Väterzeit: Ist das noch gut?
Kinder wollen gerne selber essen - dabei landet viel auf dem Boden. Und wer isst das dann?
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Ekel
Ist das noch gut?
Nach zwei Jahren Windeln wechseln ekelt mich als Vater nur noch wenig. Aber ab und an komme ich doch noch an meine Grenzen
Tim Wegener
13.03.2025
3Min

Kinder helfen Erwachsenen manchmal ungewollt, über sich hinauszuwachsen. Sie bringen ihre Eltern ständig in Situationen weit außerhalb ihrer Komfortzone. Man muss dann zwangsläufig lernen, mit diesen Situationen umzugehen. Ich bin zum Beispiel mittlerweile Meister darin, Smalltalk mit wildfremden Menschen zu führen, durch die ich über meinen Sohn in Kontakt komme - sei es in Bus und Bahn oder auf dem Spielplatz. In der Vergangenheit habe ich solche Gespräche gemieden, heute muss ich sie führen, ob ich will oder nicht.

Mir ist immer noch nicht ganz klar, ob man tatsächlich abhärtet oder ob man einfach nicht mehr genug Widerstandskraft hat, um sich über manche Dinge aufzuregen oder dafür zu schämen. Wäre mir zum Beispiel früher ein Soßenfleck auf meiner Kleidung im Büro furchtbar peinlich gewesen, ist es mir zwischenzeitlich komplett egal. Wenn ich mich nach jeder vom Kind verursachten Verschmutzung umziehen würde, lägen nach zwei Tagen alle meine Klamotten in der Wäsche. Also sitze ich mittlerweile mit stoischer Gleichgültigkeit im beflecktem Hemd in der Konferenz.

Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Ekel und Überwindung. Windeln wechseln zum Beispiel. Die Natur hat das schon ganz clever eingerichtet, dass menschliche Ausscheidungen während der Stillzeit noch nicht ganz so penetrant riechen. Da fällt frischen Eltern das Wickeln leichter. Olfaktorisch ändert sich das schlagartig mit der Beikost. Zu diesem Zeitpunkt hat man aber schon dermaßen viele Windeln gewechselt, dass es auch nicht mehr allzu arg ins Gewicht fällt (bis auf extreme Ausnahmen natürlich, die ich aus Pietätsgründen ausspare). Man muss da eh durch, wozu sich also künstlich aus der Ruhe bringen lassen?

Dinge, die ich früher für ausgeschlossen hielt, gehören heute zu meinem täglich Brot - wortwörtlich. Ich bin beispielsweise kein Freund von herumliegenden Essensresten. Alles, was nicht verzehrfrisch zubereitet war, landete bei mir schnell im Biomüll. Wenn ich nach dem Essen unter dem Tisch Oliven gefunden habe, habe ich sie fein säuberlich mit einem Tuch oder einer Kehrschaufel entfernt und weggeschmissen. Auch Speisereste, die auf dem Teller zurückblieben, wanderten meist in die Tonne.

Bevor mein Sohn auf die Welt kam, war das auch nicht sonderlich viel Biomasse, die da entsorgt wurde. Heute ist das anders. Wenn Kleinkinder essen, landet mindestens 20 bis 30 Prozent der Nahrung neben dem Teller oder gleich auf dem Boden. Mein Sohn möchte mittlerweile komplett selbstständig essen, lässt auf dem Weg vom Teller zum Mund aber ehrlich gesagt noch die nötige Hand-Augen-Koordination vermissen. Silikonlätzchen sei Dank, wird einiges abgefangen und später nach-verfüttert, aber trotzdem sieht der Boden unter dem Esstisch bei uns oft aus wie die Reste eines kalten Buffets nach der Weihnachtsfeier eines mittelständischen Betriebs: Gürkchen, Tomaten, ineinander verlaufende Soßenkleckse und Nudelreste mit Rucolaspuren, paniert in Brötchenkrümeln.

Das alles wegzuschmeißen, wäre nicht unbedingt nachhaltig. Also bin ich zum Resteesser mutiert: Wie lang liegt die Bohne schon da rum? Egal, wird schon noch gut sein! Eine kalte Bratkartoffel? Ab in den Mund! Oh, ist da noch ein angeknabberter, bräunlicher Apfel von vorgestern auf dem Tisch? Den nehm ich mit auf Arbeit! Selbst die zusammengepanschten Reste aus Pasta, Tomatensoße, Apfelsaft und Salatdressing löffle ich, wenn ich den Tisch abräume, ohne mit der Wimper zu zucken, aus dem Kinderteller.

Einen Endgegner habe ich aber noch. Mein Sohn stopft sich gerne viel zu große Brocken in den Mund. Wenn sie so groß sind, dass er sie nicht mehr richtig kauen kann, spuckt er den ganzen Nahrungsbrei mit einem lauten "BUÄH!" und ausgestreckter Zunge auf den Teller zurück. Essen will er das dann natürlich nicht mehr und bietet es selbstlos, aber umso vehementer, mir an: "Papa, essen! PAPA, ESSEN!" Und da lehne ich dann doch noch dankend ab und krieche zurück in meine Komfortzone, wo, wie alte Freunde, Tuch und Handfeger neben dem Biomüll auf mich warten.

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Kolumne

Michael Güthlein
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Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (1) und drei Kinder (10, 9, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen; sie schreiben im Wechsel.