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Ich habe viele ältere Verwandte, darunter auch einen mir sehr lieben Onkel mit seiner Frau. Beide sind seit Jahren im Ruhestand und leben auf dem Land. Immer, wenn ich sie besuche, erzählen sie mir von ihrer Not: Es gäbe keine Ärzte mehr in der direkten Umgebung, auch nicht in weiter entfernt liegenden Orten. Sie müssen also immer weite Wege in Kauf nehmen, völlig unabhängig davon, dass sie mittlerweile sowieso immer monatelang darauf warten, überhaupt irgendwo einen Termin zu bekommen. Überweisungen vom Haus- an den Facharzt helfen auch nicht immer weiter. Es gibt in allen Bereichen zu wenig Ärzte und Ärztinnen.
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Noch sind die beiden fit. Noch können sie Autofahren und haben auch keine ganz schlimmen Krankheiten: "Doch wie soll es werden, wenn wir älter sind?", fragen sie mich jedes Mal, wenn ich komme. Sie leiden unter dem Wegfall der dörflichen Gemeinschaft und der Überalterung in ihrem Dorf: "Irgendwie wird das Miteinander hier immer schlechter."
Mir macht das Sorgen, und umso begeisterter war ich neulich, als ich mit Tahnee Leyh telefonieren und sie zu ihrer Arbeit befragen konnte. Ich suchte nach speziellen Hilfen in unserem Gesundheitssystem für die jungen Menschen, mit denen ich viel arbeite, und stieß zufällig auf sie.
Tahnee Leyh arbeitet als Gemeindegesundheitspflegerin im Rahmen eines Pilotprojektes des Deutschen Roten Kreuzes im brandenburgischen Ort Luckau. Ihre Aufgabe: Gesundheit fördern und Krankheit verhindern. 2025 wurde sie für ihre Arbeit mit dem "Lausitzer Pflege Award" ausgezeichnet. Ich finde: völlig zu Recht.
Was genau zeichnet die Arbeit von Tahnee Leyh aus? Zunächst und vor allem die Nähe zu den Menschen. Sie ist dafür da, die Nöte der Menschen im Gespräch zu erkennen, sie dann aufzuarbeiten, entsprechende Empfehlungen für Fachärzte weiterzugeben und zu vermitteln. Dafür hat sie 15 Stunden in der Woche zur Verfügung. Sie macht Hausbesuche, ermittelt Bedarfe. Sie spricht mit Praxen oder einem Krankenhaus. Für all das braucht sie Fachwissen und muss die Mentalität der Menschen vor Ort gut einschätzen können.
Tahnee Leyh hat all das. Sie ist geboren in Luckau, hat in Berlin an der Charité und in Dresden an der Evangelischen Hochschule studiert und kehrte mit einem Fachabschluss in "Community Health Nursing", kurz CHN, in ihre Heimatstadt zurück. Dort arbeitet sie jetzt als Gemeindegesundheitspflegerin für das Rote Kreuz.
Während wir miteinander sprechen, klingelt ständig das Telefon auf der anderen Leitung. Sie beschreibt mir ihren übervollen Terminkalender. Für ihre Klienten nimmt sie sich Zeit, analysiert deren individuelle Situation, stellt Kontakte her, übersetzt ärztliche Diagnosen, übernimmt Wege zum Sanitätshaus, ermöglicht Pflegeberatung und vieles mehr. Sprich, sie macht all das, was in unserer arztzentrierten Gesellschaft mit dem überlasteten Gesundheitssystem von den Ärzten nicht mehr umgesetzt werden kann: "Gesundheit ist mehr als Medizin; Krankheit hat nicht nur biologische Ursachen", betont sie im Gespräch.
Daher sei es so wichtig, dass sie mit ihrer Arbeit Gesundheitsförderung, Pflege und Sozialraumanalyse miteinander verbinden könne. Dank ihres Studiums, in dem sie auch viel über gesellschaftliche Zusammenhänge gelernt habe, sei sie dazu überhaupt in der Lage.
Tahnee Leyh spricht klar, fundiert und macht im Gespräch aber auch immer deutlich, wie prekär ihre Situation ist. Ständig müsse sie mit Politikern und Politikerinnen im Gespräch sein und den Erfolg ihrer Arbeit darlegen. Braucht Luckau diesen Service wirklich? Lohnt es sich, die dafür notwendigen finanziellen Mittel aus dem klammen Stadthaushalt zur Verfügung zu stellen? Diese und andere Fragen begleiten Tahnee Leyh durch ihren Arbeitsalltag und belasten sie zusätzlich. Sich im Urlaub zu erholen, fällt ihr schwer, denn sie erlebt tagtäglich, dass sie von den Menschen gebraucht wird. Aber eine Vertretung in der Urlaubszeit gibt es nicht.
Ganz am Schluss unseres Gespräches kommen wir auch auf die politische Situation zu sprechen. "Die Bevölkerung ist unzufrieden", sagt sie mir. Eben auch, weil die medizinische Versorgung nicht gut sei: "Die Politiker kennen diese Probleme der Bevölkerung. Aber die notwendigen Entscheidungen bleiben aus und die Unzufriedenheit wächst. Doch Gesundheitsförderung ist auch Demokratieförderung."
Ich denke an meine thüringischen Verwandten, bei denen ich erleben kann, wie über all die Jahre der Unmut und die Resignation zunehmen. Es braucht positive Erfahrungen und Entwicklungen.
Die Gemeindegesundheitspflegerin Tahnee Leyh ist so ein positives einzelnes Beispiel, von dem ich hoffe, dass es kein Einzelfall bleibt.
Bei meinem letzten Besuch bei Onkel und Tante konnte ich ihnen von Tahnee Leyh und ihrer Arbeit erzählen. Beide waren begeistert: "So was würde hier vielen auch weiterhelfen!" Sie baten mich um weitere Informationen dazu und wollten dies auch gleich einem Nachbarn weitererzählen – der nämlich arbeitet in einer Leitungsfunktion beim Roten Kreuz.
Vielleicht gibt es ja in absehbarer Zeit auch in Thüringen ein Projekt der Gemeindegesundheitspflege. Dann aber hoffentlich nicht befristet, sondern gleich auf Dauer angelegt.
Allerdings hätte ich eine Anregung: Warum nennt sich das Programm so gekünstelt englisch: "Community Health Nursing"? Das Wort Gemeindegesundheitspflegerin ist doch prima und wir alle wissen gleich, worum es geht.
Hier gibt es mehr Infos über das Projekt mit der Gemeindegesundheitspflegerin. Und ein Interview mit Tahnee Leyh



