Verena Luke
"Und dann haben wir losgelegt"
Der Spielplatz ist in die Jahre gekommen, muss saniert werden? In Frankfurt hat ein ganzer Stadtteil mitgebaut
Tim Wegner
13.05.2022

Jessi sagt, dass ihr Vater früher nervös wurde, wenn er ein Ikea-Regal zusammenbauen sollte. Wie hätte sie da als Kind handwerkliches Geschick entwickeln sollen? Aber Marie, eine der Anleiterinnen der Firma Alea, beeindruckt das nicht. "Morgen brauchen wir viele Leute, die Holzstämme für die Spielgeräte zusammenschrauben, es wäre super, du lernst jetzt, wie man bohrt." Also hören Jessi, 40, und ihr Sohn Matteo, neun Jahre alt, gespannt zu, in welchem Winkel sie den Bohrer am besten ansetzen sollten. Jessi lernt, was es bedeutet, das Bohrloch hinterher noch zu "topfen", damit eine Schraubenmutter Platz hat und mit einer Plastikkappe abgedeckt werden kann. Jessi und Matteo bauen mit an einem Spielplatz, mitten im kleinen Frankfurter Stadtteil Kalbach.

Der Winkel muss stimmen: Marie erklärt Jessi, wie sie bohren muss, damit die Schraube später optimal passt

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann lebt in Frankfurt-Kalbach und war überrascht, wie viele Bekannte er auf der Baustelle getroffen hat. Mit Jessie saß er schon auf Elternabenden, aber dass sie mal zusammen eine Schaukel verschrauben würden, hätte er auch nicht gedacht.

Kalbach ist ein Dorf am Rande der Großstadt, es gehört zu Frankfurt am Main und liegt am Bad Homburger Kreuz, umgeben von zwei Autobahnen, der A5 und der A661. Gut 5000 Menschen leben hier, viele in Einfamilienhäusern mit Garten, Sandkasten und Trampolinen. Es gibt sieben Spielplätze. Einer davon ist der "Spielplatz Kalbacher Stadtpfad 0322", so heißt er ganz offiziell. Aber alle nennen ihn nur "Piratenspielplatz", weil hier früher mal ein geschnitzter Pirat aus Holz stand. Der Spielplatz war in die Jahre gekommen. Wenn ein Gerät kaputtging, stellte die Stadt eines auf, das woanders nicht gebraucht wurde. Oder es kam gar kein neues.

"Es war ein trauriger Platz, das Grünflächenamt wollte ihn schon zurückbauen", sagt Eva Maria Lang, Kinderbeauftragte und Ortsbeirätin in Kalbach. Sie lebt seit etwas mehr als zehn Jahren im Ort, war davor lange im Frankfurter Süden. Aus dieser Zeit kannte sie ein Programm des Frankfurter Kinderbüros, "Spatz". Die Idee: Kinder bauen mit an ihren Spielplätzen, vor vielen Jahren, als der Piratenspielplatz gebaut wurde, halfen auch schon Eltern und Kinder mit. Aber "Spatz" war die Firma abhandengekommen, die den Spielplatzbau koordiniert. Eva Maria Lang blieb dran, über Jahre und viele Sitzungen hinweg, das Kinderbüro half ihr, schrieb den Auftrag aus, Lang fand eine Mehrheit für ihren Antrag im Ortsbeirat.

Es konnte also losgehen. Aber was macht ihn eigentlich aus, den perfekten Spielplatz?

Der Spielplatz ist eröffnet, Projektleiterin Nathalie Pörksen froh

Nathalie Pörksen kennt sich damit aus, sie ist Tischlerin und Pädagogin oder, wie sie sie sich und ihre Kollegen gern nennt, Handwerkspädagogin. Für die Firma "Alea", die die Ausschreibung gewonnen hat, arbeitet sie als Projektleiterin, kümmert sich also darum, wie Spielplätze entstehen – indem die Menschen vor Ort mitmachen, Kinder, Eltern, Anwohnerinnen. Der Firmenname "Alea" ist eine Abkürzung für "Anders Lernen durch Erfahrung und Abenteuer".

Nathalie Pörksen: "Ein Spielplatz ist perfekt, wenn er für die Menschen gebaut ist, die ihn nutzen. Und das ist unterschiedlich. Ein Schulhof in einem großen Wohnviertel, in dem es Probleme mit Vandalismus gibt, stellt andere Anforderungen an uns als ein eingezäunter Spielplatz auf dem Dorf. Deswegen kann man nicht sagen: DAS ist der perfekte Spielplatz. Die Frage ist immer: Wer braucht was an einem Ort? Wird das ein Platz nur für Kinder? Oder arbeiten dort auch Pädagogen? Heutzutage sind Spielplätze oft auch Begegnungsorte für Jung und Alt."

Es hat Jahre gedauert, bis der Beschluss für den Umbau des Piratenspielplatzes in trockenen Tüchern war. Aber bis der Stadtteil in Wallung kommt, dauert es nur ein paar Tage. Und dafür braucht es Menschen wie Hendrik, zweifacher Vater, er ist im Kinderverein Kalbach aktiv. Der Anfang war noch zäh. Nur das Team von Alea war da, die Leute vom Kinderbüro – und drei Helfer. Hendrik war einer von ihnen, Arbeitshose, T-Shirt mit einem "Moin" darauf, er stammt aus Kiel, ist zugezogen, wie viele hier. Er stürzt sich in die Arbeit, betoniert einen Holzpfahl fürs Piratenschiff. Und macht sich Sorgen. So wenige Leute für so viel Arbeit! Am Dienstag schreibt er in den Klassenverteiler seiner Tochter, Klasse 3b, Grundschule Kalbach: "Liebe Eltern! Es werden noch Leute gesucht, die mitbauen, und wer möchte, darf auch mitgestalten. Kommt vorbei, und wenn es erst ab 16 Uhr ist oder 'nur' eine Kuchenspende – ist auch toll. Ich durfte heute Presslufthammer, Kappsäge und Schlangenbohrer einsetzen, und wer findet, dass der dritte Mast vom Piratenschiff zu sehr nach Osten neigt, kann herkommen und ihn aufrichten ;-)"

Vor dem Bau muss eine Leiter her

In dieser Woche im Mai werden viele solcher Nachrichten verschickt in Kalbach, die Aktion spricht sich herum. Andere hören den Baulärm, sehen die Baustelle. Zwei Kitas sind in der Nähe, viele Eltern merken: Man kann hier wirklich mit anpacken. Mit jedem Nachmittag wird es voller. Die Firma Alea baut zwölf Spielplätze im Jahr. Eine Woche wird vor Ort gearbeitet, die Tage davor und danach braucht das Team für Vor- und Nachbereitungen.

Nathalie Pörksen: "So ein partizipatorisches Projekt hat eine Zugwirkung. Die Leute tasten sich heran. Es spricht sich rum, die Menschen kommen und sehen, dass sie sich hier einbringen können, wie sie sind. Wir trauen ihnen etwas zu. Niemand schimpft, wenn sie was falsch machen. Es braucht Zeit, aber dann entsteht eine besondere Atmosphäre. Das erleben wir öfter. Hier kommt jetzt noch etwas dazu: Nach zwei Jahren Pandemie, nach so vielen schlechten Erfahrungen mit Krieg und Klimakrise, gegen die man allein nichts ausrichten kann, haben die Menschen einen richtigen Hunger danach, gemeinsam etwas zu tun."

Es ist Mittwochabend, Jessi blickt auf den Boden, alles ist staubig. "Die Schuhe sind neu, ich hätte sie nicht anziehen sollen, egal!" Dass sie an diesem Tag noch eine tragende Rolle spielen sollte, hatte sie nicht geplant. Und Elternabend ist auch noch, naja, wird schon klappen. Und muss auch. Die Zeit drängt, in doppelter Hinsicht, Donnerstagabend kommt der TÜV. Jessi setzt den Bohrer an, nicht irgendeinen, sondern den mit 40 Zentimetern Länge. Marie unterstützt sie, redet ihr gut zu, der Winkel muss passen. Marie muss laut sprechen, überall hämmert und bohrt es, vom Weg her dröhnt ein Stimmengewirr. "Wahnsinn, ich bin voll geflasht!", sagt Jessi, als Matteo die Schraubenmutter mit der Ratsche festzieht. Auch sie spricht von der Coronazeit, in der alle nur zu Hause hockten. Und dass man nun endlich, endlich wieder etwas gemeinsam tun kann. Der Bohrkanal ist gut geraten, die Schraube sitzt sofort. Nur das Loch muss sie noch etwas größer topfen, damit nichts hervorsteht und sich niemand verletzen kann.

Flöge eine Drohne mit Kamera über dem Gelände und blendete ein Totale ein, würden Jessi und Matteo wirken wie in einem Wimmelbild. Mittlerweile sind viele Helferinnen im Park – Eltern nach Feierabend, Schülerinnen und Schüler nach der Schule, die Ranzen haben sie unter Büsche gepfeffert. Kleine Kinder sind nach der Kita zum Parkplatz gekommen, auf dem das Holz für den Bau zurechtgesägt wird und kleine Holzschnitzel lagern, die ein Lastwagen gebracht hat. Sie müssen unter den Spielgeräten verteilt werden. Eltern schieben Schubkarren, auf dem Weg zum Spielplatz sind sie voll mit Holzschnipseln, auf dem Rückweg mit Kindern, die lachen. Die Kleinsten bringen das Häckselgut in Eimern. Zwei Tage später, zur Eröffnungsfeier, wird eine Frankfurter Dezernentin in ihrer Rede sagen, dass 400 Menschen geholfen hätten, den Spielplatz zu bauen. Und dass es so etwas in Frankfurt wohl noch nie gegeben habe. Und man fragt sich, was alles möglich wäre, wenn so ein Ort nicht nur einen Spielplatz gemeinsam baut? Über allem schwebt der Geruch von Wald, holzig, harzig – aber auch ein Hauch von Utopie. Könnte man nicht gemeinsam viel mehr erreichen? Zum Beispiel Gärten anlegen, Bäume Pflanzen oder Gebäude sanieren?

Nathalie Pörksen: "Warum nicht? Es gibt eine Beteiligungspyramide. Die Basis bilden Informationen, die das Interesse der Menschen wecken. Dann müssen die Leute Mitsprache haben, gehört werden, wie sie sind und wo sie sind. Ein Ort besteht nicht nur aus den Menschen, die ins Rathaus gehen und an Anhörungen teilnehmen. Wir müssen auf die Leute zugehen, deswegen haben wir hier auch vor einem Jahr die Kitas, die Schule und Jugendeinrichtungen angeschrieben, waren mit Eva Maria Lang, der Kinderbeauftragten, auf dem Spielplatz und haben die Ideen gesammelt – vor allem auch die der Kinder. Die wollten das Piratenthema gern aufnehmen, ein Schiff war ihnen wichtig. Ganz oft sind die Dinge bei Bauvorhaben von außen schon so festgelegt, dass keine echte Mitsprache mehr möglich ist. Und oben an der Spitze der Pyramide ist die Umsetzung. Die Leute können sich nicht vorstellen, wie hoch ein Gerät wirklich ist. Das ist hier anders. Sie machen ja mit, können gucken, ob die Schaukel nicht doch etwas höher sein sollte. Wir haben einen Rollstuhlfahrer hier, den wir fragen, wie der Platz wirklich barrierefrei wird. Das können wir hier alles ausprobieren."

An einem Vormittag ist es ruhiger auf der Baustelle. Viele Eltern sind auf der Arbeit, die Kinder sind in den Einrichtungen. Aber es sind mehr Väter da als an den anderen Tagen zur gleichen Zeit. Einer von ihnen hat vom Alea-Team die Bitte erhalten, Schaufeln und Schubkarren vom Zement zu reinigen, ehe die Reste festtrocknen und nicht mehr abgehen. Er schiebt alles zu einem Wasseranschluss vor der Kita, in der seine ältere Tochter gerade spielt, und kommt ins Grübeln. Wenn man nun aus ganz vielen Dingen Gemeinschaftsprojekte machte? Einen Vorteil sieht der Mann, der Rohstoffspezialist in einer Bank ist. "Ich habe hier handwerklich unglaublich viel mitgenommen." Aber immer alles zusammen machen? "Das geht nicht, es ist auf Dauer doch besser, wenn es Spezialisten gibt, Baufirmen und so weiter." Dann muss er nach Hause, er hat Elternzeit, wenn seine Frau mit der jüngsten Tochter allein zu Hause sitzt, das wäre doch ungerecht. Aber abends ist er wieder da, auf der Baustelle, wie viele andere auch.

Hat für den Spielplatz gekämpft: Kalbachs Kinderbeauftragte Eva Maria Lang

Eva Maria Lang, die Kinderbeauftragte, erkennt ihren Ort in diesen Tagen nicht so richtig wieder. Als sie nach Kalbach zog, erlebte sie die Menschen erst mal eher verschlossen, zurückhaltend, oft mit dem Argument: "Das habe mer immer so gemacht, was anderes brauche mer ned." Familien, die zugezogen sind, haben ihr auch schon häufig berichtet, dass es schwierig sei, in Kontakt mit anderen zu kommen. Vielen gelingt das dann über die Kinder, aber daraus entstehen eher kleinere Cliquen, keine große Gemeinschaft. "Und dann haben wir hier losgelegt, und es gab eine richtige Explosion. Ein Vater kam zu mir und hatte Tränen in den Augen, weil er so gern mit seinem Sohn zusammen baut. Der hat sich spontan Urlaub genommen."

Nach einer Woche ist alles fertig, der TÜV ist durch, und das Team Alea räumt alles so zusammen, wie es die Tage zuvor gearbeitet hat – geduldig, konzentriert, orchestriert. Es werden Reden gehalten, eigentlich sollen es noch mehr werden, aber Eva Maria Lang hat den Spielplatz dann versehentlich zu früh eröffnet, weil sie in ihrer Ansprache sagte: "Ich will auch nicht zu lange sprechen, es geht ja um die Kinder, die auf den Spielplatz…" Weiter kam sie nicht, die Kinder rannten alle los.

Und wie sieht er nun aus, der perfekte Spielplatz? Marie, die Jessi und Matteo beigebracht hat, wie man richtig lange Löcher durchs Holz bohrt, sagt: "In Städten ist jeder Spielplatz nur ein Kompromiss, weil es eben Städte sind, in denen Kinder sich nie so bewegen können, wie es sein müsste." Aber der, an dem sie nun baut – der werde schon sehr okay, mit Balancierparcours, Dreimaster, Kletterschiff, Schaukeln und kleinen Hütten. Vor allem der Kalbach, der längs des Geländes fließt, sei super. Und Eva Maria Lang erzählt, kein anderer Spielplatz in Frankfurt liege an einem Bach.

Nathalie Pörksen: "Wichtig ist, dass es geheimnisvolle Orte gibt, an denen die Kinder ihre Fantasie ausleben können. Und dass es Spielgeräte gibt, die man nicht fünf Minuten nutzt und dann kann ich nichts mehr mit ihnen anfangen. Oft machen die Kinder damit andere Sachen, als wir gedacht haben. Und Kinder müssen an den Geräten wachsen. Ich kann nicht mit drei Jahren hier schon alles können und beherrschen. Ich sehe als Kind: Aha, meine große Schwester kann das, ich noch nicht, aber in zwei Jahren schaffe ich das auch! "

Und vielleicht ist ein perfekter Spielplatz auch nicht deshalb perfekt, weil es dort die tollsten Geräte gibt – sondern weil es ein Ort geworden ist, über den die Menschen sagen: Das ist unser Spielplatz.

Ganz so ist es nicht geworden, eine Seilbahn gibt es nicht, aber Vorschläge der Kinder haben Nathalie Pörksen geholfen, den Spielplatz zu planen

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