Bern und Stein ist ein Mehrgenerationenprojekt in Stuttgart mit elf Familien, sieben Singles, drei Ehepaaren und einer Wohngemeinschaft. Mieter:innen und Eigentümer:innen zogen im Herbst 2017 ein, es gibt insgesamt 23 Wohnungen.
chrismon: Auf dem Weg hierher sind wir am Jugendzentrum vorbeigekommen – und haben gehört: Bei Ihnen gibt’s die besten Feste!
Bernhard Höll: Wir feiern öfters oder machen Veranstaltungen mit der Nachbarschaft. Damit sind wir hier angetreten: Wir wollen uns für den Stadtteil öffnen, in ihn ausstrahlen! Aber da sind wir noch nicht so weit, wie wir wollten ...
Birgitt Höhener: . . . wir mussten uns nach dem Einzug ja erst mal untereinander finden.
Wie viele Menschen wohnen hier?
20 Kinder und Jugendliche und 35 Erwachsene. Der Jüngste ist zwei, die Älteste 84.
Birgitt Höhener
Bernhard Höll
Gibt es ein ideales Alter für den Einstieg?
Höhener: Ich bin mit 58 eingestiegen. Jetzt bin ich 62, gehe auf die Rente zu und wollte das rechtzeitig angehen. Ich habe selber keine Familie, finde aber total spannend mitzukriegen, wie Kinder groß werden. Ein Junge hier hat gerade Abitur gemacht, einer ist vorletztes Jahr geboren worden.
Höll: Es gibt kein Höchstalter, über Neuzugänge entscheidet die Gruppe – bei vermieteten Wohnungen haben Wohnungseigentümer:innen das letzte Wort über unsere Vorschläge. Aber klar ist es einfacher, wenn man noch nicht 80 ist. Bei den Jüngeren ist oft das erste Kind so ein Moment, wo du merkst: Die Wohnungspreise hier in Stuttgart sind eine Unverschämtheit. Meine Frau sah im Amtsblatt einen Hinweis auf ein Wohnprojekteportal der Stadt und darin, dass hier das Gemeinschaftsprojekt entsteht. Wir gingen zum ersten Treffen und waren gleich Feuer und Flamme. Heute sind unsere Kinder vier und sieben Jahre alt.
Und warum mit älteren Leuten?
Höll: In klassischen Familiensiedlungen sind alle zwischen 30 und 50 und beruflich im Stress – da ist wenig Platz für Gemeinschaftliches. Das ist hier ganz anders.
Höhener: Wir machen immer wieder etwas zusammen, kochen, gemeinsam essen, feiern, Gesprächskreise . . .
Ursula Ott
Julia Pfaller
Und dann kam Corona!
Höll: Ja, da mussten wir viel umplanen. Der Kinoabend im Gemeinschaftsraum, wo wir einen festen Beamer haben, musste pausieren. Dafür gab’s diesen Sommer hier im Innenhof Open-Air-Kino. Ein Abend voller Kurzfilme . . .
Höhener: . . . am besten hat mir der "Elefant im Porzellanladen" gefallen, ein Animationsfilm, über den sich die Kinder genauso amüsiert haben wie ich. So witzig.
Höll: Und kürzlich gab es seit längerem wieder mal ein gemeinsames Fest.
Wird’s auch mal zu laut?
Höhener: Ja, das ist ein wiederkehrendes Thema in den Versammlungen. Wenn du direkt neben dem Fahrradständer wohnst . . .
Höll: . . . oder weißt du noch: Halloween! Einer der Jungs hatte eine Nebelmaschine – die löste den Rauchmelder aus. Zum Glück hatte eines der kleineren Kinder einen Zauberstab, damit haben wir den Rauchmelder wieder ausgekriegt.
Was läuft noch?
Höhener: Wir treffen uns an den Adventswochenenden und singen. Einige von uns machen beim Foodsharing mit und holen übrig gebliebenes Essen im Stadtteil. Dann schreiben sie eine Rundmail: Hallo, heute ist Kürbis in der Küche.
Sind denn die Senioren alle online?
Höll: Zwei haben weder Computer noch Smartphone. Wichtige Mitteilungen werfen wir den beiden in den Briefkasten.
Gibt’s auch mal Zoff?
Höhener: Ja klar. Manchmal ist einem alles zu viel. Dann wird das auch gesagt. Wir hatten ja diesen Kurs in gewaltfreier Kommunikation . . .
Einen extra Kurs? Für alle?
Höhener: Wir haben eine Frau eingeladen, die uns in gewaltfreier Kommunikation nach Marshall Rosenberg schulte. Viele von uns kamen, es gab danach eine richtige Arbeitsgruppe, in der anhand von gespielten Konfliktsituationen geübt wurde, ohne anzugreifen, die eigenen Bedürfnisse und das eigene Empfinden der Situation zu beschreiben.
Höll: Das kann man übrigens auch bei der Kindererziehung brauchen.
Apropos Erziehung: Sind alle Omas und Opas Babysitter?
Höll: Als wir spontan einen Babysitter gesucht haben, waren die Rentner im Haus, die Lust auf so was hatten, bereits anderweitig beschäftigt. Eine Schülerin aus einer Nachbarsfamilie passt nun öfter mal auf unsere Kinder auf. Das ist ja nicht nur was für Ältere . . .
Höhener: . . . und wir Älteren haben auch noch anderes zu tun oder andere Interessen. Ich habe zwei Jobs, im Kindergarten und in einem Einrichtungshaus. Aber wenn ich in Rente bin, möchte ich mich mehr einbringen. Es passt halt auch nicht immer. Bloß weil man zusammen wohnt, stimmt nicht immer die Chemie.
Höll: Genau. Wir müssen uns nicht lieben, aber wir wollen alle in Frieden miteinander wohnen. Ich kann mir im Leben nicht vorstellen, hier freiwillig auszuziehen.
Das Grundstück, auf dem das Haus von Bern+Stein steht liegt in In Stuttgart-Heumaden, in der namensgebenden Bernsteinstraße 4. Die Baugemeinschaft hat zwei Häuser für ihr Projekt gebaut. Die beiden Häuser bieten Platz für 23 Wohnungen, sowie gemeinschaftlich genutzte Räume. In Kooperation mit dem Bau- und Heimstättenverein Stuttgart eG und unterstützt von Wabe eV Stuttgart entstand hier ein gemeinschaftsorientiertes und generationenübergreifendes Wohnprojekt mit kostengünstigem Wohnraum. Die Häuser wurden im Oktober 2017 bezogen.