doch für sich selbst.

Denk ich auch immer. Aber manche sagen: Es ist gut für die Allgemeinheit, wenn die Menschen fit und arbeitsfähig sind. Und historisch geht es wohl zurück auf Wehrtüchtigkeit: Wenn junge Männer fit und für den Krieg zu gebrauchen sind, dient das dem Allgemeinwohl. Es gibt besser verständliche gemeinnützige Zwecke in dieser Liste: "Rettung aus Lebensgefahr" - also die DLRG oder das Rote Kreuz. Auch Umwelt- und Klimaschutz stehen im Gesetz als gemeinnützige Tätigkeiten. Und die Völkerverständigung.

Was hat ein Verein davon, wenn er sich gemeinnützig nennen darf?

Die Gemeinnützigkeit wirkt auf die meisten Leute wie ein Gütesiegel, sie sagen sich: Ah, das ist irgendwie staatlich geprüft, denen kann man vertrauen, die wirtschaften nicht in die eigene Tasche, also spende ich denen was. Spenden an gemeinnützige Vereine senken bei den Spendenden das zu versteuernde Einkommen. Der Staat verzichtet also auf Einnahmen. Deswegen entscheiden das die Finanzämter, ob eine Organisation gemeinnützig ist oder nicht. Grundlage ihrer Entscheidung ist diese Liste der gemeinnützigen Zwecke in § 52 der Abgabenordnung.

Da steht neben so kleinen Dingen wie Förderung des Karnevals und der Kleingärtnerei auch so etwas Großes wie die Förderung des demokratischen Staatswesens …

Genau. Und wenn ein Verein findet, Demokratie geht noch besser, als sie ist, und er hat dazu Ideen, dann scheint das ja ein passender Zweck zu sein. Und zum "demokratischen Staatswesen" gehören, so denkt man als engagierter Bürger, natürlich auch das Steuersystem und Fragen der sozialen Gerechtigkeit, schließlich sagt Artikel 14 Grundgesetz: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Doch leider wird dieser Zweck von der Finanzverwaltung und dann oft auch Gerichten sehr einschränkend interpretiert. Es dürfe nur über Grundsätze der Demokratie informiert werden.

Wurde deshalb Attac die Gemeinnützigkeit entzogen? Der Verein hatte sich zum Beispiel für eine Spekulationssteuer bei Aktiengeschäften eingesetzt.

Der Bundesfinanzhof hat im Attac-Urteil von 2019 gesagt: Es ist keine politische Bildung, was ihr macht, sondern ihr verfolgt konkrete Zwecke - wie zum Beispiel soziale Gerechtigkeit, Steuersystem -, aber diese Zwecke stehen nicht im Gesetz. Also seid ihr nicht gemeinnützig. Auf der Basis dieses Urteils hat unter anderem auch Campact die Gemeinnützigkeit verloren. Anderen Vereinen wird gesagt: Es gibt zwar im Gesetz einen passenden Zweck für euch, zum Beispiel Klimaschutz, aber ihr macht das ja nur mit politischen Mitteln. Damit ist zum Beispiel gemeint, dass man demonstriert oder mit Leuten in der Politik redet. Da heißt es dann, das dürfe nur nebenbei passieren, nicht hauptsächlich. Das sind so die beiden größten Schwierigkeiten im Gemeinnützigkeitsrecht: fehlende Zwecke im Gesetz und diese Beschränkung für sogenannte politische Mittel.

Sagt der Finanzhof etwa, ich darf mich nur unpolitisch engagieren oder ich muss in eine Partei?

So kann man das am Ende verstehen. Aber wo fängt das Politische an? Ich nehme mal die Tafeln als Beispiel: Bedürftigen Menschen Essen zu geben, ist klassische Gemeinnützigkeit, Armenhilfe. Und zugleich wird damit ein politisches Problem offensichtlich: Dass es Menschen in Deutschland gibt, die offenbar nicht genug Geld haben. Und wenn man feststellt, das Problem ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es ist gemacht und deshalb änderbar durch politische Maßnahmen, dann entstehen daraus politische Forderungen. Diese Trennlinie zwischen gemeinnützig und politisch ist absurd, außer man hat einen sehr eingeschränkten Politikbegriff.

Wenn ich Kröten über die Straße trage und dann erfahre, dass eine weitere Straße durch das Gebiet geplant ist, und dagegen protestiere - da bin ich ja schon im Politischen.

Genau, dann demonstriere ich dagegen, spreche mit der Bürgermeisterin - alles politische Aktivitäten. Oder wenn ich jetzt so einen kleinen Krötensammelverein nehme, die ganzen Leute, die Kröten rübertragen, sind jetzt schon über 80, die schaffen das nicht mehr, deshalb sagen sie: Wir finden, da muss der Staat jetzt mal einen Zaun bauen für die Kröten oder einen Tunnel. Das ist eine politische Forderung. Jetzt macht der Verein nur noch das, und schon hat er ein Gemeinnützigkeitsproblem, weil das politische Handeln überwiegt.

Dann passt die Liste der gemeinnützigen Tätigkeiten offensichtlich nicht mehr zum modernen Engagement. Wie könnte sie frisch gemacht werden?

Pragmatisch wäre, neue Zwecke reinzuschreiben. Zum Beispiel so was wie Grund- und Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und eine weit verstandene Demokratieförderung. So wie beim Umweltschutz, da sagt der Staat ja auch nicht, Umweltschutz ist nur, wenn ihr Bäume pflanzt. Der Verein legt selbst fest, wie er der Umwelt am besten dienen will. Aber egal, wie viele Zwecke wir noch ins Gesetz schreiben, wir werden immer Lücken haben und der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinken. Deshalb frage ich, ob das klug ist mit diesem Zweckekatalog. Wäre es nicht klüger zu sagen: Uns reicht es aus, dass du selbstlos bist, das Allgemeinwohl förderst, dass du keinen Gewinn ausschüttest und dass du dich im Rahmen von Grundrechten bewegst. Dann wären alle drin. Es wäre schön, wenn diese Frage mal politisch diskutiert würde.

Die Ampel hat es sich ja im Koalitionsvertrag vorgenommen, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren. Wie sieht’s aus damit?

Es sind bald drei Jahre rum mit dieser Koalition. Das ist schon ziemlich frustrierend. Jetzt wurde am 17. Mai der Entwurf eines Jahressteuergesetzes veröffentlicht, der die versprochene Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts nicht enthält. Das Problem betrifft natürlich nicht alle 600.000 Vereine in Deutschland, es betrifft vielleicht 20.000, aber bei denen ist seit den Gerichtsurteilen große Unsicherheit. Die müsste die Koalition endlich mal beseitigen.

Haben Sie Befürchtungen?

Ja. Wenn das Gesetz so veraltet bleibt, wie es ist, bekämen in den nächsten Jahren noch mehr Vereine Probleme, zum Beispiel alle, die sich in diesem Jahr massiv engagiert haben für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dass da in drei Jahren das Finanzamt sagt - es wird ja immer nur alle drei Jahre geprüft: Moment, da wart ihr aber zu politisch! Dann droht eine Belastung bis hin zum Verlust der Gemeinnützigkeit mit massiven Folgen. Ich befürchte auch, dass schon jetzt viele Vereine sagen: Wir würden uns ja gern engagieren, aber wir machen es nicht, weil wir Angst haben. Und sollten sich in Bundesländern, vielleicht sogar auf Bundesebene, die Mehrheiten ändern und es autoritärer zugehen, dann wird es noch wichtiger, dass es eine wachsame Zivilgesellschaft gibt, die sagt: Hej, hier werden Rechte von Minderheiten eingeschränkt. Aber dann hat man dafür keine gute Rechtsgrundlage. Wir reden im Moment viel darüber, dass das Verfassungsgericht sturmsicher gemacht werden muss. Das gilt aber für das Recht der Zivilgesellschaft genauso!

Manche Parteien scheinen die Gelegenheit zu nutzen, Vereine zu attackieren, die ihnen nicht passen, zum Beispiel die Deutsche Umwelthilfe. Deren Gemeinnützigkeit soll immer wieder neu überprüft werden.

Das, was Sie beschreiben, ist richtig, richtig fatal. Wenn man anderer Meinung ist als ein Verein, dann argumentiert man seit einigen Jahren nicht, sondern sagt: Wir nehmen dem Verein die Gemeinnützigkeit weg. Dass das aus der rechtspopulistischen Ecke kommt, verwundert weniger, aber dass es von der CDU und teilweise auch von der FDP kommt, das verwundert schon. Das betrifft massiv die Deutsche Umwelthilfe, es betrifft manchmal aber auch Greenpeace und Tierschutzvereine. Bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist es besonders krass, denn die DUH verklagt den Staat darauf, staatliche Regeln einzuhalten, und bekommt dabei auch recht. Die CDU hatte tatsächlich auf einem Parteitag beschlossen, dass man der DUH die Gemeinnützigkeit wegnehmen müsse.

Die Fragen stellte Christine Holch