Neugier kann auch riskant sein
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Neugier
Die verbotene Frucht
Mein Sohn ist sehr neugierig. Wie viele Kinder in seinem Alter. Dumm nur, wenn die Neugier gefährlich wird
Tim Wegener
04.09.2025
3Min

Neugier ist eine tolle Eigenschaft. Sie ist der Grund, warum wir Neues ausprobieren, uns weiterentwickeln. Warum Menschen in der Steinzeit über den nächsten Hügel gelaufen sind und wir heute in die Tiefen des Alls schauen. Neugier hat bestimmt erheblich dazu beigetragen, dass ich Journalist geworden bin. Die Welt entdecken, mit Menschen sprechen, die so ganz anders leben als man selbst und immer wieder etwas lernen, das man vorher noch nicht wusste.

Es sind magische Momente, wenn kleine Kinder anfangen, selbstständiger zu werden, und ihre Umgebung erkunden. Erst mit Blicken und Tasten, später, indem sie Dinge in den Mund nehmen und dann durch Krabbeln, Laufen, Rennen usw.

Mein Sohn ist der Übermut in Person. Fährt man in einen Park oder auf den Spielplatz und befreit ihn aus dem Fahrradsitz, rennt er los, bevor man ihm den Helm ausgezogen hat und springt ins nächste Gebüsch. Im Freibad stürzt er sich, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Kinderbecken. Oder er klettert auf Felsen, Bäume und Spielgeräte, die für sein Alter eigentlich noch zu hoch sind.

Neugier kann dann ins Anstrengende kippen. Zum Beispiel zeigt mein Sohn zurzeit auf fast alles, was er sieht und sagt: "Was ist des?" - "Ein Auto." - "Was ist des?" - "Ein anderes Auto." - "Was ist des?" - "Noch ein Auto." - "Was ist des?" Und so weiter. Oder wenn er wildfremde Menschen auf der Straße anquatscht: "Wo gehst du hin?" Auf Personen in der U-Bahn zeigt und mich fragt: "Was macht der Mann da?" Oder die Nachbarn im Treppenhaus fragt: "Gehst du auch plantschen?" Gut, das ist jetzt eher süß als schlimm. Trotzdem kann es irgendwann auch nerven.

Und dabei bleibt es natürlich nicht. Sein Entdeckergeist beschränkt sich nicht aufs Angucken und Fragen. Er nimmt auch gerne ungefragt Dinge in die Hand oder probiert sie direkt aus. Peinlich die Erinnerung an den Besuch in einem Wirtshaus in Wien Anfang des Jahres: Wir wollten mit einer Freundin dort zu Abend essen. Der Kleine büxte aus, rannte schnurstracks zur Theke und drückte zielsicher bei der Kasse auf "Off"... Kurz gesagt: Es kostete einiges an Überredungskunst, dass uns der Wirt nicht umgehend vor die Tür setzte. Immerhin kam niemand ernsthaft zu Schaden, außer vielleicht die Buchhaltung.

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Neulich während eines Picknicks mit Freunden im Park verlor ich ihn kurz aus dem Blick und lief hinterher. Er war hinter einem Busch verschwunden. Als ich bei ihm war, pflückte er eifrig rote Beeren von einer Pflanze und stopfte sie sich in den Mund. Natürlich bin ich total erschrocken und habe sie ihm sofort wieder aus dem Mund gepult. Dummerweise handelte es sich um giftige Stechpalmenbeeren. Als ich ihn fragte, ob er schon welche geschluckt hat, sagte er freudig: Ja! Wir googelten, wie giftig die Beeren sind und wir riefen den Giftnotruf an.

Die gaben Entwarnung: Erstmal Symptome beobachten. Bei wenigen Beeren sei die größte Gefahr Dehydrierung wegen Durchfall oder Erbrechen. Wir sollten dem Kind Kohletabletten verabreichen. Glücklicherweise war eine Drogerie in der Nähe. Nach fünf Minuten kaute mein Sohn stolz auf der schwarzen Tablette herum. Danach lief er beglückt mit kohlrabenschwarzem Mund durch den Park und sah dadurch ein bisschen besessen aus.

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Letztendlich ist nichts passiert. Vielleicht hatte er überhaupt keine oder nur eine einzige Beere geschluckt. Vielleicht taten die Kohletabletten ihr Übriges. Man weiß es nicht. Wir sind mit dem Schrecken davon gekommen. Seine Neugier, was rote Beeren anbetrifft, ist hoffentlich erstmal befriedigt. Falls nicht, habe ich ihm eingebläut, dass er mich das nächste Mal bitte vorher fragen soll: Was ist des?

Infobox

Liste der Giftnotrufzentralen und Giftinformationszentren in Deutschland, Österreich und Schweiz.

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Kolumne

Michael Güthlein
,
Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (2) und drei Kinder (11, 10, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Sie schreiben im Wechsel.