Erntedank
Soll man Essen einfach so wegwerfen?
"Unser täglich Brot" wandert zu oft in den Müll. Das Erntedankfest könnte Verbrauchern und Produzenten zu Denken geben
Religion für Neugierige
Lisa Rienermann
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
Aktualisiert am 04.10.2024
3Min

Ein neues Brot schneidet man nicht einfach an. Es verdient besondere Aufmerksamkeit: Mit dem Messer zeichnet, wer auch immer das Essen vorbereitet, ein Kreuz über das Brot, bevor er oder sie die erste ­Scheibe abschneidet. Man verharrt einen ­Moment, macht sich bewusst, was man in den Händen hält. So galt es über Jahrhunderte – im Rheinland, in Bayern, und sicherlich nicht nur dort und nicht nur früher.

Bei einer Klassenfahrt beobachtet eine Lehrerin muslimische Schüler, wie sie Lebensmittel küssen, die sie vor der Rückreise meinen, wegwerfen zu müssen – ganz so, als wollten sie dafür Abbitte leisten.

Dank für die Ernte - aber gegenüber wem?

Was ist so besonders an den ­Lebensmitteln, dass man sie respektvoll behandelt und vor einem Essen ein Tischgebet spricht? Wer direkt von der Landwirtschaft lebt – bis vor wenigen Jahrzehnten waren das noch sehr viele Menschen in Deutschland – dankt nach dem Einbringen der Ernte, schmückt den Altarraum der Kirchen mit Früchten aus Gärten, Feldern und Baumplantagen und ­feiert mit Um­zügen auf den Dörfern.

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Das Fest lebt auch in der städtisch geprägten Welt von heute weiter. Die meisten Mitteleuropäer sind in der glücklichen Lage, auf kaum etwas verzichten zu müssen. Keine Selbstverständlichkeit. Viele Menschen ­ahnen: Es ist ein Segen, rundum mit Lebensmitteln versorgt zu sein. Grund genug, Dank zu empfinden.

Aber gegenüber wem? In der bibli­schen Schöpfungsgeschichte sagt Gott zu den Menschen: "Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen ­bringen, zu eurer Speise" (1. Mose 1,29). Kaum erschafft er die Menschen, versorgt Gott sie mit Nahrung. Im Vaterunser lautet die erste Bitte: "Unser tägliches Brot gib uns heute."

Erinnerung an eigene Not

Nur der bestehe vor Gott im Weltgericht, der den Hungrigen zu essen gibt, heißt es in Matthäus 25,35: "Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben", sagt der König denen zu seiner Rechten. "Ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben." Wer essbare Lebensmittel einfach wegwirft, macht sich nicht deutlich, wie viele Menschen an Hunger leiden. Ihre Zahl nimmt weltweit wieder zu.

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Er zeigt auch kein Gespür dafür, dass selbst hierzulande viele Menschen am Monatsende nicht wissen, wie sie sich und ihre Familie er­nähren sollen. Immer noch ist es verboten zu "containern", also Essen aus den Abfallcontainern der Supermärkte zu nehmen.

Wer Essen wegwirft, dem fehlt es vermutlich auch an historischem Bewusstsein. Mancher alte Mensch erinnert sich daran, wie schwierig es im Zweiten Weltkrieg und in den Jahren danach war, etwas zu essen zu bekommen.

Die Verbraucher sind in der Pflicht

Zudem heizt jedes weggeworfene Lebensmittel weiter die Agrarindus­trie mit ihren gigantischen Mono­kulturen, dem Raubbau an der Natur, den oft unsinnigen Transporten an. Obwohl wir uns jederzeit leicht da­rüber informieren können, wann und wo die Lebensmittel produziert ­werden, wissen wir nicht mehr, wie viel Schweiß, Mühe und Ausbeutung mit dem Landbau verbunden sind. Die erbärmlichen Arbeitsbedingungen der Wanderarbeiter in Andalusien und in Süditalien interessieren uns Kunden der mitteleuropäischen Discountläden kaum. Sonst würden wir wählerischer einkaufen.

Wo man viel produziert und billig anbietet, wandert auch viel in die Tonne. Großverbraucher, Handel und Industrie vernichten Lebensmittel in Deutschland, bevor sie beim Kunden ankommen. Verbraucherinnen und Verbraucher haben in der Hand, bei dieser Vernichtung nicht mitzumachen.

In der Studie "Unser tägliches Brot gib uns heute" der Evangelischen Kirche in Deutschland heißt es: "Das Vaterunser lehrt uns Demut und Dankbarkeit . . . Der Umgang mit Nahrungsmitteln erfordert größte Sorgfalt". Es kommt eben darauf an, wie wir mit der uns an­vertrauten Schöpfung und besonders mit unseren Mitmenschen umgehen.

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