Risikofreudige Kinder
Die innere Sicherheit
Mein Sohn ist ziemlich wagemutig, und Kleinkinder sind sich noch keiner Gefahren bewusst. Wie kriegt man das eigene Sicherheitsbedürfnis und den kindlichen Entdeckerdrang unter einen Hut?
Kleine Mädchen hängt kopfüber an einem Klettergerüst und lächelt
Ob das gut geht? Ein Kind turnt auf dem Klettergerüst
Naumoid / Getty Images
Tim Wegener
17.10.2024
3Min

Spätestens seitdem unser Sohn laufen kann, sind Spielplätze zu einer Hauptattraktion geworden. Zum Glück gibt es bei uns in der Gegend einige. Also verbringen wir jeden freien Nachmittag bei halbwegs stabilem Wetter auf einem Spielplatz. Regnet es stark, wird die Wohnung zum Abenteuerspielplatz umfunktioniert. Dabei vollführt das Kind oft so wilde Stunts auf dem Sofa, dass man meinen könnte, er wird demnächst von Red Bull gesponsert. Er lässt sich rückwärts vom Sofa fallen, klettert auf wackelige Kissentürme, rennt in Höchstgeschwindigkeit um Kurven ins Nebenzimmer, tanzt, sich im Kreis drehend, auf dem Bett herum, rüttelt an Schranktüren und Wäscheständern.

Es ist mir schleierhaft, was sich die Evolution dabei gedacht hat, aber das Risikobewusstsein von Kleinkindern wächst leider nicht annähernd so rasant wie ihre körperlichen Fähigkeiten, geschweige denn ihre Neugier. Erst mit vier bis sechs Jahren entwickeln Kinder so etwas wie ein grundlegendes Verständnis für Gefahren und selbst dann sind sie noch nicht in der Lage, immer entsprechend zu reagieren.

Da sich Spielplätze an möglichst viele Kinder unterschiedlicher Altersgruppen richten, sind viele Spielgeräte zwar eher für Ältere geeignet, was aber nicht heißt, dass jüngere Kids sich dafür weniger interessieren. Mein Sohn steuert jedenfalls zielstrebig die höchsten Klettergerüste und die steilsten Rutschen an (wo er am liebsten über die Rutschbahn selbst hochklettern will - auch bei Gegenverkehr), versucht waghalsig über wackelige Hängebrücken zu kraxeln, sich an Leitern hochzuziehen oder rennt auf schmalen Mäuerchen nah am Abgrund lachend hin und her. Man könnte sagen, er tut das nahezu mit verwegener Todesverachtung.

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DEEPOL by plainpicture/Gemma Fer/Gemma Ferrando

Meine Frau - und vor allem ich - schrammen dabei regelmäßig an Herzinfarkten und an massiv steigenden Beiträgen für unsere Unfallversicherung vorbei. Dabei freut es mich insgeheim, dass mein Sohn so wagemutig ist. Ich selbst bin nicht gerade risikobereit, will aber, dass mein Sohn ohne übertriebene Ängste aufwächst, sich grundlegend (selbst-)sicher fühlt, und gleichzeitig erkennt, wann er sich in (unnötige) Gefahr begibt. Klar, bei einem Anderthalbjährigen ist es dafür noch etwas früh. Aber irgendwann muss man sich darüber ja Gedanken machen - und gefühlt ist das jetzt, wenn ich ihn wieder davon abhalten muss, auf eine Heizung zu klettern.

Der Grat zwischen Helikopter-Eltern und Fahrlässigkeit ist in der rauen Realität auf dem Spielplatz überraschend schmal

Es fällt mir also nicht leicht, die Balance zu finden, ihn einerseits machen und ausprobieren zu lassen, andererseits aufzupassen, dass er sich nicht wehtut. Der Grat zwischen Helikopter-Eltern und grober Fahrlässigkeit ist in der rauen Realität auf dem Spielplatz überraschend schmal. So klettere ich ihm manchmal notgedrungen auf Klettergerüste und Rutschen nach, laufe mit weit geöffneten Armen hinter ihm, wenn er nah an einem Abgrund herumflitzt und versuche, dabei gleichzeitig so unsichtbar wie möglich zu sein und nicht allzu einschränkend in seinen Spieltrieb und seine Experimentierfreude einzugreifen. Dieses Austarieren ist ziemlich herausfordernd.

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Was mir hilft loszulassen, ist der Gedanke an meine eigene Kindheit. Meine Eltern haben mir ziemlich viele Freiheiten gelassen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, und wir Kinder tobten regelmäßig durch den Garten, aber auch in Wäldern und auf Wiesen. Unsere Eltern wussten (auch, wenn ich das rückblickend vielleicht romantisiere) garantiert stundenlang nicht, wo genau wir steckten. Handys oder Smartwatches gab es nicht. Vielleicht hatte mal jemand eine Armbanduhr an, damit wir grob wussten, wann wir wieder nach Hause mussten. Zu Beruhigung unserer Eltern waren wir meistens als dorfbekannte Horde im Gelände unterwegs. Es hätte trotzdem genug passieren können - und ist teilweise auch passiert. Nur nie etwas wirklich Schlimmes.

Nun ist mein Sohn wesentlich kleiner, als ich es in der Phase war, von der ich gerade schwärmte. Trotzdem versuche ich, mir klar zu machen, dass ich nicht immer alles werde überprüfen und kontrollieren können. Ich werde nicht immer hinter ihm stehen, bereit ihn aufzufangen, sobald er ausrutscht. Ohne Risiko geht es nicht, es gibt keine Garantien im Leben. Mit dieser Angst werde ich wohl leben lernen müssen. Hoffentlich will er mal kein Stuntman werden.

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Kolumne

Michael Güthlein
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Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (1) und drei Kinder (10, 9, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen; sie schreiben im Wechsel.