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In Syrien ist das Assad-Regime gestürzt. Überall im Land tanzen die Menschen. Wie 2014 bei uns in der Ukraine.
Ich habe viele Freunde aus Syrien, und ich respektiere jeden einzelnen von ihnen. An dem Tag, als das Assad-Regime zusammenbrach, nahmen sie an friedlichen Demonstrationen teil, sie sangen, schwenkten die Flaggen ihres Landes und träumten von einer neuen Zukunft. Ich kenne dieses Gefühl sehr gut.
Im Februar 2014, nach der blutigen Revolution auf dem Platz der Unabhängigkeit (Majdan Nesaleschnosti) im Zentrum von Kyjiw, floh der damalige Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowytsch, aus dem Land. Im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken wurden Aufnahmen von Überwachungskameras gezeigt, wie er und seine Leibwächter plötzlich die Präsidentenvilla verließen. Nach mehreren Wochen voller Stress, Morden und einem Gefühl völliger Unsicherheit überkam die Ukrainer eine Welle der Freude, die man mit Euphorie vergleichen kann.
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Wir glaubten, dass das Schlimmste hinter uns lag und dass eine neue, glückliche Zukunft auf uns wartete. Nochmal zur Erinnerung: Ex-Präsident Janukowytsch hatte den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union verlangsamt und das Land an Russland angenähert. Die Ukrainer und Ukrainerinnen wollten jedoch etwas ganz anderes. Sie strebten den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates nach europäischem Vorbild an. Ein politischer Machtwechsel war notwendig. Aber war es das wirklich?
Die zehn Jahre nach der Revolution in Kyjiw waren für die Ukraine mehrdeutig. Einerseits machte das Land riesige Sprünge durch die digitale Technologie, privates Unternehmertum, viele Neugründungen im Dienstleistungsbereich. Wir konnten visumfrei in EU-Länder reisen. Das alles waren sehr positives Zeichen.
Andererseits herrschte in der Ostukraine bereits Krieg. Dort starben Militärangehörige und Freiwillige, Separatisten besetzten Wohnungen und Geschäfte, Andersdenkende wurden gefangen genommen. Vielen Menschen verschwanden am helllichten Tag ohne jeden Grund.
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Sicher, es gab keinen Bomben- und Drohnenterror wie jetzt. Doch es handelte sich auch schon damals um einen echten Krieg. Viele Menschen kehrten aus dem Ausland zurück, weil sie wieder Perspektiven in ihrer Heimat für sich sahen. Über den Krieg im Donbass wurde immer weniger geschrieben. Manchmal schien es, als wäre er überhaupt nicht da.
Das war ein Trugschluss. Denn während wir auf eine bessere Zukunft im Land hofften und sie aufbauten, begann Russland längst mit den Plänen für den großen Krieg.
Im Februar 2014 waren wir sicher, dass das Schlimmste überstanden war. Im Februar 2022 wurden wir von den Geräuschen der Bomben geweckt, die russische Piloten auf Wohngebäude abwarfen.
Ich kann nicht für alle Ukrainer und Ukrainerinnen sprechen, deshalb werde ich nur meine persönliche Meinung äußern: Es scheint mir, dass unser Hauptfehler darin bestand, dass wir uns nach dem ersten Sieg zu sehr entspannt haben. Wir haben zugelassen, dass die Illusion einer idealen Zukunft uns überwältigt. Wir haben unsere Erfolge in verschiedenen Bereichen viel stärker gesehen als unsere Probleme. Viele von uns hatten Angst, diese Probleme wahrzunehmen und sichtbar zu machen.
Meiner Meinung nach hätten wir nicht nachlassen sollen, sondern im Gegenteil bereits damals unsere ganze Kraft in den Schutz unseres Landes und unserer Grenzen stecken sollen. Wir hätten den Emotionen nicht nachgeben dürfen, sondern kritisch weiterdenken müssen, um die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung zu erkennen. Denn die tatsächliche Lage im Land war anders, als wir es uns in unserer Euphorie wünschten. Es herrschte weiter Krieg, viele Jahre lang. Wir haben einfach weggesehen, denn die Realität war zu schrecklich.
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Was hätten wir statt dessen machen sollen?
Wir hätten dem Krieg im Donbass mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Wie lebten die Menschen dort? Was brauchten sie? Dachten sie patriotisch? Seit 2022 wird die Ukraine von einer Welle des Patriotismus erfasst; die Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer ist ausschließlich auf die ukrainische Sprache umgestiegen und beschäftigt sich intensiver als je zuvor mit der Geschichte der ukrainischen Kultur und ihrem gesellschaftspolitischen Leben.
Aber das hätte viel früher geschehen sollen. Schon 2014, unmittelbar nach der Revolution in Kyjiw, hätten wir in einen aktiven Dialog miteinander treten und daran arbeiten müssen, dass sich alle mit der Ukraine identifizieren, besonders in der Wirtschaft, in der Bildung und in der Kultur. Und besonders im Donbass. Ich sage das als Person, die in der Region Luhansk, fast an der Grenze zu Russland, geboren wurde. Ich habe dort meine Kindheit verbracht.
Auf dieser Grundlage hätten wir auch eine neue politische Regierung im Land wählen sollen. Die neuen politischen Führer hätten nicht nur in der Lage sein müssen die ukrainischen Gebiete zu schützen, sondern auch ihre nationale Identität zu stärken: von Ost nach West. Und zwar lange vor Beginn des großen Krieges.
Das wünsche den Menschen in Syrien, dass sie bei aller Euphorie weiterhin nüchtern denken. Der Sturz des Assad-Regimes ist vielleicht erst ein erster Etappensieg. Sie mögen an das Beste glauben, sollen sich aber nicht täuschen lassen.