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Südwestlich von Cottbus liegt der Bahnhof Neupetershain. Eine einzige Ruine, wenn man Menschen aus der Region fragt. Umgestürzte Backsteinwände, kaputtes Holz. Schon lange steht er nach Schließung des Braunkohletagebaugebiets ganz in der Nähe für den Zerfall in der Region. Doch nun steht er auch noch für etwas anderes: Hoffnung.
Als 2016 ein Großinvestor den Bahnhof kaufte, gab es zwischenzeitlich schon einmal Hoffnung. Aber es änderte sich nichts. Er ließ den Bahnhof weiter verkommen. Zweimal war der Bahnhof in Bürgerversammlungen Thema, jeweils nahmen fast 200 Menschen teil. Als 2021 dann sogar ein Stück der Bahnhofsmauer auf die Straße krachte, reichte es den Anwohnerinnen und sie gründeten einen Verein: den "Neupetershainer Geschichten e.V."
Mittlerweile hat der Verein 30 Mitglieder, zehn engagieren sich im Vorstand. Vorsitzender im Ehrenamt ist Steffen Soult, im Hauptamt zurzeit Projektbearbeiter für Strukturentwicklung und als Stabstelle beim Bürgermeister angesiedelt. Er ist erfahren. Und er will etwas bewegen, sowohl im Haupt-, als auch im Ehrenamt. So wirkt er zu mindestens am Telefon, als ich ihn anrufe.
Der endgültige Entschluss, dass sich etwas ändern müsse, fiel beim "Bahnhoffestival" im September 2023. Zusammen mit der DB Regio und Kompetenzstelle Bahnhof vom regionalen Verkehrsverbund VBB hatte der Verein ein Kulturfestival organisiert. 3 Tage Konzerte mit über 800 Gästen und einer Tagung zur Zukunft von Bahnhöfen. Nach etlichen Gesprächen entschied sich der Verein dafür, den Bahnhof zu übernehmen. Gemeinsam mit der Deutschen Bahn verklagten sie den alten Eigentümer. Mit Erfolg. Seit Februar 2024 ist der Verein Neu-Eigentümer des Bahnhofs.
Seitdem gibt es viele Pläne. Aber dafür braucht es Geld. Zurzeit sammelt der Verein deswegen Spenden, bewirbt sich auf Wettbewerbe und schaut nach Fördermitteln. Obwohl das alles Zeit braucht, gibt es schon erste Veränderungen.
Jeden zweiten Sonnabend kommen Menschen, um die Wiese neben dem Bahnhof zu pflegen. Hecken müssen getrimmt, Rasen geschnitten und Bäume gepflegt werden. Hier sollen später Events von und für alle stattfinden. Keine Geburtstagspartys oder Bierfeste. "Die Veranstaltungen sollen einen Mehrwert für andere haben. Uns geht es darum, die Kultur zu beleben", sagt der Vorsitzende Soult. Das könnte ein Theaterfestival sein oder Buchlesungen.
Aus dem Bahnhof soll eine Kulturstätte werden
Am Bahnhof sollen außerdem 25 Fahrradgaragen für Pendler entstehen. Ein Raum des Bahnhofsgebäudes wird zur Kabarettbühne mit angebautem Café umgestaltet. Und in einem anderen Teil des Bahnhofsgebäudes selbst ist ein kleines kostengünstiges Motel geplant, weil genau so etwas in der Region bislang fehlt.
Im Gespräch mit Soult verstehe ich immer mehr, dass es ihnen nicht nur darum geht, den Bahnhof aufzuhübschen oder Jobs zu schaffen. Das Projekt soll ein Gegenpol für die Armut und die Vereinsamung sein. Seit dem Ende des Kohlebergbaus sei die Gegend verarmt, sagt Soult. Die Jüngeren ziehen dorthin, wo es Jobs gibt und bessere Infrastruktur. Die Älteren bleiben immer mehr unter sich. "Ich möchte gern, dass die Leute mehr lachen. Denn wer alleine und wirtschaftlich prekär lebt, hat selten etwas zu lachen und hier wird weniger gelacht als in Dresden", sagt er.
Einigen fehlt die Hoffnung auf Veränderung
Trotzdem sei das nicht immer einfach, sagt Soult. Es sei schwer, die Einheimischen zum Mitmachen zu bewegen. Vielen scheint die Zuversicht zu fehlen, dass sich auch etwas zum Guten verändern lässt. Andere sind frustriert über "die da oben". Zudem lässt sich eine gewisse Erschöpfung beobachten: Wer täglich rechnen muss, damit das eigene Geld reicht, ist eben sehr mit sich und dem eigenen Leben beschäftigt. Und so sind die Vereinsmitglieder fast nur Zugezogene oder Zurückgekehrte, die zugleich davon überzeugt sind, dass man zusammen etwas erreichen kann. "Wir können das alles gemeinsam selber machen", sagt Soult. Und wenn mal etwas schiefginge, dann werde gemeinsam ein neuer Weg gesucht.
Genau das ist es, was Orten wie diesem häufig fehlt, denke ich mir. Wenn man die Entscheidungen über den Lebensalltag den anderen, den Politikern, überlässt, dann bedeutet es eigentlich auch, sich selbst den anderen zu überlassen. Und so verlieren ganze Regionen ihren Charakter. So wie man es in vielen Braunkohletagebaugebieten sieht, bei denen der wirtschaftliche Verfall den Menschen ihre Arbeit, die Infrastruktur und damit auch ein Stück ihrer Hoffnung nimmt.
Dadurch droht eine Abwärtsspirale, in der sich Menschen nicht mehr wohlfühlen, lieber zu Hause bleiben und nicht mehr die Gemeinschaft suchen. Und nur so kann es gelingen, miteinander positive wie negative Erfahrungen zu sammeln und dem Strukturwandel etwas entgegenzusetzen.
Und irgendwie steht das doch für mehr als nur den Bahnhof in Neupetershain, denke ich. Vielleicht können wir von Orten wie diesen noch viel lernen – mehr, als wir zunächst glauben. Ich bin mir auf jeden Fall sicher, dass ich das nächste Mal aussteige, wenn mich mein Weg über Neupetershain führt.